Fall Allaz: Chronologie der Versäumnisse
Freiburg, 28.3.18 (kath.ch) Der Kapuzinerorden und die Bistumsverantwortlichen wurden bereits in den Siebzigerjahren auf die sexuellen Übergriffe des Kapuziners Joël Allaz aufmerksam gemacht. Der Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission, der am Dienstag in Freiburg präsentiert wurde, zeigt im Detail auf, wo ein Eingreifen erforderlich gewesen wäre.
Jacques Berset
Der Bericht verurteilt die «Leichtigkeit im Umgang mit den Missbräuchen, auf die die Hierarchie in den Jahren 1970 bis 1980 aufmerksam gemacht wurde». Die Kommission bezieht sich insbesondere auf die Vorgesetzten des Kapuziners Joël Allaz, als dieser im Wallis wohnte (1973 bis 1977). Die Vorgesetzten des Kapuziners, Gervais Aeby und Guérin Zufferey, hätten sofort handeln und Allaz beispielsweise jede weitere Arbeit mit Kindern verbieten müssen.
Mitbruder denunziert Allaz
Die Kommission bedauert auch, dass die Denunziation durch Allaz’ Mitbruder Charles Dousse im Jahr 1984 nicht ernst genommen wurde. Dousse, der in dieser Zeit bei Allaz in Lully wohnte, habe dem damaligen Provinzial Gervais Aeby von «unangemessenem Verhalten gegenüber Kindern während Wassertherapie-Sitzungen» berichtet. Dieser Vorwurf sei nicht weiterverfolgt worden, obwohl die Vorgeschichte des Pädophilen damals vermutlich bekannt gewesen war.
Walliser Opfer erstattet Anzeige
Nachdem Dousse Lully verlassen habe, habe Allaz unter dem Deckmantel seiner Tätigkeit als Psychologe und Priester weitere Minderjährige missbraucht. Nur ein Opfer, Jean-Marie Fürbringer, der in den 70er Jahren im Alter von 11 Jahren im Franziskanerheim St. Maurice missbraucht worden war, erhob Anklage. Er habe dies allerdings erst 1995 getan, zu diesem Zeitpunkt waren die Verbrechen bereits verjährt.
Versetzung nach Frankreich
Allaz war 1989 nach Corenc bei Grenoble versetzt worden, die Gründe dafür waren laut Untersuchungsbericht offenbar nicht präzisiert worden. «Sie wurden von Loius Dufaux, Bischof von Grenoble, und Bernard Genoud, Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg (LGF) als lückenhaft beurteilt.»
«Angesichts der Gründe für seine Versetzung nach Frankreich ist es völlig unverständlich, dass die Vorgesetzten von Joël Allaz von 1989 bis Juli 2002 nicht eingegriffen haben, um die Taten, die ihnen Bischof Dufaux anvertraut hatte, zu verhindern», hiess es an der Pressekonferenz.
Grosse Naivität
Die Untersuchungskommission stellte bei den Kapuzinern eine grosse Naivität in der Einschätzung des Risikos, das Allaz darstellte, fest. Alexandre Papaux, Vorsitzender der Untersuchungskommission, betonte auch die fehlende Abschirmung von Allaz, als dieser nach Bron bei Lyon geschickt worden sei.
«Weder nach den Enthüllungen eines weiteren Opfers, nämlich des Neffen von Joël Allaz im Herbst 2004, noch nach dem Geständnis des Kapuziners im August 2005 in Bron vor seiner Familie und dem Kapuziner Marcel Durrer, hat jemand die Sache vor Gericht gebracht!», so Papaux.
Überwachungsmassnahmen nach Rückkehr in die Schweiz
Der damalige Schweizer Provinzial Mauro Jöhri habe dem Täter am 21. November 2005 die Rückkehr in die Schweiz, ins Kapuzinerkloster Delémont, befohlen, habe aber gleichzeitig strenge Überwachungsmassnahmen angeordnet.
Entgegen den Vorschriften des Kirchenrechts habe die Schweizer Kapuzinerprovinz bis 2017 davon abgesehen, den Täter der Glaubenskongregation zu melden, «unter dem Vorwand, dass Joël Allaz nicht überwacht werden könne, wenn er aus dem Priesterstand und dem Kapuzinerorden entlassen worden wäre. Die Kapuziner waren schon 2003 der Ansicht, dass Allaz’ schlechter Gesundheitszustand ihn daran hinderte, weiter sein Unwesen zu treiben.»
«Strahlendes Mitglied der Gemeinschaft»
Die Kommission zeigte sich erstaunt über den Ruf von Joël Allaz und dessen Familie. Er sei als «ein strahlendes Mitglied der Gemeinschaft» dargestellt worden. Die Zurückhaltung der Familie Allaz und des misshandelten Neffen habe das Eingreifen der Justiz verzögert. Der misshandelte Neffe habe schliesslich keine Anzeige erstattet, während Marcel Durrer, der für die Kapuziner in der Westschweiz zuständig war, seinen Mitbruder gern ins Gefängnis geschickt hätte: «Wir hatten einen Anwalt bezahlt, ich war sicher, dass es einen Prozess geben würde, weil dieser Fall noch nicht verjährt war, aber er weigerte sich, Anzeige zu erstatten».
Verurteilung 2012
Es sei keine Klage eingereicht worden, da der Anwalt der Ansicht war, dass sie keine Chance haben würde. Der missbrauchte Neffe erinnerte allerdings daran, dass er für einen Prozess in Grenoble gekämpft habe, der am 5. Januar 2012 zu einer Verurteilung von Allaz und zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe geführt habe.
Untätigkeit des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg
Auch auf Seiten des Bistums LGF konstatiert die Kommission Untätigkeit, nachdem Joël Allaz im Mai 1989 ein Geständnis abgelegt hatte. Mindestens zwei Fälle, die dem Vertreter des kirchlichen Gerichts der Diözese LGF, dem Offizial Jean-Claude Périsset, im April und Mai 1989 mitgeteilt worden waren, seien nicht verjährt gewesen. «Es bestand eine moralische, wenn nicht gesetzliche Verpflichtung, bei den Angehörigen der von Daniel Pittet gemeldeten Opfer vorstellig zu werden und nach allfälligen weiteren möglichen Opfern zu suchen.»
Pflicht versäumt
Diese Pflicht versäumt hätten Périsset, sein Vorgesetzter, Bischof Pierre Mamie, und der Bischofvikar Jacques Banderet, der über die Affäre informiert war, sowie der für die Romandie zuständige Kapuziner Bernard Maillard und der Schweizer Provinzial, Gervais Aeby. «Sie haben nie von Joël Allaz verlangt, sich vor Gericht zu verantworten oder die Familien der Opfer zu kontaktieren.»
Die Kommission stellte ferner fest, dass die Akte des Offizials nie den Gerichten übergeben worden war, insbesondere während dem 2008 von der Untersuchungsrichterin Yvonne Gendre eingeleiteten Verfahren, obwohl diese eine Hausdurchsuchung des Bistumssitzes angeordnet hatte.
Juristische Intervention bis 2002 verhindert
Die Kommission bedauert, dass die Verantwortlichen des Bistums weder 1989, als Joël Allaz ein nicht verjährtes Verbrechen gestanden habe, noch 2002, als Daniel Pittet Anklage erhob, noch während einer Anhörung der Polizei im Juli 2004 für ein weiteres Sittendelikt, Anzeige erstattet hätten. Bis ins Jahr 2002 habe das Bistum LGF eine juristische Intervention verhindert. (cath.ch/Übersetzung: sys)
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