Daniel Bogner an der Ringvorlesung, Universität Zürich
Schweiz

Daniel Bogner fordert von der Kirche: «Klerikales Schloss aufsperren»

Daniel Bogner wagt sich auf das komplizierte Terrain von Sexualität und Männlichkeit in der katholischen Kirche. Seine Bild-Beispiele an der Ringvorlesung der Uni Zürich zeigen: Es gibt in der Kirche nur ein gebrochenes Mann-Sein. Und er deutet das Bild von Monika Schmids Abschiedsgottesdienst: «Es handelt sich um einen Akt des zivilen Ungehorsams».

Der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner ist am Donnerstagabend zu Gast in Zürich an der Ringvorlesung zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche. Sein Titel wirkt sperrig: «Entsexualisierung. Der Mann-Mensch als Normideal». Der Vortrag erweist sich aber als überraschend anschaulich.

Eucharistiefeier mit Markus Büchel, Martin Krebs, Vigeli Monn
Eucharistiefeier mit Markus Büchel, Martin Krebs, Vigeli Monn

Bogner verwendet Bilder, um seine These vom «paradoxalen Patriarchat» in der Kleriker-Kirche darzulegen. Er zeigt Bilder von konzelebrierenden Geistlichen und Bischöfen im Altarraum. «Der Bund der Männer da vorne am Altar ist nicht gebrochen», kommentiert Bogner und fügt an: «Ich kann nachvollziehen, dass Frauen diese Bilder nicht mehr akzeptieren.»

Priester mit Frau am Altar: «Das hat eine Wucht»

Äusserst interessant ist die Deutung von Daniel Bogner, wenn es um den Abschiedsgottesdienst von Monika Schmid geht. Er verwendet dazu ein Bild von kath.ch. Bogner richtet den Blick aber nicht auf die ehemalige Gemeindeleiterin Schmid, sondern auf den Priester neben ihr. «Indem eine Frau neben ihn als Mann und Priester tritt, hat er eine enorm egalisierende Wirkung. Das hat eine Wucht.»

Monika Schmid, Abschiedsgottesdienst in Effretikon
Monika Schmid, Abschiedsgottesdienst in Effretikon

Am Altar leitet der Priester eine Eucharistiefeier und gibt ein vollständig neues Signal: «Ich bin hier zwar der Priester, aber ich bin hier nur der Mann-Mensch», sagt Daniel Bogner dazu. Die Überhöhung des Klerikalismus ist somit durchbrochen. Hier zeigt sich ein Priester als gewöhnlicher Mann. «Es handelt sich um einen Akt des zivilen Ungehorsams. – Dieser Auftritt hat aber noch keine institutionelle Folgen», meint der Freiburger Moraltheologe.

Klerus oder Laie, Mann oder Frau

Kirche als Ort für entfaltetes und wahres Mann-Sein? «Das ist ein Denkfehler», sagt Daniel Bogner. Er erklärt diesen Fehler damit, dass es eine diskriminierende Geschlechterordnung gibt. «Die Binnenstruktur des katholischen Handlungsfeldes ist eine ständische Ordnung: Klerus oder Laie, Mann oder Frau, hauptamtlich oder ehrenamtlich.»

Kleriker ist ein Mann aufgrund seiner Chromosomen

Wer nicht zum Klerus gehöre sei ein Laie. Diese Differenzierung mache das «monarchische Patriarchat» in der Kirche aus. Ein Kleriker sei im Grunde ein geschlechtsloses Wesen. Seine Männlichkeit werde nicht sozial erschaffen.

Daniel Bogner, Moraltheologe an der Uni Freiburg
Daniel Bogner, Moraltheologe an der Uni Freiburg

«Der Kleriker ist ein Mann allein aufgrund seines Chromosomen-Satzes. Dieses Mann-Sein ist nicht sozial und kulturell definiert, sondern nur formal.» Mit dieser Festlegung sei von vornherein jeder Mann ausgeschlossen, der nicht geweiht ist.

Das tun Kleriker: empfangen, verteilen und regieren

Im Kern sei ein klerikaler Mann durch Handlungen charakterisiert: «Klerikales Mann-Sein in der Heilsanstalt Kirche ist: empfangen, verteilen und regieren.»

Österreichische Bischofskonferenz in Rom, 2022
Österreichische Bischofskonferenz in Rom, 2022

Es gehe dabei, darum zuerst die Weihe des Priesters zu empfangen. Darauf sei dieser Kleriker ermächtigt, die Sakramente zu verteilen. Schliesslich folge für bestimmte ausgewählte Kleriker das Regieren als Bischof.

Nicht-geweihte Männer gehören zum Typus «Bob der Baumann»

Für nicht-geweihte Männer gibt es demzufolge nur das «Josefsideal»: Ein Handwerker wie «Bob der Baumann», der sich als helfende Kraft in der Kirche beteiligen könne. Oder mal gut genug für die Buchhaltung in der Kirchgemeinde sei, weil er es mit den Zahlen könne.

Daniel Bogner spricht an der Ringvorlesung der Uni Zürich über "Bob der Baumann" und das "Josefsideal".
Daniel Bogner spricht an der Ringvorlesung der Uni Zürich über "Bob der Baumann" und das "Josefsideal".

