Sie hat Bruder Klaus nach dem Tod gesehen: Trude mit Pfarrer Isler
Schweiz

Die einen sehen ihn als Heiligen, andere als Versager

Sachseln, 18.8.17 (kath.ch) Das Visionsgedenkspiel «vo innä uisa» will zum 600-Jahr-Jubiläum des Nationalheiligen dem inneren und äusseren Weg von Niklaus von Flüe nachgehen, wie Regisseur Geri Dillier darlegt. Das Innere erscheint in der medial inszenierten Pilgervision, das Äussere in den Gesprächen und Handlungen der Darsteller, wie die Generalprobe am Donnerstagabend im Holzpavillon oberhalb von Sachseln zeigt. Die Inszenierung setzt auf Regionales und spielt gleichzeitig mit den Mitteln hoher Theaterkunst.

Regula Pfeifer

Unter gleissendem Scheinwerferlicht steigen Frauen die rechte Treppe zur Bühne herunter, mit Grabkränzen in den Händen. Gleichzeitig kommen Männer die linke Treppe runter. Es sind junge Söldner, die demnächst für den Bischof von Sitten in den Krieg nach Mailand ziehen. In der Mitte treffen beide Gruppen aufeinander. Die zierliche Berblin und der kräftige und rockig gekleidete Jakob bleiben stehen, die beiden ehemals Verliebten mustern einander feindselig. Die anderen Frauen und Männer weichen ihnen aus; kurz darauf rennt auch Jakob weg und Berblin gesellt sich zu den Frauen.

Das ist die Szene, die das Begräbnis von Bruder Klaus beschreibt, und dabei hauptsächlich die verlorene Liebe einer jungen Frau und eines jungen Mannes dieser Innerschweizer Gesellschaft thematisiert. Die beiden Jugendlichen bilden den Gegenpol zu den eigentlichen Hauptfiguren des Visionsgedenkspiels: zu Bruder Klaus und seiner Frau Dorothee. Denn die Szene zeigt eine Frau, die ihrem Geliebten nicht verzeiht, dass er trotz ihrer Liebe in den Krieg zieht; er sie also für unbestimmte Zeit verlässt, um seinen Zielen zu folgen. Dorothee hingegen erlaubte ihrem Ehemann Klaus den Wechsel ins Eremitenleben.

Die prominenten Abwesenden

Dorothee und Niklaus von Flüe, um die das Stück dreht, sind die prominenten Abwesenden dieses Theaterabends, der in der Dunkelheit eines Holzpavillons in ländlicher Umgebung spielt. Als Zeitpunkt ist der Tod des Nationalheiligen von Flüeli-Ranft gewählt. Eine Frau platzt in die strickende und Socken stopfende Frauenrunde – und überbringt die Todesnachricht. Die Heiterkeit ist verflogen, voller Trauer ziehen sich die Frauen zurück. Die folgenden Szenen mit den Frauen zeigen: Jede hat hier ihre eigene Meinung über diesen Mann. Die eine sieht ihn als Heiligen, die andere als Versager – angesichts seines Abgangs aus seiner kinderreichen Familie. Und eine will ihn auch aufgebahrt nicht sehen.

Auch die Männer zeigen unterschiedliche Ansichten – und Absichten. Dem Pfarrer und Beichtvater des Verstorbenen ist ein würdiges Begräbnis in kleinem Rahmen enorm wichtig. Der Landammann hingegen will die ganze Oberschicht der Region einladen und wittert bereits ein lukratives Wallfahrtsgeschäft, worauf sich der Pfarrer und der Kaplan angewidert abwenden.

Der älteste Sohn von Bruder Klaus wiederum kann dem Heldenrummel um seinen Vater absolut nichts abgewinnen. Der Vater sei bereits vor seinem Rückzug in den Ranft mitten in der Arbeit jeweils abgehauen und habe ihm die Verantwortung überlassen. Das konnte er ihm nicht verzeihen. Ein früherer Freund seines Vaters erklärt ihm jedoch, sein Vater habe bereits als junger Mann weiter und tiefer gesehen als alle anderen.

Frauen zerbrechen sich über Dorothee den Kopf

Die Frauen zerbrechen sich nicht nur über Niklaus den Kopf, sondern auch über Dorothee. Weshalb diese ihren Mann gehen liess, fragen sie sich. Agnes, Dorothees engste Freundin, kann diese Entscheidung am ehesten nachvollziehen. Sie ist Dorothee oft beigestanden, wenn Klaus für Tage verschwand. Im Stück erinnert sie sich an die Anfänge der Liebe zwischen den beiden, wie die junge, quirlige Dorothee Gefallen fand an dem älteren, wortkargen Klaus, der sie zum Tanz aufforderte. Und Agnes verrät ihren Traum. Da tanzte sie selbst mit Klaus – und er blieb für immer bei ihr.

