Gudrun Nassauer
Theologie konkret

Gudrun Nassauer: «Maria Magdalenas Liebe zu Jesus hat dessen Tod überdauert»

Was genau an Ostern geschah, sagen die neutestamentlichen Schriften nicht immer. Etwa schweigt die Bibel darüber, wie der Auferstehungsleib genau beschaffen ist. Doch was die Evangelisten deutlich sagen: Es geht um einen Raum für Begegnung, sagt Gudrun Nassauer, Professorin für Neues Testament an der Universität Freiburg. Maria Magdalena spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Jacqueline Straub

Frohe Ostern. Was sagt das Neue Testament über Ostern?

Gudrun Nassauer*: An Ostern gedenken Christinnen und Christen der Auferstehung Jesu. Das ist die Initialzündung aller neutestamentlichen Texte. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu haben damals die Erfahrung gemacht, dass Jesus seinen eigenen Tod überlebt, also den Tod besiegt hat. Das war für sie sozusagen wie die Bestätigung, dass alles, was er in seinem irdischen Leben vorgelebt hatte, stimmt. Zugleich sieht man den Texten – gerade denen der ersten Generation, also den authentischen Paulusbriefen – an, dass diese Erfahrung alle Kategorien der Menschen dermassen gesprengt hat, dass sie erst einmal nach Worten gerungen haben, um das Unfassbare irgendwie auszudrücken.

Das Osterevangelium nach Markus.
Das Osterevangelium nach Markus.

Die ersten Zeugnisse darüber sind kurze Formeln.

Nassauer: Genau, etwa: «Christus ist gestorben für unsre Sünden nach der Schrift und begraben worden und auferweckt worden am dritten Tag nach der Schrift.» (vgl. 1 Kor 15,3f.) Man versucht, das Neue in der Sprache und in den Kategorien auszudrücken, die einem zur Verfügung standen, und das waren die der Torah, also «der Schrift».

In einem zweiten Schritt sind die Evangelien entstanden.

Nassauer: Diese machen das Geschehen erzählerisch anschaulich. Später kommen weitere Generationen von Briefliteratur, die wagen schon etwas mehr theologische Reflexion zu Papier zu bringen, um sich dem Mysterium der Auferstehung zu nähern.

«Die Evangelisten zeigen zuerst auch das Unfassbare.»

Mit welchen Mitteln arbeiten die Evangelisten, um das Unbeschreibliche der Auferstehung greifbar, verständlich und glaubhaft zu vermitteln?

Nassauer: Die Evangelisten erzählen Episoden, die das Geschehen anschaulich machen. Sie erzählen konkret von der Begegnung des auferstandenen Jesus mit einzelnen Jüngerinnen und Jüngern oder auch mit mehreren auf einmal. Und sie zeigen zuerst auch das Unfassbare.

Etwa?

Nassauer: Wenn der älteste Evangelist, Markus, davon berichtet, dass bei der Erscheinung des Auferstandenen Jesus alle erstmal weglaufen, weil sie sich fürchten. Die Evangelisten bieten so einen erzählerischen Raum an, in den sie auch mich als heutige Leserin – wie ihre damaligen Hörerinnen und Hörer – einladen: Ich darf in die Rolle der Jüngerin, sagen wir, der Maria Magdalena, schlüpfen und die Begegnung von innen her erleben. In der Begegnung ist Platz für mein Nicht-Fassen-Können, für meine Angst, aber auch für meine Freude, dem Auferstandenen zu begegnen. Dann deuten die Evangelienberichte an, dass diese Begegnung für die Jüngerinnen und Jünger nicht ohne Folgen bleibt, sondern ihr Leben von Grund auf verändert. Es geht den Evangelisten also immer um einen Raum für Begegnung, der erzählerisch aufgespannt wird.

Das Gemälde "Der ungläubige Thomas" des Flamen Abraham Janssens (bis 1632).
Das Gemälde "Der ungläubige Thomas" des Flamen Abraham Janssens (bis 1632).

Was erfahren wir nicht aus den Evangelien?

Nassauer: Die Evangelien geben uns wichtige Hinweise darauf, wie die ersten Christinnen und Christen die Auferstehung verstanden haben. Zum Beispiel können die Jüngerinnen und Jüngern in den Auferstehungsszenen die Wunden Jesu von der Kreuzigung berühren, und Jesus isst vor ihren Augen gebratenen Fisch. Das heisst, er ist nicht einfach ein Geist, sondern steht als leibhaft Auferstandener vor ihnen. Und er ist wirklich derselbe wie in seinem irdischen Leben. Die berührbaren Wunden sind wie eine Art Siegel dafür. Aber wie zum Beispiel so ein Auferstehungsleib genau beschaffen ist, sagen uns die Evangelien nicht. Darüber haben sich über die Jahrhunderte hinweg Theologinnen und Theologen die Köpfe zerbrochen.

«Die Frauen gehen entgegen der Erwartung zum Grab.»

Sie haben vorhin schon gesagt, dass die Leserinnen und Leser in die Rolle der Maria Magdalena schlüpfen können. Welche Rolle spielen die Frauen?

Nassauer: Die Frauen sind die ersten am Grab und so auch die ersten Zeugen der Auferstehung. Der Evangelist Lukas zum Beispiel zeichnet sie insgesamt als besonders offen für die Sorte Gottesbegegnung, die die Kategorien des Erwartbaren sprengt. Dass sich Jesus als Gottes Sohn erweist, indem er nach einem grausamen Tod wieder aufersteht, ist absolut jenseits des Erwartbaren. Die Frauen gehen entgegen der Erwartung zum Grab. Ihre Sehnsucht nach einer Begegnung mit Jesus überdauert offensichtlich dessen Tod. Das macht sie offen für die Begegnung mit dem neuen Leben Jesu. Sie bezeugen diese Erfahrung vor den Jüngern.

