«Der Tag war ein Zeichen der Hoffnung für alle, ein Meilenstein»

Genf, 8.7.18 (kath.ch) Der Papstbesuch in Genf ist bereits eine Weile her. Das gemeinsame Anliegen der Kirche nach Einheit bleibt ein vordringliches Ziel. kath.ch hat Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen dazu befragt, welche Bedeutung der Besuch von Papst Franziskus für die künftige Zusammenarbeit des ÖRK mit der katholischen Kirche bedeutet. Tveit spricht von einem Meilenstein in der Ökumene.

Martin Spilker/Sylvia Stam

Was war Ihrer Meinung nach die Hauptbotschaft des Papstes bei seinem Besuch im ÖRK?

Olav Fykse Tveit: Der Besuch von Papst Franziskus beim ÖRK hat gezeigt, wie Spaltungen, Distanzierungen und Konflikte durch gemeinsames Beten und gegenseitige Begegnungen überwunden werden können. Ich war Papst Franziskus sehr dankbar für sein starkes Bekenntnis zur Ökumene, das er in seiner Predigt am Morgen, in seiner Rede am Nachmittag und auch während unserer gemeinsamen Zeit im Ökumenischen Institut Château de Bossey zum Ausdruck brachte.

Ich war persönlich bewegt, als er in der Kapelle sagte: «Liebe Brüder und Schwestern, ich wollte hierher kommen, ein Pilger auf der Suche nach Einheit und Frieden. Ich danke Gott, denn hier habe ich euch gefunden, Brüder und Schwestern, die bereits auf derselben Reise sind.»

Gemeinsam auf dem Weg als Schwestern und Brüder werden wir uns auf neue Art hin zur christlichen Einheit bewegen. Papst Franziskus bekräftigte den Geist der Pilgerfahrt der Gerechtigkeit und des Friedens gemeinsam mit den ÖRK-Mitgliedskirchen und anderen ökumenischen Partnern. Er erinnerte uns auch daran, dass wir gemeinsam auf dem Weg zu den Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen sein müssen. Ebenso hätten wir uns für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt einzusetzen, wobei wir uns immer an unser missionarisches Mandat erinnern sollten.

Hat der Besuch des Papstes das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem ÖRK verändert?

Tveit: Dieser Tag war ein Meilenstein. Wir werden hier nicht anhalten. Wir werden weitermachen, wir können gemeinsam viel mehr für jene tun, die uns brauchen. Wir werden weiterhin gemeinsam für die sichtbare Einheit der Kirche in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung arbeiten. Unsere Zusammenarbeit bei Mission und Evangelisation wird unser gemeinsames Zeugnis gegenüber der Welt stärken, zusammen mit Initiativen zur Lösung von Fragen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit und Armut.

«Wir werden die Zusammenarbeit für Friedensinitiativen intensivieren.»

Kommen auch neue Formen der Zusammenarbeit hinzu?

Tveit: Die römisch-katholische Kirche wird sich weiterhin in der ökumenischen Ausbildung und Erziehung engagieren – jetzt zum Beispiel mit dem Dekan des Ökumenischen Instituts, einem römisch-katholischen Professor für biblische Theologie. Gemeinsam mit dem Dikasterium zur Förderung der integralen menschlichen Entwicklung im Vatikan bereiten wir für September eine grosse Konferenz über Migration, Fremdenfeindlichkeit und Populismus in Rom vor. Ich sehe, dass der ÖRK und die römisch-katholische Kirche die Zusammenarbeit für gemeinsame Friedensinitiativen an vielen Orten der Welt intensivieren werden.

Die Begegnung mit den Studenten im Ökumenischen Institut in Bossey war eine gute Gelegenheit, die Rolle der Jugendlichen in den Kirchen zu bestätigen. Unser Jugendsekretär war in Rom zu einer Vorbereitungskonferenz für die bevorstehende Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode über die Jugend, den Glauben und die Berufungsentscheidung, die viele wegen der Beteiligung der Jugendlichen an den Vorbereitungen nur «Jugendsynode» nennen. Gemeinsam können wir den Weg für die nächsten Generationen ebnen, um neue Ausdrucksformen von Einheit, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen, da wir immer mehr miteinander teilen.

Haben Sie an der Heiligen Messe im Palexpo teilgenommen?

Tveit: Ja, wir waren im Palexpo mit den Teilnehmern unserer Tagung des ÖRK-Zentralausschusses, die dem Besuch vorausging, sowie mit ÖRK-Mitarbeitern und ökumenischen Partnern. Es war schön, so viele katholische Gläubige zu sehen, die aus der ganzen Schweiz und dem benachbarten Frankreich kamen, um gemeinsam mit Papst Franziskus die Eucharistie zu feiern. Es war gut, diesen Tag mit dem Gebet in unserer Kapelle im ökumenischen Zentrum zu beginnen und ihn gemeinsam mit diesen Tausenden von Menschen zu beenden und mit Papst Franziskus zu beten, dass Jesus Christus uns auf unserem «Weg der Ökumene» begleiten wird.

Wie haben Sie den Gottesdienst erlebt?