Die Zeitgenossen erscheinen allein oder in Gruppen auf der Bühne – alternierend und in stark getakteten Szenen. Immer wieder tritt auch der Chor auf, als musikalische und kommentierende Kraft, teils inmitten der, teils ohne die Schauspieler.

Als meldete sich Gott zu Wort

Unterbrochen und rhythmisiert wird die Aufführung auch durch die medial inszenierte «Pilgervision«, die Niklaus von Flüe gehabt haben soll. Da wechselt die gewaltige Leinwand über der Bühne von ihrer unauffälligen, bläulichen Farbe in stark gezeichnete, wallende Bilder, die mal an Wasser, an Bäume, an Eis oder andere Objekte erinnern. Im Rücken der Zuschauer erklingt dazu eine starke Männerstimme, die die Pilgervision in ihrer altertümlichen deutschen Sprache vorliest, so als meldete sich gerade Gott zu Wort.

Die Vision handelt von einem Menschen, der einen Pilger antrifft, von dem er stark angezogen wird und dabei entdeckt, dass er eine Liebe gefunden hat, die in ihm selbst angelegt ist. Der Blick auf den Pilger trägt dabei irritierend homoerotische Züge.

Irritationen und Fragen bleiben in der Luft, auch wenn der Theaterzauber vorbei ist. Womöglich gehört das zum Programm. Denn es erinnert an die Aufforderung, die der Kaplan im Stück einmal eindringlich ans Publikum richtet: Jeder und jede müsse den Bruder Klaus in sich selbst suchen. Das Gedenkspiel kann als Anregung dazu dienen. Es vermittelt eine Ahnung davon, was diesen geheimnisvollen, gottsuchenden Menschen umtrieb und wie das bei den anderen Menschen ankam. Die Generalprobe am Donnerstag präsentierte diese Ahnung fast in Perfektion – wäre da nicht ein technischer Aussetzer bei der Bildprojektion zur «Pilgervision» gewesen.

Hinweis: Die Première des Visionsgedenkspiels «vo innä uisä» ist am 19. August, 20 Uhr.

vo innä uisä-Flyer .

Sie hat Bruder Klaus nach dem Tod gesehen: Trude mit Pfarrer Isler | © Sibylle Kathriner
18. August 2017 | 16:06
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Erfahrene Laienschauspieler

Regisseur Geri Dillier hat für sein Visionsgedenkspiel «vo inne uisä» 30 erfahrene Laienschauspieler der Region gewonnen. Das gibt dem Stück eine authentische Note. Denn die Auftretenden sprechen den hiesigen Dialekt. «Es sind ja Zeitgenossen von Bruder Klaus, die sollen auch sprechen wie Bruder Klaus», sagt Dillier gegenüber kath.ch. Auch die Lieder, die Autor Paul Steinmann und Musiker Jules Dillier eigens für das Gedenkspiel entwickelt haben, sind in Innerschweizer Dialekt verfasst. «Der Obwaldner Dialekt hat eine Knappheit und Kargheit, die gut zum Wesen von Bruder Klaus passt», findet Dillier.

«Agnes» (rechts) vor dem Auftritt | © R. Pfeifer

Einer der Darsteller ist Ueli Zutter, pensionierter Maschineningenieur. Er spielt im Stück den Pfarrer Isler, Beichtvater von Bruder Klaus. Seit 35 Jahren tritt er im Theater auf und hat sich in Tageskursen Schauspielkenntnisse angeeignet, wie er gegenüber kath.ch erklärt. Mal spielte er im Theater Sarnen, mal im Theater Giswil mit, und nun – beim Visionsgedenkspiel – im Theater Sachseln. Er habe nach einer spielerischen Enttäuschung wieder ein grosses Theatererlebnis gesucht. Das habe er hier gefunden, erklärt Zutter und lobt das «irrsinnig gute Team».

Barbara Keiser spielt im Stück die beste Freundin von Dorothee von Flüe und fühlt sich inzwischen fast «verwachsen mit der Figur». Die kaufmännische Mitarbeiterin eines juristischen Büros macht bereits in der sechsten Theaterproduktion mit – üblicherweise beim Theater Sarnen. Das Visionsgedenkspiel findet sie «fantastisch». Es spreche vieles an, was die Leute in der Region auch heute noch über ihren berühmten Vorfahren diskutierten, ist sie überzeugt. Das Stück werde in jedem Menschen etwas anklingen lassen. (rp)