Osternacht-Gottesdienst in der Kathedrale Chur
Schweiz

Martin Klöckener: «Die ganze Osternacht ist eine Feier des Übergangs»

«Die Osternacht als ganze hat die Kraft, die Mitfeiernden in bestem Sinn zu ergreifen», sagt der Liturgiewissenschaftler Martin Klöckener. Die Alte Kirche kannte nur eine einzige Feier, in der des Leidens und Sterbens Jesu als auch seiner Auferstehung gedacht wurde. Im Mittelalter kam es zu einem «Unfall» der Osternachtsfeier. Ein Gespräch, was in der Osternacht geschieht.

Jacqueline Straub

Christinnen und Christen auf der ganzen Welt feiern heute die Osternacht. Was passiert dort?

Martin Klöckener*: Alle Liturgie der Kirche ist Gedächtnisfeier. In der Osternacht wird in einem ausdrucksstarken Gottesdienst der Auferstehung Jesu gedacht, wie sie im Neuen Testament von verschiedenen Zeuginnen und Zeugen berichtet wird und seitdem Grundlage des christlichen Glaubens geworden ist. Im österlichen Triduum gehen der Osternacht am Gründonnerstag das Gedächtnis des Letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern und am Karfreitag die Feier vom Leiden und Sterben Jesu Christi voraus. Mancherorts kommen weitere Gottesdienste oder auf das Christusgeschehen bezogenes Brauchtum hinzu. Mit der in der Osternacht gefeierten Auferstehung Jesu kommt sein ganzes Leben und Wirken, besonders sein Leiden und Sterben, zur Erfüllung.

Kerzen in der Osternacht
Kerzen in der Osternacht

Was zeigt sich dort?

Klöckener: Der Tod hat nicht das letzte Wort. An Ostern wird der Übergang vom Tod zum Leben, von der Trauer zur Freude gefeiert und zugleich die in Christus gründende Zukunft vorweggenommen. Was an Christus geschehen ist, wird allen Menschen verheissen.

Was ist das Besondere an der Osterliturgie?

Klöckener: Die Osternacht wird, wie der Name schon sagt, als Vigil, als nächtliche Feier begangen. Der Eucharistiefeier voraus gehen die Lichtfeier und ein ausgedehnter Wortgottesdienst, in dem das Alte Testament von der Schöpfung über die Errettung Israels am Schilfmeer bis hin zur prophetischen Verheissung am Ende der Zeit verkündet wird, ehe die neutestamentliche Auferstehungsverkündigung folgt. Die Taufe von Erwachsenen und Jugendlichen, aber auch von (Klein-)Kindern sowie die Erneuerung des Taufversprechens der ganzen Gemeinde haben in der Osternacht ihren primären Platz. Über die Feier der Auferstehung Jesu Christi hinaus geht es also auch darum, dass alle Menschen mit in dieses Christusmysterium hineingenommen werden.

«Der Nachtgottesdienst ist stark von der Lichtsymbolik geprägt.»

Welche Elemente sind in der Osternacht unabdingbar?

Klöckener: Die Liturgie der Osternacht ist ein in sich sinnvolles Ganzes, aus dem einzelne Elemente herausragen. Besonders charakteristisch ist das festlich intonierte, normalerweise dreimal wiederholte Halleluja vor dem Evangelium, das der Auferstehungsbotschaft besondere Bedeutung zuschreibt. Ansonsten kann man nicht einfach einzelne Elemente herausbrechen, ohne dass dies Auswirkungen auf die Sinnzusammenhänge insgesamt hätte. Aus den alttestamentlichen Lesungen kann eine Auswahl getroffen werden, jedoch so, dass der heilsgeschichtliche Zusammenhang klar erkennbar bleibt. Taufkandidaten und -kandidatinnen lassen sich nicht herbeizaubern; insofern wird manche Osternacht ohne Taufe gefeiert, immer aber mit der Erneuerung des Taufversprechens.

Osterfeuer vor Jesus am Kreuz, Chur
Osterfeuer vor Jesus am Kreuz, Chur

Das Licht spielt eine wichtige Rolle. Welche Symbolik verbirgt sich dahinter und wie wird es liturgisch ausgeschmückt?

Klöckener: Der Nachtgottesdienst ist stark von der Lichtsymbolik geprägt, wobei diese auf die Osterkerze als ein Symbol für Christus fokussiert ist. Die Spannung von Dunkel und Licht, wie sie uns im kosmischen Wechsel von Tag und Nacht je neu begegnet, der Übergang aus der Knechtschaft in die Freiheit, wie er geschichtlich vor allem in der Befreiung Israels aus der Hand des Pharao verortet wird, aber auch im übertragenen Sinn den Übergang von der Sünde zur Erlösung und Freiheit in Christus meint, schliesslich die Überwindung des Todes durch das Leben, wie sie in der Auferweckung Jesu begangen wird: all das ist in der Lichtsymbolik angelegt. Die ganze Osternacht ist eine Feier des Übergangs. Das Exsultet, der österliche Lobpreis zu Beginn, bringt diese vielfältigen Dimensionen der Heilsgeschichte, aber auch in der Lebensgeschichte der Menschen zum Ausdruck und läuft am Ende in eschatologischer Perspektive auf Christus zu, auf jenen «wahren Morgenstern, der in Ewigkeit nicht untergeht».

