Fest für die Liturgischen Dienste in Einsiedeln.
Theologie konkret

Dialekt im Gottesdienst: «Gerade die Lebendigkeit der Mundart kann Liturgie bereichern und vertiefen»

Sind Dialekt und Mundart eine würdige Liturgiesprache? Gerade in der Deutschschweiz empfinden viele die Standardsprache des Hochdeutschen als etwas Fremdes. Manche Seelsorgende wechseln deshalb im Gottesdienst in den Dialekt über, um die Sprache der Gläubigen zu sprechen. Liturgie-Expertinnen und Experten finden Dialekt und Mundart sehr wohl als lebendige und gesprochene Sprache im Gottesdienst legitim. Allerdings setzen sie auch klare Grenzen.

Wolfgang Holz

«Buredüütsch» ­– also die Sprache der Bauern – in der Kirche zum Gottesdienst? Diese Frage stellt sich in Schweizer Kirchen heutzutage längst nicht mehr. Weil so manche Seelsorgende im Gottesdienst am Sonntag Dialekt beziehungsweise Mundart ganz natürlich in die Liturgie einbauen. Bei der Predigt etwa.

Pfarrer Klaus Meyer predigt in St. Urban, WInterthur.
Pfarrer Klaus Meyer predigt in St. Urban, WInterthur.

Aber ist es auch würdig, als Gottessprache Dialekt zu verwenden, wenn zum Beispiel der Priester den Beginn der Wandlung «Als er am Abend ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf…» in Mundart zum Ausdruck bringt?

«Keine Sprachform liturgisch unwürdig»

Liturgieexperte und Theologe Josef-Anton Willa, katholischer Pfarreiseelsorger in der Berner Kirchgemeinde St. Marien, stellt fest, dass infolge der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils Muttersprachen beziehungsweise Volkssprachen im Gottesdienst zugelassen sind. «Deshalb lässt sich keine Sprachform generell als liturgisch unwürdig qualifizieren.»*

Josef-Anton Willa, Pfarreiseelsorger in St. Marien in Bern
Josef-Anton Willa, Pfarreiseelsorger in St. Marien in Bern

Das heisst: Seitdem Lateinisch als Gottesdienstsprache nicht mehr Dogma ist, sind National- und Volkssprachen absolut legitim. Und Dialekt ist in der Schweiz Volkssprache par excellence. Und nicht nur das. Willa: «Gerade die Lebendigkeit und Vielfalt mundartlicher Kommunikation kann das Beziehungsgeschehen der Liturgie bereichern und vertiefen helfen.»

Dialog und Dialekt

Menschen, deren sprachlicher Lebensalltag sich hauptsächlich in Mundart und Dialekt abspielt, sollen sich also auch im Gottesdienst in einer Liturgiesprache wiederfinden können, die sie anspricht.

Gottesdienst in der Jesuitenkirche vor der Synode.
Gottesdienst in der Jesuitenkirche vor der Synode.

Das bedeutet: Dialekt ist alles andere als unwürdig oder verwerflich in der Kommunikation der Menschen mit Gott. Willa weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Begriffe «Dialog» und «Dialekt» auf die gleichen etymologischen Wurzeln zurückgehen – denn «dialegomai» bedeute auf Griechisch nichts Anderes als «miteinander reden».

Übersetzungen aus dem Lateinischen

Aber wird durch Dialekt im Gottesdienst Liturgie per se verständlicher und ansprechender für die Feiernden? Gunda Brüske, Leiterin des Liturgischen Instituts der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg, weist auf ein interessantes kulturelles beziehungsweise kultisches Phänomen hin.

Gebet
Gebet

«Die Übersetzung der offiziellen liturgischen Feierbücher aus dem Lateinischen in die Volkssprachen zeigte, dass sprachliche Verstehbarkeit nicht deckungsgleich ist mit der Verständlichkeit der kommunizierten Inhalte und der Vollziehbarkeit insbesondere im Gebet.»

Kulturelle Fremdheit

Das habe unter anderem damit zu tun, so Brüske, dass die ursprüngliche römische Liturgiesprache besonders in den Gebeten oft nüchtern und knapp sei. Dadurch werde die kulturelle Fremdheit der heutigen Menschen gegenüber dem Geist der Antike spürbar. «Seit der Antike ist die Sprache der Liturgie von der Bibel geprägt. Die Unkenntnis der Bibel erschwert das Verstehen der liturgischen Sprache.»

