Puppen für zehn Franken: In der Brocki Zug
Schweiz

Die Brocki boomt: «Es ist schöner, allen Dingen eine zweite Chance zu geben»

Längst können sich nicht nur Arme, sondern auch der Mittelstand nicht mehr alles leisten, was zum normalen Konsum zählt. Die Brockenhäuser schaffen Abhilfe durch günstige und qualitätvolle Angebote. Manche «Brockis» haben sich mittlerweile zu noblen Kaufhäusern des Pauperismus etabliert. Ein Augenschein in Zug.

Wolfgang Holz

Uff! Nochmals Glück gehabt! Die ältere Dame beäugt bewunderungsvoll den anthrazitfarbenen Teppich und legt Hand an das 2,3 Meter lange und 1,6 Meter breite, wollene Teil. «Nur 55 Franken kostet der Teppich, das ist wirklich günstig», sagt sie.

Die neue Brocki in Zug - wie eine Art Volkskaufhaus
Die neue Brocki in Zug - wie eine Art Volkskaufhaus

Dann lässt sie von dem guten Stück wieder ab und lächelt den nächsten bereitstehenden Interessenten wohlwollend an. «Ich habe ja kein Auto dabei, sie können ihn gerne mitnehmen.»

Schöne und qualitätvolle Dinge

Brockenhäuser machen Menschen glücklich. Weil sie schöne und qualitätvolle Dinge – vom Sofa bis zum Sektglas, vom Herrenhemd zum Holzspielzeug, zu erschwinglichen Preisen anbieten. Und nicht nur das.

Hier in Zug ist die Brocki, die von der Frauenzentrale Zug gemanagt wird, seit Dezember letzten Jahres in modernen und hellen Räumen untergebracht. Die Brocki strahlt die Aura eines schicken Volkskaufhauses aus. Sensationell. Und fast alles zu erschwinglichen Preisen. Man wähnt sich fast im Paradies.

Geschäftsführerin der Brocki Zug: Christine Langhans von der Frauenzentrale Zug
Geschäftsführerin der Brocki Zug: Christine Langhans von der Frauenzentrale Zug

«Wir haben uns super eingelebt am neuen Standort und geniessen immer noch Komplimente von unseren Kunden zum Angebot und zur Präsentation», sagt Brocki-Geschäftsführerin Christine Langhans.

«Wir erhalten sehr viel Ware – mehr als wir verkaufen.» Man könne den neuen Standort von der Stadt Zug zu guten Konditionen mieten. «Verglichen mit der Butterbrot-Miete im alten Güterbahnhof bezahlen wir hier aber das Zehnfache – und das muss erst hereingeholt werden.» Andererseits gibt es längere Öffnungszeiten als früher und das Anderthalbfache an Verkaufsfläche.

Extra nach Zug gefahren

Thangavil Srikaran ist extra aus Kriens nach Zug gefahren – wegen des grossen Zuger Brocki-Angebots und der besonderen Qualität. «Ich habe verschiedene Sachen gekauft», sagt der gebürtige Sri-Lanker, der schon seit 35 Jahren in der Schweiz lebt und als Pfleger arbeitet.

Thangavil Srikaran ist extra von Kriens nach Zug in die Brocki gefahren.
Thangavil Srikaran ist extra von Kriens nach Zug in die Brocki gefahren.

«Das Brockenhaus ist sehr wichtig, weil es sich nicht alle Menschen leisten können, auf dem normalen Markt einzukaufen», meint eine ältere Dame, die in ihrem himbeerfarbenen Trainer-Oberteil eine beneidenswerte Fitness ausstrahlt und gerade auf ihr Velo steigt. Sie selbst komme regelmässig hierher wegen der freundlichen Atmosphäre und wegen der Kontaktbörse. In der neuen Brocki gibt es auch ein kleines, gemütliches Café.

«Boom des Secondhand-Markts»

Dass Brockis angesichts der galoppierenden Teuerung boomen, erscheint logisch. Wobei Geschäftsführerin Christine Langhans präzisiert. «Ich würde eher von einem Boom des Secondhand-Markts sprechen», stellt sie klar.

«Wer einigermassen auf dem Laufenden zu Klimathemen ist, weiss, dass wir nicht immer so weitermachen können in Bezug auf die Produktion von Billigware und Nutzung unserer Ressourcen.» Die Nachfrage nach CO2-neutralem Einkauf werde künftig weiter steigen.

Schicke Möbel zum günstigen Preis
Schicke Möbel zum günstigen Preis

Eine Mutter, die gerade das Brocki verlässt, bestätigt diesen Eindruck: «Es ist viel nachhaltiger, in der Brocki einzukaufen. Ich finde es grundsätzlich viel schöner, allen Dingen eine zweite Chance einzuräumen. Und man braucht ja nicht alles neu zu kaufen.»

Erschwinglicher Konsum, entspannte Atmosphäre

Wer durch die Brocki in Zug geht, dem begegnen zumeist strahlende Gesichter. Kinder, die in der Spielzeugabteilung stöbern. Seniorinnen, die in der Kleiderabteilung nach einem günstigen Anorak greifen, eine junge Frau, die sich in der wohlgeordneten Bibliothek einen Gute-Nacht-Schmöker heraussucht. Andere geniessen einfach die Atmosphäre des erschwinglichen Konsums und der entspannten Stimmung.

Iljas Nurceski hat einen roten Ball für seine Enkelin ergattert.
Iljas Nurceski hat einen roten Ball für seine Enkelin ergattert.

«Die positive Stimmung rührt von den zahlreichen, ausserordentlichen und positiven Freiwilligen, die mit Herz, Hilfsbereitschaft und Toleranz im Leben stehen. Im Brocki haben sie einen Ort, wo sie geschätzt werden, auf interessante Leute treffen und ihre Freizeit sinnvoll bereichern können», lobt Christine Langhans. Im Jahr leisten die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 24’000 Stunden Freiwilligenarbeit. «Eine Einzelperson würde dafür rund 12 Jahre arbeiten.»

Drittel oder Viertel des Neupreises

Was die Preise im Brocki betrifft, werden sie laut Christine Langhans so gesetzt, dass man sich an Neupreisen orientiere und davon ein Drittel oder ein Viertel verlange. «Je nach Nachfrage oder Wissen kann es auch mal mehr oder weniger sein. Wenn es mehr ist – bekommen wir es bald zu hören, wenn es weniger ist, nicht!», sagt sie und lacht.

Auch Masken sind zu haben
Auch Masken sind zu haben

Die Waren erhält die Brocki vor allem von Privatpersonen, ab und zu aber auch von Firmen. «Dies ist wie eine Spende, aber halt nicht in Form von Geld», so Langhans. Möbel werden im Vorfeld von einer Mitarbeiterin besichtigt und danach wird ein Möbeltransport organisiert.

Besonders glücklich an diesem Nachmittag strahlt Iljas Nurceski. Der pensionierte Nordmazedonier, der aus Skopje stammt und schon seit 35 Jahren in der Schweiz lebt, hat gerade ein Geschenk für seine dreijährige Enkelin ergattert. Einen Ball für vier Franken. «Ich kaufe hier ein, was man zuhause braucht.»


Puppen für zehn Franken: In der Brocki Zug | © Wolfgang Holz
30. September 2023 | 09:42
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