Matthias Salzmann, Vizepräsident Avalems
Schweiz

Das Wallis und die Sterbehilfe: Reglement soll Umgang damit präzisieren

Im Wallis müssen Pflegeeinrichtungen mit öffentlichem Auftrag eigentlich per sofort Sterbehilfe zulassen. Doch erst müssen sie ihr Reglement entsprechend anpassen. «Es wird einheitliche, für alle Institutionen geltende Leitlinien geben», sagt Matthias Salzmann. Er ist Vizepräsident von Avalems, dem Dachverband der Walliser Alters- und Pflegeheime.

Sarah Stutte

Was beinhaltet das neue Sterbehilfe-Gesetz?

Matthias Salzmann*: Künftig müssen alle öffentlichen Pflegeinstitutionen die Sterbehilfe zulassen – also öffentliche Spitäler, Alters- und Pflegeheime sowie soziale Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Nur private Alters- und Pflegeheime dürfen Sterbehilfe weiterhin in ihren Räumlichkeiten verweigern. Solche privaten, nicht vom Kanton subventionierte Institutionen gibt es meines Wissens im Kanton Wallis keine.

«Richtlinien werden erst festgelegt.»

Ist die Sterbehilfe in den Heimen nun schon Realität?

Matthias Salzmann: Nein. Aber auch vor dem Gesetz gab es bereits Anfragen. Das Gesetz zielte darauf ab, für alle Institutionen den gleichen Rahmen zu setzen. Der Kanton hat 18 Monate Zeit, die Verordnung zu verabschieden. Die Avalems wird sich an diesem Prozess beteiligen.

Im Alters-, Pflege- und Behindertenheim St. Josef in Susten war schon vor der Abstimmung Sterbehilfe möglich.
Im Alters-, Pflege- und Behindertenheim St. Josef in Susten war schon vor der Abstimmung Sterbehilfe möglich.

Offiziell in Kraft getreten ist das Gesetz aber bereits am 1. Januar 2023…

Salzmann: Offiziell schon, jedoch müssen die Richtlinien und genauen Verhaltensvorschriften erst festgelegt werden.

Im Moment werden also noch die Leitlinien für die Alters- und Pflegeheime ausgearbeitet?

Salzmann: Richtig. Wir arbeiten dazu mit unserem eigenen verbandsinternen Ethikrat zusammen. An der nächsten GV im Juni treffen sich alle Avalems-Mitglieder, also alle Alters- und Pflegeheime, die dem Verband angeschlossen sind. Dort wird die Marschrichtung dann thematisiert und festgelegt.

«Alle Optionen kennen.»

Was steht dabei für die Avalems im Zentrum?

Salzmann: Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner eine Wahl treffen können, wenn sie alle Optionen und Möglichkeiten kennen. Wer die Sterbehilfe in Anspruch nehmen darf und wann, ist per Gesetz klar definiert.

Seniorin in einem Altersheim.
Seniorin in einem Altersheim.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Heimen sind in den Sterbehilfeprozess nicht involviert. Das muss eingehalten werden. Es geht darum, die übrigen Bewohnerinnen und Bewohner sowie das Personal vor psychischen Belastungen zu schützen.

Werden die Leitlinien für alle Einrichtungen gleich aussehen?

Salzmann: Ja. Sie sollen einheitlich gelten. Der genaue Ablauf bei einer Suizidbeihilfe ist bereits durch ein strenges Protokoll geregelt. Unsere Vorgabe soll sich auf den Umgang mit dem Sterbehilfeprozess im eigenen Haus beziehen. Wie haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verhalten? Wie kommuniziert das Personal mit den Bewohnerinnen und Bewohnern über diese Thematik?

«Neue Kommunikationsebene schaffen.»

Bis jetzt gab es staatlich finanzierte Altersheime im Wallis, für die Sterbehilfe kein Thema war und die den Vorgang innerhalb ihrer Häuser verboten haben. Besonders diese müssen jetzt hinsichtlich der Zulassung der Sterbehilfe eine neue Kommunikationsebene schaffen.

Wird es eine Kontrolle geben, ob und wie die Suizidbeihilfe in den Institutionen umgesetzt wird?

Salzmann: Nein. Die Kontrolle oder Klagen liegen im jeweiligen Ermessen der sterbewilligen Person, deren Angehörigen und letztlich der Einrichtungen selbst.

Rechnen Sie mit einem Anstieg der Sterbehilfefälle im Wallis?

Salzmann: Ich gehe nicht davon aus, dass die Sterbehilfestatistik künftig exorbitant steigen wird. In den meisten Alters- und Pflegeheimen gibt es sehr wenige Bewohnerinnen und Bewohner, welche die Kriterien für Sterbehilfe überhaupt erfüllen und diese somit in Anspruch nehmen könnten.

