Bischof Felix Gmür
Schweiz

E-Mail zeigt: Bistum Basel wusste um Meldepflicht

Das Bistum Basel wusste im August 2019: Es muss den Fall Nussbaumer nach Rom melden. Dass dieser Schritt wider besseres Wissen unterlassen wurde, wirft Fragen auf. Genau wie der Umstand, dass das Bistum keine administrative Untersuchung will. Eine Spurensuche.

Annalena Müller

Am späten Abend des 27. August 2019 schreibt der zuständige Personalverantwortliche eine E-Mail an Denise Nussbaumer*. In der E-Mail informiert er sie, dass «Bischof Felix morgen eine kanonische Voruntersuchung» in ihrem Fall eröffnen wird. Weiter heisst es: «Damit ist er verpflichtet, den Fall an die Glaubenskongregation in Rom zu melden.»

Die Meldung in Rom wird nicht gemacht und die Akte Nussbaumer kurze Zeit später geschlossen. Dank medialen Drucks meldet Bischof Felix Gmür den Fall schliesslich doch in Rom: Vier Jahre später, am 4. Juli 2023. Jetzt muss sich das Bistum die Frage gefallen lassen: Wieso hat es trotz besseren Wissens den Fall nicht direkt gemeldet?

Wider besseres Wissen

Der Personalverantwortliche, der 2019 Denise Nussbaumer per E-Mail über die nächsten Schritte informiert, kennt das geltende Kirchenrecht. Da Denise Nussbaumer zum Zeitpunkt des mutmasslichen Missbrauchs minderjährig war, ist das Bistum Basel verpflichtet, den Fall an das Dikasterium für die Glaubenslehre zu melden.

«Damit ist er verpflichtet, den Fall an die Glaubenskongregation in Rom zu melden.» Im Ordinariat wusste man 2019 um die Meldepflicht.
«Damit ist er verpflichtet, den Fall an die Glaubenskongregation in Rom zu melden.» Im Ordinariat wusste man 2019 um die Meldepflicht.

Diese Bestimmung gilt seit 2001 – sie ist 2019 alles andere als neu. Die Kenntnis um die Meldepflicht nach Rom ist kirchenrechtliches Allgemeinwissen. Trotzdem entscheidet man im bischöflichen Ordinariat anders.

Was nach dem 27. August 2019 genau passiert, ist im Detail nicht geklärt. Naheliegend erscheint folgender Ablauf. Das Dossier Nussbaumer geht mit der Eröffnung der kanonischen Voruntersuchung von der Abteilung Personal an das bischöfliche Offizialat. Das Offizialat ist für kirchenrechtliche und kirchengerichtliche Angelegenheiten zuständig. Doch anstelle das Dossier nach Rom zu senden, wird die Voruntersuchung eingestellt und das Dossier verschwindet im diözesanen Archiv.

Bistum mauert, Personalleiter schweigt

Eine Anfrage beim Bistum, wie das passieren konnte – obwohl man sich im Ordinariat der Meldepflicht bewusst war – bleibt ohne greifbares Ergebnis. Die Kommunikationsverantwortliche wiederholt die Formulierung aus der Stellungnahme von der «Fehleinschätzung» und formuliert in doppelter Verneinung: «der Bischof hat die Vorgaben nicht absichtlich nicht eingehalten.»

Kathedrale St. Ursen am Bischofssitz in Solothurn
Kathedrale St. Ursen am Bischofssitz in Solothurn

Auch ein Anruf beim Verfasser der E-Mail bringt keine Details. Er ist seit Ende Juli 2020 pensioniert. Man merkt ihm seine Betroffenheit an. Dennoch bittet er um Verständnis, dass er sich «als Privatmann» nicht äussern möchte. Ob des kirchlichen Schweigens bleibt nur die Rekonstruktion aufgrund der vorhandenen Indizien und Dokumente.

Klerikaler Blindflug?