Martin Klöckener
Martin Klöckener

Wie hat sich die Osterliturgie über die Jahrhunderte entwickelt?

Klöckener: Die Alte Kirche kannte zunächst eine einzige Feier, in der sowohl des Leidens und Sterbens Jesu als auch seiner Auferstehung gedacht wurde. Verbunden war damit die Erwartung seiner Wiederkunft in dieser Nacht. Noch in der Spätantike kam es zur Aufgliederung dieser christologischen Motive auf drei Tage, wobei man sich an der biblischen Chronologie und der in Jerusalem bezeugten Praxis orientierte. Solange die Erwachsenentaufe geübt wurde, war die Osternacht der eigentliche oder zumindest der bevorzugte Zeitpunkt für die Eingliederung in die Kirche. Die Grundstruktur mit ausgeprägten Lichtriten zu Beginn, der für eine Vigil typischen, ausgedehnten Verkündigung von Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament und der Eucharistiefeier blieb über die Jahrhunderte hinweg konstant, während die Taufe wegen der Kindertaufpraxis im Laufe der Zeit aus dieser Feier herausfiel.

«Als einen Unfall der Liturgiegeschichte betrachten muss man, dass die Osternachtfeier im Laufe des Mittelalters immer mehr aus der Nacht heraus vorverlegt wurde.»

Erst mit der Karwochenreform unter Papst Pius XII. (1951 und 1955/56) sowie der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde sie an dieser Stelle wiedereingeführt. Als einen Unfall der Liturgiegeschichte betrachten muss man, dass die Osternachtfeier im Laufe des Mittelalters immer mehr aus der Nacht heraus vorverlegt wurde, bis sie schliesslich am Morgen des Karsamstags stattfand, und zwar bis in die 1950er-Jahre. Daran nahmen in der Regel nur wenige Gläubige teil; das «Hochamt» am Ostersonntag galt als der Hauptgottesdienst von Ostern. Die heutige Gestalt der Osternacht und der anderen Feiern des österlichen Triduums geht auf die Liturgiereform nach dem letzten Konzil zurück, bei der man sich vor allem gemäss altkirchlichen Vorbildern und gestützt auf neue Akzente in der Liturgietheologie, besonders dem Pascha-Mysterium als der Mitte des ganzen Kirchenjahres wie auch der christlichen Existenz der Gläubigen, für eine grundlegende Revision der früheren Form entschied.

Osternachtliturgie
Osternachtliturgie

Welchen Teil der Osternacht lieben Sie am meisten?

Klöckener: Die Lichtriten am Anfang sind besonders ausdruckskräftig. Die Einzugsprozession der Gemeinde in die dunkle Kirche hinter der brennenden Osterkerze mit dem dreimaligen Ruf «Lumen Christi / Christus, das Licht», wobei alle Gläubigen eine Kerze in Händen tragen, die ihre Flamme von der Osterkerze empfangen hat, ist ein starker Ritus. Das Exsultet, ein poetischer Gesang, ist eine ausgezeichnete Verkündigung der christlichen Botschaft von Errettung, Erlösung und Vollendung. Die Osternacht als ganze hat die Kraft, die Mitfeiernden in bestem Sinn zu ergreifen. Die Lichtfeier zu Beginn finde ich selbst am ausdrucksstärksten.

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Die meisten Menschen sagen, dass das wichtigste Fest des Christentums Weihnachten ist. Theologisch ist das nicht ganz korrekt.

Klöckener: Vom gesellschaftlichen Erlebniswert her mag Weihnachten emotional stärker anrühren. Auch dabei spielt zur Zeit der Wintersonnenwende das Licht eine besondere Rolle, das das Dunkel der Nacht durchdringt. Das Christusmysterium wird hier in der Geburt eines Kindes erlebbar, was viele Menschen möglicherweise eher anrührt als die an Ostern begangene Auferstehung Jesu. Weihnachten und Ostern bedingen sich einander. Die Weihnachtsbotschaft erhält aber nur von Ostern her ihren Sinn. Ohne Tod und Auferstehung Jesu könnten die Welt und die Menschen nicht das feiern und erfahren, was in einer der Orationen zwischen den alttestamentlichen Lesungen ins Wort gebracht wird: «Was alt ist, wird neu, was dunkel ist, wird Licht, was tot war, steht auf zum Leben, und alles wird wieder heil in dem, der der Ursprung von allem ist, Jesus Christus.» Diese Osterbotschaft ist keine simple Vertröstung, sondern schenkt Hoffnung auch in wirren Zeiten, wie wir sie derzeit erleben müssen.

*Martin Klöckener ist emeritierter Professor für Liturgiewissenschaften an der Universität Freiburg.


Osternacht-Gottesdienst in der Kathedrale Chur | © Christian Merz
30. März 2024 | 12:00
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