Gunda Brüske, Leiterin Liturgisches Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg
Gunda Brüske, Leiterin Liturgisches Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg

Die festlich-kultische, gehobene Sprache der Liturgie unterscheidet sich also – «je nach persönlichem Empfinden angenehm oder unangenehm» – vom sprachlichen Alltagsgebrauch. Liturgische Bildung ist demnach auch ein Erwerb von Sprachkompetenz. Wobei es laut Teresa Berger «keine liturgische Sprache ohne eine liturgische Gemeinschaft gebe.»

Identität und Lebendigkeit

Das bedeutet: Sprache drückt im Gottesdienst nicht zuletzt auch die Identität und die Lebendigkeit einer Glaubensgemeinschaft aus. In diesem Sinn hat die Liturgieexpertin auch nichts gegen die Verwendung von Dialekt im Gottesdienst.

«Mundart kann bei allen Elementen im Gottesdienst verwendet werden, in denen Vorstehende mit eigenen Worten sprechen, etwa bei der Begrüssung, der Predigt, bei den Fürbitten, oder wenn alle gemeinsam singen», sagt Gunda Brüske. In gruppenspezifischen, nicht-eucharistischen Feiern, insbesondere mit kleinen Kindern, gebe es ohnehin viel Raum für Mundart.

Kindergottesdienst am Ranfttreffen 2018
Kindergottesdienst am Ranfttreffen 2018

Standardsprache: Distanz zum Alltag

Mundart und Dialekt sind im Sonntagsgottesdienst also durchaus adäquat. «Das Leben der Gottesdienst feiernden Menschen, das vor allem im Dialekt seinen sprachlichen Ausdruck findet, darf in der Liturgie Platz finden», ist Liturgie-Experte Josef-Anton Willa überzeugt. Dennoch ist für ihn die Standardsprache Hochdeutsch im Gottesdienst genauso Pflicht. Denn der Dialekt zeitigt Defizite.

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«Die Standardsprache bringt wohl besser als der Dialekt die Verbundenheit von Christgläubigen über Raum und Zeit hinweg zum Ausdruck», so Willa. Ein weiterer Vorteil der Standardsprache bestehe darin, dass sie – gerade in der deutschsprachigen Schweiz – eine gewisse Distanz zum Alltag zu schaffen vermöge und mit Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit assoziiert werde.

Liturgische Formeln

Zudem dürfe niemand wegen der Verwendung von Dialekt von der Teilnahme am Gottesdienst ausgeschlossen sein. Stichwort: Verständlichkeit. Biblische Lesungen verlangten eher die Schriftsprache ebenso wie sakramentale und liturgisch regelmässig wiederkehrende Formeln wie «Ich taufe dich im Namen des Vaters…», «Der Herr sei mit Euch» sowie Orationen und Hochgebete.

Bischof Valerio Lazzeri (2.v.r.) während des Hochgebets
Bischof Valerio Lazzeri (2.v.r.) während des Hochgebets

 «Der Dialekt passt generell besser zu einem schlichten Gottesdienst in einer Kapelle oder auf einer Alp als zu einer feierlichen Kathedralliturgie», so Willa. «Er passt besser zu einem Gruppengottesdienst am Werktag – zum Beispiel zu einem Kinder- und Seniorengottesdienst – als zum sonntäglichen Gottesdienst der ganzen Gemeinde.»

Dialekt als «Sprechakt»

Wobei sich der Dialekt in erster Linie für jene ‹Sprechakte› eigne, die sich unmittelbar an die versammelte Gemeinde richten.» Also, im Gottesdienst bei der Predigt, bei Fürbitten, Berichten und Erzählungen, Einführungen und Mitteilungen. Auch bei Taufen, Trauungen, Ehejubiläen und Beerdigungen sei Dialekt sehr passend.

Last, but not least sieht Josef-Anton Willa noch einen Vorteil im Dialekt. Denn die Ursprünglichkeit und die Lebendigkeit der Volks- und Umgangssprache könnten «eine allzu geschliffene liturgische und theologische Sprache aufbrechen.» Zum Beispiel durch Mundart-Gebete und -Gedichte. Durch Psalmen in Dialektgestalt. Durch kraftvolle Wortschöpfungen.

*Zitiert aus dem Aufsatz von Josef-Anton Willa: «Hüt isch e grosses Fäscht». Dialekt im Gottesdienst


Fest für die Liturgischen Dienste in Einsiedeln. | © zVg
21. Januar 2024 | 07:00
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