«Für den nicht-geweihten Mann bleibt nur das Josefsideal. Josef ist ein Randständiger innerhalb dieses klerikalen Männer-Ideals.» Für den gewöhnlichen Mann bleibe nur noch das Familien-Paradigma und die Hauskirche.

Frauen: doppelt und dreifach diskriminiert

Doppelt diskriminiert sind nach Bogner die Frauen, die zum Laienstand gehören und gleichzeitig Nicht-Mann sind. Sie treffe die Diskriminierung durch die Klerikerkirche doppelt und dreifach. «Wenn man die Unterscheidung von hauptamtlich und ehrenamtlich hinzunimmt, ist die Ausgrenzung noch stärker», meint Bogner. Er verweist damit auf die Tatsache, dass viele Frauen ehrenamtlich in der Kirche engagiert sind.

Daniel Bogner an der Ringvorlesung, Universität Zürich
Daniel Bogner an der Ringvorlesung, Universität Zürich

«Es gibt einen geschlechtlichen Rollen-Druck in der Kirche.» Mit dieser Feststellung rennt Bogner offene Türen ein. Aber seine Argumente führen weiter. Die geschlechtliche Rollentrias – Kleriker, Laie, Frau – führe durch einen multiplen Rollen-Druck zu einem «paradoxalen Patriarchat.»

Die Rollenzuteilung sei für Angehörige der Religionsgemeinschaft – das heisst in der Binnenperspektive – nicht sofort erkennbar. «Sie sind in sich mehrfach gebrochen», ergänzt Daniel Bogner. Diese Faktoren führten dazu, dass eine Herrschaft der Männer-Kleriker vorhanden sei, die gleichzeitig ins Paradoxale übergehe.

Bischöfe: «Wir haben keine Macht, nur Vollmacht»

Bischöfe würden bei Anfragen zum patriarchalen Habitus immer sagen: «Wir haben keine Macht, nur Vollmacht.» Hier spiele die Metapher von der Kirche als der Braut Christi eine wichtige Rolle. Zudem: «Der Priester hat Christus zu repräsentieren. Das führt dazu, dass es heute sehr schwierig ist, über das Priesteramt zu diskutieren.» Wer also das Priesteramt kritisch in Frage stelle, lande sehr schnell bei paradoxen Aussagen.

Mann-Sein ist in der Kirche ortlos

«Das Mann-Sein ist in der katholischen Tradition ortlos», kommt Bogner zum Schluss. Wer nicht geweihter Priester oder Bischof sei, habe faktisch keine zufriedenstellende Rolle. Das entklerikalisierte Mann-Sein führe schlichtweg in ein «halbiertes Mann-Sein».

Daniel Bogner spricht an der Ringvorlesung der Uni Zürich über "Halbiertes Mann-Sein".
Daniel Bogner spricht an der Ringvorlesung der Uni Zürich über "Halbiertes Mann-Sein".

Das Priesteramt sei heute ein «brüchiges Amt» und führe direkt in eine «Gebrochenheit der Männerimagination». Männer spürten in der Kirche die Geste der Platzanweisung. Ironisch gesprochen verweist Daniel Bogner auf die hilflosen Versuche, in der Kirche eine Rolle für die Männer ohne Weihe zu finden. Neu sei zum Beispiel der Versuch, durch eine eigene Spiritualität zum Mann-Sein zu finden. «Der Mann hat ja auch eine Innerlichkeit. Hurra, wir haben auch etwas Gemeinsames!»

Weil das Mann-Sein in der katholischen Kirche ortlos sei, seien auch Versuche der Bestärkung hilflos. In Kursen zum Mann-Sein finden? «Dazu gibt es die irritierte Männlichkeit, zum Beispiel das Führen in das wahre Mann-Sein.» Weil das Mann-Sein gebrochen sei, müsse auch dieser Versuch erfolglos bleiben.

Negierte Geschlechtlichkeit

Kommen wir nochmals zurück auf die Kleriker in langen Roben. Daniel Bogner benutzt für solche Bilder die Kurzformel: «performativ negierte Geschlechtlichkeit als Formfaktor». Typisch seien dafür Männerkreise bei Papstbesuchen, wie zum Beispiel bei einem Ad-limina Besuch in Rom.

Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.
Papst Franziskus empfängt die Bischöfe der Schweiz 2021 im Vatikan.

Klerikales Schloss aufsperren

Daniel Bogner fordert ein Aufsperren des «klerikalen Schlosses». Das klerikale Mann-Sein als empfangen, verteilen und regieren müsse durchbrochen werden. «Es braucht einen gleichen Zugang zum Amt.» Wenn also Bischöfe und Kardinäle von Kulturwandel sprechen, müsste hier begonnen werden. «Es ist ein Kulturwandel notwendig, insbesondere beim Amt und Rollenbild.»

*Daniel Bogner ist Professor am Lehrstuhl für Moraltheologie und Ethik, Universität Freiburg (Schweiz).

Die Ringvorlesung der Universität Zürich «Sexueller Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche. Eine Zwischenbilanz» findet wöchentlich am Donnerstagabend um 16.15 Uhr statt, noch bis am 21. Dezember 2023. An der nächsten Veranstaltung vom 26. Oktober sprechen Jörg Stolz und Arnd Bünker zum Thema: Katholische Kirche und Religiosität in der sich säkularisierenden Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.


Daniel Bogner an der Ringvorlesung, Universität Zürich | © Charles Martig
20. Oktober 2023 | 17:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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