Die Abteilung Personal, die im Bistum Basel für den Umgang mit Missbrauchsfällen zuständig ist, kannte 2019 das kirchenrechtliche Prozedere. Dies geht aus der E-Mail eindeutig hervor. Ebenfalls hervor geht, dass auch Bischof Felix Gmür sich der Meldepflicht bewusst war. Der Personalverantwortliche verfasste die E-Mail «nach verschiedenen Abklärungen». In diese Abklärung dürfte der Bischof als Verantwortungsträger und Meldepflichtiger involviert gewesen sein. Denn ein Personalverantwortlicher kommuniziert in solchen Fällen zwar nach aussen, aber er entscheidet nicht.

Grabenkämpfe im Ordinariat zwischen denen, die es wussten und denen, die es nicht wissen wollten?
Grabenkämpfe im Ordinariat zwischen denen, die es wussten und denen, die es nicht wissen wollten?

Mit der in der E-Mail angekündigten Eröffnung der Voruntersuchung ging das Dossier in die Verantwortung des Offizialats über. Es ist bekannt, dass der damals zuständige Offizial den Fall falsch einschätzte. Prinzipiell hält er an dieser Einschätzung bis heute fest. In einem Telefonat mit kath.ch sagt er, die Nicht-Meldung nach Rom sei «kein gravierender Fehler» gewesen. Weitere Zitate aus dem Gespräch können nicht wiedergegeben werden, da er die Autorisierung verweigert hat.

Eventuell hat der Offizial den Bischof 2019/20 davon überzeugt, dass der Fall nicht nach Rom gemeldet werden müsse. Dieser Hergang wäre mit der Darstellung des Bistums vereinbar. In diesem Fall muss sich Felix Gmür die Frage gefallen lassen: Wieso hat er sich überzeugen lassen? Zu diesem Zeitpunkt lagen dem Bischof bereits Beschwerden über seinen Offizial vor. Und man kann annehmen, dass der Offizial a. D. seine Ansichten zur Missbrauchskrise nicht nur anrufenden Journalistinnen mitgeteilt hat. Schliesslich steht bei all dem auch die grössere Frage im Raum: Wie kann einem Offizial beim omnipräsenten Missbrauchsthema die unbedingte Meldepflicht überhaupt unbekannt gewesen sein – unabhängig von seiner individuellen Meinung zu dem Thema?

Externe Untersuchung?

Eine externe Untersuchung der Ereignisse, Arbeitsabläufe und Dynamiken zwischen den Ordinariats-Abteilungen könnte Aufschluss geben. Nach Bekanntwerden des Falls wurde aus Kirchenkreisen eine solche administrative Untersuchung gefordert. Auf diese Forderung hat Bischof Felix Gmür am 28. August – auf den Tag genau vier Jahre nach Eröffnung der Voruntersuchung im Fall Nussbaumer – mit einem offenen Brief an die Seelsorgenden reagiert. Dort schreibt der Basler Bischof, kurz zusammengefasst, dass er keine externe Kommission zusammenstellen konnte, weil die angefragten Kirchenrechtler abwarten wollten, was Rom zu der Sache sagt.

Felix Gmür will das Richtige machen - er gesteht Fehler ein.
Felix Gmür will das Richtige machen - er gesteht Fehler ein.

Wie kath.ch von verschiedenen Quellen erfuhr, hat der bischöfliche Brief zu Irritationen geführt. Gefordert wurde schliesslich keine kirchenrechtliche, sondern eine administrative Untersuchung. Kirchenrechtlich ist die Frage der Meldepflicht eindeutig, wie auch das Bistum derweil eingeräumt hat. Die Fragen der katholischen Öffentlichkeit richten sich nicht auf das «ob», sondern das «wie»: Wie kam es zu dieser Fehlentscheidung, obwohl man um die Meldepflicht wusste?

Externe administrative Untersuchungen werden häufig von Anwaltskanzleien durchgeführt. Viola Amherd muss wegen der Ruag gerade eine durchführen lassen. Und auch Bischof Charles Morerod hat bereits Erfahrung mit der Beauftragung einer Anwaltskanzlei zur Aufarbeitung interner Abläufe. Bei seinem Amtsbruder könnte sich Bischof Felix Gmür also informieren.

*Der richtige Name ist der Autorin bekannt.

Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene

Eine Liste mit kirchlichen und weiteren Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene ist hier zu finden.

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Bischof Felix Gmür | © Seraina Boner
3. September 2023 | 16:30
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