Ältere Menschen sind besonders Hitze gefährdet.
Ältere Menschen sind besonders Hitze gefährdet.

Die Mehrheit der Pflegebedürftigen ist nicht mehr voll urteilsfähig und könnte sich auch nicht selbstständig das Medikament verabreichen – beides sind Grundvoraussetzungen der Suizidbeihilfe. In anderen Kantonen, in denen Heime schon länger Sterbehilfe praktizieren, ist die Rate ebenfalls nicht angestiegen.

Das Personal ist ausgenommen von der Suizidbeihilfe. Trotzdem kann es den Sterbehilfeprozess nicht ganz ausblenden. Inwiefern beeinflusst das die Arbeit der Institutionen und des Personals?

Salzmann: Es stimmt, für viele Pflegekräfte bedeutet das Gesetz sicher eine Umstellung. Besonders die Heimleitungen sind hier gefordert, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sprechen, sie eventuell auch in speziellen Kursen darauf vorzubereiten, wie sie sich in diesen Fällen verhalten können.

«Gut bis zum Ende begleiten.»

Ihre Arbeit richtet sich in erster Linie darauf aus, die älteren Bewohnerinnen und Bewohner gut bis zum Ende ihres Lebens zu begleiten und zu pflegen.

Können katholische Seelsorgerinnen und Seelsorger sich der Suizidbeihilfe verweigern, weil diese gegen ihren Glauben und ihre Überzeugung spricht?                

Salzmann: Ja, das können sie tun, es ändert aber nicht viel. Solange das Bundesgericht die Selbstbestimmung eines einzelnen Menschen höher gewichtet als die religiösen Werte einer Institution oder von Pflegefachkräften, ist da nicht viel zu machen.

Die Kapelle im Altersheim Visp
Die Kapelle im Altersheim Visp

Sie müssen sich einfach fragen, ob sie die Menschen bis zum Schluss begleiten möchten oder ob sie diesen Prozess in letzter Konsequenz nicht mittragen können. Eine pure Verweigerungshaltung bringt aber nichts. In jedem Fall muss das Gespräch mit der sterbewilligen Person gesucht werden.

Wie wird künftig der Ablauf bei einem Sterbehilfewunsch in einem Heim aussehen?

Salzmann: Der schwerkranke Patient entscheidet sich selbständig für eine Sterbehilfeorganisation. Die externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, beispielsweise von Exit, kommen dazu in das entsprechende Heim. Dieses wird vorab lediglich darüber informiert, dass der besagte Bewohner Sterbehilfe beansprucht.

«Bewohner verabschieden und das Zimmer verlassen.»

Das Personal kann sich dann am vereinbarten Sterbetag von dem Bewohner in dessen Zimmer verabschieden und verlässt dieses daraufhin. Danach beginnt der Sterbeprozess unter ärztlicher Aufsicht.

Haben Sie mit einer so hohen Zustimmung der Vorlage gerechnet?

Salzmann: Ich persönlich nicht. Die Mehrheit der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, vermutlich auch nicht. Man rechnete mit einer eher höheren Zustimmung im Unterwallis. Aber dass auch das Oberwallis einen solch hohen Ja-Anteil ausweist, davon sind vermutlich nur die Wenigsten ausgegangen.

An der Hand eines Menschen aus dem Leben gehen.
An der Hand eines Menschen aus dem Leben gehen.

Wie erklären Sie sich dieses Resultat?

Salzmann: Offenbar heisst die Gesellschaft die Idee gut, die individuelle Selbstbestimmung über alles andere zu stellen. Sie findet, jeder Mensch soll selbst entscheiden, wie und wann er diese Welt verlassen will.

«Grosse Achtung vor den Pflegekräften.»

Entgegen allen ethischen Bedenken?

Salzmann: Ja. Ich muss sagen, ich habe eine grosse Achtung vor den Pflegekräften, die täglich in den Alters- und Pflegeheimen arbeiten. Wenn diese ihre Arbeit weiterhin so gut verrichten wie bisher, wird das Angebot der Sterbehilfe hoffentlich nicht gross in Anspruch genommen.

*Matthias Salzmann ist seit 2022 Vizepräsident des Dachverbands der Walliser Alters- und Pflegeheime (Avalems). Zudem ist der in Naters wohnhafte Salzmann Präfekt des Bezirks Brig und Präsident der Langzeitpflegekommission Oberwallis. (sas)


Matthias Salzmann, Vizepräsident Avalems | © zVg
18. Januar 2023 | 12:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!