Tveit: In seiner Predigt erleuchtete der Heilige Vater drei Worte des Vaterunseres: «Vater», «Brot» und «Vergebung». Wir sind eine grosse Familie. Wir müssen einen einfachen Lebensstil wählen und uns gegenseitig im Gebet und Handeln unterstützen. Wir dürfen nie müde werden zu vergeben. Wir können als Frucht der ökumenischen Bewegung sehen, dass Christen von Konflikten zur Gemeinschaft übergehen und sich gegenseitig vergeben.

Wenn wir gemeinsam das Gebet des Herrn beten, werden wir daran erinnert, dass es so viel mehr gibt, was uns verbindet, als das, was uns trennt.

Viel wurde in den Reden über die Einheit der Christen gesagt, aber wenig war in der Heiligen Messe zu sehen. Wäre eine ökumenische Feier nicht angemessener gewesen?

Tveit: Die Predigt war eine sehr bedeutsame Botschaft an die katholische Gemeinschaft, die den Zweck des päpstlichen Besuchs beim Ökumenischen Rat der Kirchen an diesem Tag widerspiegelte. Ich bemerkte auch eine sehr bedeutende Präsenz von Vertretern anderer Kirchen und der Behörden von Genf und der Schweiz.

«Wir müssen erkennen, dass wir am Tisch des Herrn noch getrennt sind.»

Dies war sowohl eine Gelegenheit zu sehen, wie viel wir gemeinsam haben als auch zu erkennen, dass wir am Tisch des Herrn immer noch getrennt sind. Wir sind gemeinsam unterwegs und wissen, was wir noch zu tun haben.

Ein ökumenischer Gottesdienst hätte den Tausenden von Katholiken die Möglichkeit genommen, gemeinsam mit Papst Franziskus die Eucharistie zu feiern. Als wir uns auf seinen Besuch im ÖRK vorbereiteten, war uns allen von Anfang an klar, dass es für die katholischen Gläubigen nicht nur eine Möglichkeit geben musste, den Heiligen Vater zu treffen, sondern auch mit ihm Eucharistie zu feiern.

Auch politische Themen – Kriege, Hunger, Frauenrechte – wurden an diesem Tag mehrfach angesprochen. Sehen Sie eine Chance, in Zukunft gemeinsam mit der römisch-katholischen Kirche in solchen Fragen noch aktiver zu werden?

Tveit: Ich habe bereits erwähnt, dass wir zusammen mit dem Dikasterium zur Förderung der integralen menschlichen Entwicklung im September eine grosse Konferenz über Migration, Fremdenfeindlichkeit und Populismus in Rom vorbereiten. Wir hoffen, dass Papst Franziskus an dieser Konferenz eine Rede halten wird. Es wird die vielen Menschen auf ihrem Weg zusammen mit denen, die ihre Herzen und Häuser öffnen, ermutigen, sie zu empfangen.

Die ökumenische Initiative der Gemeinschaft Sant’Egidio und der evangelischen Kirchen in Italien für einen humanitären Korridor ist ein gutes Beispiel, das in anderen Ländern aufgenommen werden oder zu neuen Formen des gemeinsamen Handelns inspirieren kann.

«Kirchen können nur gemeinsam Zeichen der Versöhnung sein.»

Wir arbeiten derzeit eng mit den Kirchen in Syrien und Irak, im Südsudan, in Burundi und Nigeria, in Kolumbien und vielen anderen Krisen- und Konfliktgebieten zusammen. Ich sehe, dass der ÖRK und die römisch-katholische Kirche die Zusammenarbeit für gemeinsame Friedensinitiativen intensivieren werden, weil nur die Kirchen gemeinsam ein Zeichen der Versöhnung und Hoffnung für die geteilte Welt sein können.

Unter dem Dach des ÖRK sind sehr unterschiedliche Kirchen versammelt. Das Amt und die Person des Papstes würden nicht bei allen gleich gut angenommen. Wie gehen Sie damit um?

Tveit: Natürlich ist das Primat des Bischofs von Rom eine Frage der Diskussion zwischen den Kirchen, aber es ist kein Thema mehr, das nicht im Dialog miteinander behandelt werden kann. Wir wissen, dass einige unserer Mitgliedskirchen noch immer kritische Fragen und Vorbehalte gegenüber der offiziellen Lehre der römisch-katholischen Kirche haben. – Genau so ist es umgekehrt. Einige haben schwierige Beziehungen gehabt, weil sie in der Geschichte eine zahlenmässige Minderheitskirche waren und weniger dominant neben der der römisch-katholischen Kirche in typisch «katholischen» Ländern lebten.

«Papst Franziskus geniesst viel Respekt bei vielen unserer Kirchen.»

Der päpstliche Dienst als Dienst für die Einheit, als «primas inter pares», als ein Leiter unter Gleichen oder als Leitfigur für das Christentum in der Öffentlichkeit, findet in vielen unserer Kirchen Unterstützung. Papst Franziskus selbst geniesst viel Respekt und Unterstützung bei vielen unserer Kirchen, was auch durch seinen Besuch im ÖRK zum Ausdruck kam. (Übersetzung: rp)

Mehr zum Papstbesuch finden Sie in unserem Dossier «Der Papst in der Schweiz».

Olav Fykse Tveit | © Oliver Sittel
8. Juli 2018 | 13:20
Lesezeit: ca. 5 Min.
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