Matthias Fischer Seelsorge Palliative Care
Schweiz

«Die DNA der katholischen Kirche»: Pfarrer Matthias Fischer und seine «Wut-Kunst» über den Missbrauch

Matthias Fischer thematisiert in seiner Ausstellung in der Berner Heiliggeistkirche sexualisierte und spirituelle Gewalt durch die katholische Kirche. Und zwar in Bildern, Installationen und szenischen Fotografien. Der reformierte Pfarrer wurde als Kind selbst missbraucht – systematisch durch ein Netzwerk pädophiler katholischer Priester in Deutschland. Vergebung ist für ihn keine Option.

Wolfgang Holz

Matthias W. Fischer ist heute Vater von vier Kindern. Seine eigene Kindheit hat er selbst teils traumatisch erlebt. Er wuchs streng katholisch auf. Seine Eltern waren als Kinder vom Krieg und der anschliessenden Flucht gekennzeichnet. Sie suchten in ihrer Hilflosigkeit bei der katholischen Kirche Zuflucht. Ein Priester, der für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig war, nutzte das Abhängigkeitsverhältnis brutal aus.

War Messdiener

1959 im deutschen Braunschweig geboren, war Matthias das fünfte Kind der Familie. Er war als Messdiener massiver sexualisierter Gewalt ausgeliefert, durch ein Netzwerk pädophiler Priester am Domhof in Hildesheim. Er war nicht das einzige Opfer.

Kunstwerk von Matthias Fischer: "Ich lasse dich nicht"
Kunstwerk von Matthias Fischer: "Ich lasse dich nicht"

2021 stellte der Bischof von Hildesheim einen Bericht zu den Missbrauchsfällen im Bistum vor. Er sprach dabei von Hunderten Missbrauchsopfern, vor allem Knaben, und von 45 beschuldigten Geistlichen. Matthias Fischer kannte drei davon.

1982 aus der katholischen Kirche ausgetreten

Im Alter von 23 Jahren trat Matthias W. Fischer deshalb nicht nur aus der katholischen Kirche aus. Er studierte auch evangelische Theologie in Kiel, Göttingen und Bern und wurde reformierter Pfarrer. 1986 emigrierte er in die Schweiz, wo er lange Jahre als Gemeindepfarrer in den Kantonen Aarau und Zürich arbeitete.

"Coming soon"
"Coming soon"

Nach mehreren Weiterbildungen startete er 2014 als Spitalseelsorger in der Langzeitpflege des Zürcher Gesundheitszentrums für das Alter Bachwiesen, und zwar mit dem Schwerpunkt «Contact-Clownerie für Menschen mit Demenz». «Als Clown gehe ich über meine Rolle als Pfarrer hinaus und kann meinen Glauben und meine Zweifel unzensiert – mit der nötigen Prise Humor – ins Spiel bringen», so Fischer.

Wut und Radikalität in seiner Kunst

Im Unterschied dazu prägen Wut und Radikalität gegenüber dem, was ihm als Kind in der katholischen Kirche widerfahren ist, seine Kunst von heute. Seine Werke sind radikal. Sie verheimlichen nichts. Im Gegenteil, sie klagen auf drastische Weise an. Eine «Art Brut» des Widerstands gegen sexuellen Missbrauch – die sehr ausdrucksstark, berührend und authentisch wirkt.

"Gebet"
"Gebet"

In seinem Werk «Die DNA der katholischen Kirche» etwa, welches an einer Säule der Heiliggeistkirche angebracht ist, lässt er eine Fratze, die unter einer Kapuze versteckt ist, die Hände aus einem ausgemergelten Körper nach aussen greifen – als ob sie nach etwas grapschen will.

Schweinekopf im Beichstuhl

Im Eingangsbereich, wo seine Ausstellung «Ich lasse dich nicht» aufgebaut ist, steht ein hölzerner Beichtstuhl. Darin dreht sich ein Schweinekopf, der sich in verschiedenen Spiegeln ins Unendliche multipliziert.

"Die katholische DNA"
"Die katholische DNA"

Es gibt überdimensionale Figuren mit roten Geschlechtsorganen. Über einen gläsernen Dildo hat er einen Schleier gehängt und lässt so in einer krassen Symbolik die Vertuschung des Missbrauchs anklingen.

Wie in der «Berner Zeitung» zu lesen ist, vertraute er als Erwachsener der Leitung eines katholischen Bildungshauses im Kanton Zug seine inneren Nöte und Glaubenszweifel an. Der Geistliche habe ihm gesagt, dass er vom Teufel besetzt sei und dieser ausgetrieben werden müsse. «Noch heute schäme ich mich, dass ich dem Exorzismus zustimmte», sagt Fischer.

Angst, Leere, Bedrohung

In seinem künstlerischen Schaffen hat Matthias W. Fischer offenbar Formen gefunden, um den schmerzhaften Erfahrungen sexualisierter Gewalt, die sich in sein Leibgedächtnis eingeschrieben haben, ein Ventil zu geben. Die Bilderwelt ist vielgestaltig. Sie zeigt sich im Ausdruck von Angst, Enge, Leere und Bedrohung. Und sie lässt immer auch Momente unaussprechlicher Weite erahnen. Dabei hat er mit der Kunst erst spät begonnen. Seine Kinder schenkten ihm zu seinem 60. Geburtstag eine Staffelei.

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«In der Kunst habe ich einen kreativen Ausdruck gefunden, das Unsagbare und Unvorstellbare der erlittenen Verbrechen sichtbar zu machen und in den öffentlichen Diskurs zu stellen», erklärt Pfarrer Matthias Fischer gegenüber kath.ch.

«Für mich persönlich bedeutet mein Widerstand ohne Vergebung eine Quelle der Kraft.»

Matthias Fischer

Wobei es für ihn keine Vergebung dafür gibt, was die katholische Kirche mit dem Missbrauch Menschen angetan habe. «Diese Vorkommnisse sind unentschuldbar. Solche faulen Entschuldigungen, die von der Kirche für den Missbrauch vorgebracht worden sind, empfinde ich als Ohrfeige», sagt Matthias Fischer.

"O"
"O"

Der katholischen Kirche und ihren Verantwortlichen bleibe nicht anderes übrig, als mit dieser Schuld zu leben. «Es gibt Bereiche, in denen es für Vergebung im theologischen Sinn keinen Platz gibt. Für mich persönlich bedeutet mein Widerstand ohne Vergebung eine Quelle der Kraft.»

*Die Kunstausstellung «Ich lasse dich nicht …» mit Werken von Matthias Fischer wird noch bis zum 11. Februar in der Heiliggeistkirche Bern gezeigt. Veranstalterin ist die offene Kirche Bern. Ein Leseabend findet am 28. Januar um 17 Uhr statt, eine Podiumsdiskussion am 30.Januar um 19.30 Uhr.


Matthias Fischer Seelsorge Palliative Care | © zVg
22. Januar 2024 | 17:15
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