Die Jünger nehmen die Frauen aber zuerst nicht ganz ernst.

Nassauer: Ja, aber immerhin: die Jünger lassen sich auf einen Kontrollblick ins Grab ein und machen selbst die Erfahrung der Begegnung mit dem Auferstandenen. Die Frauen sind also die ersten Zeugen. Aber die Erzählung zeigt zugleich, dass die eigene Begegnung mit dem Auferstandenen unvertretbar ist: jede und jeder muss die Erfahrung letztlich selbst machen.

Christus erscheint Maria Magdalena am Ostermorgen von Rubens und Breughel der Jüngere
Christus erscheint Maria Magdalena am Ostermorgen von Rubens und Breughel der Jüngere

Wenn der Auferstandene zu Maria Magdalena sagt «noli me tangere», was meint er damit?

Nassauer: Das ist eine rätselhafte Stelle. Ich vermute, der Evangelist Johannes will mit dem «Rühr mich nicht an» zeigen, dass die Beziehung Marias zum Auferstandenen zwar genauso intensiv ist wie die zum irdischen Jesus. Aber dass sie doch anders geworden ist. Er zeichnet die Begegnung zwischen Maria Magdalena und dem Auferstandenen in Anlehnung an literarische Wiedererkennungsszenen in der antiken Romanliteratur. Die beiden Akteure der Erzählung haben sich darin irgendwann vorher in der Erzählung verloren und treffen sich unverhofft wieder. Wobei sie sich erst auf den zweiten Blick erkennen. Die Begegnung löst dann einen Umschwung in der Erzählung und im Leben der Erzählfiguren aus. Wenn wir das als Hintergrund nehmen, will Johannes uns vielleicht zeigen: Maria Magdalenas Liebe zu Jesus hat dessen Tod überdauert. Aber ihr eigentlicher Ausdruck besteht jetzt darin, die Beziehung zu ihm anderen weiterzugeben, also von der Begegnung zu erzählen, so wie Jesus es in der Szene bei Johannes zu Maria Magdalena sagt.

«Ohne diese Grundkonstante gibt es keine echte Verkündigung im biblischen Sinn.»

Und was bedeutet das für die Rolle der Frau in der Verkündigung heute?

Nassauer: Ich finde es bemerkenswert, dass Maria Magdalena vor ein paar Jahren den Titel «apostola apostolorum» erhalten hat, also «Apostelin der Apostel», weil sie – nach dem Johannesevangelium – der erste Zeuge der Auferstehung gewesen ist. Zugleich tue ich mich schwer damit zu sagen, dass vom Beispiel Maria Magdalenas nur die Frauen lernen sollen. Sie erinnert uns ja an etwas, was im Johannesevangelium als Grundkonstante von Verkündigung – wir würden heute vielleicht sagen: von Kirche-Sein – anschaulich gemacht wird. Im Kern ist das, wovon ich als Christin oder Christ Zeugnis gebe, meine intensive Beziehung zu Jesus, die meine und anderer Kategorien sprengt, mich verändert, mich immer wieder neu überrascht. Ohne diese Grundkonstante gibt es keine echte Verkündigung im biblischen Sinn. Das gilt nicht nur für die Rolle der Frau in der Verkündigung. Aber es gefällt mir zu denken, dass unser Zeugnis als Frauen vielleicht gerade die Erinnerung daran wachhalten kann, dass eine echte Begegnung mit dem Auferstandenen immer Neues entstehen lässt.

Frauen trauern um den gekreuzigten Jesus: Ausschnitt aus einem Fresko in der Kirche Santo Stefano in Miglieglia TI
Frauen trauern um den gekreuzigten Jesus: Ausschnitt aus einem Fresko in der Kirche Santo Stefano in Miglieglia TI

Wie wird über die Kreuzigung und Auferstehung ausserbiblisch berichtet?

Nassauer: Über die Kreuzigung haben wir ausserbiblische Zeugnisse aus dem 1. und 2. Jahrhundert nach Christus. Über die Auferstehung mehr indirekte: Wir haben Quellentexte aus derselben Zeit, die kritisch davon berichten, was die ersten Christinnen und Christen umtreibt. Natürlich sind diese Darstellungen aus kritischer Distanz zur frühen christlichen Bewegung geschrieben. Aber es geht aus ihnen hervor, dass spätestens etwas mehr als 20 Jahre nach Jesu Tod die christliche Bewegung langsam aus dem Schatten der – im römischen Reich erlaubten und deshalb strukturellen Schutz bietenden – jüdischen Religion heraustrat und von aussen wahrnehmbar wurde. Im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts wissen wir von ersten Verfolgungen. Das Bekenntnis zum Auferstandenen kostete also ganz schön viel. Wir haben keine ausserbiblischen Zeugnisse über die Auferstehung Jesu. Aber wir haben ausserbiblische Zeugnisse darüber, dass sich Menschen wenige Jahre nach seinem Tod zu seiner Auferstehung bekannt haben und bereit waren, dafür Nachteile bis hin zum gewaltsamen Tod in Kauf zu nehmen.

*Gudrun Nassauer (43) ist Professorin für Neues Testament an der Universität Freiburg.

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Gudrun Nassauer | © zVg
31. März 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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