Christian Griss, im Basler Rathaus
Schweiz

Christian Griss: «Dem Bistum den Geldhahn zudrehen, ist für uns kein Thema»

Die Römisch-katholische Kirche Basel-Stadt hat sich in einem Offenen Brief an die Stadtbevölkerung gewandt und zur Missbrauchskrise Stellung bezogen. «Das Vertrauen ist in Schieflage geraten», sagt Kirchenratspräsident Christian Griss.

Regula Pfeifer

Weshalb haben Sie einen Brief an die Menschen in Basel-Stadt verfasst?

Christian Griss*: Wir haben in einem offenen Brief-Inserat in den beiden lokalen Tageszeitungen zu den Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche Stellung genommen, die aufgrund der Uni-Studie bekannt geworden waren. Vorab wollten wir unseren Mitgliedern weitere Informationen dazu geben. Deshalb schrieben wir einen Brief an die Mitglieder und einen leicht anderen an die Mitarbeitenden.

Was für Reaktionen haben Sie erhalten?

Griss: Einige mehrheitlich positiv-unterstützende. Die Leute bedankten sich für unsere Stellungnahme. Andere äusserten sich kritisch, etwa bezüglich Pflichtzölibat und geschlechtlicher Orientierung. Wir schrieben allen persönlich zurück.

Pilgerspaziergang nach Fronleichnam in Basel, Juni 2023
Pilgerspaziergang nach Fronleichnam in Basel, Juni 2023

«Wir wollen nun vollständige Transparenz über die Bewerbenden erhalten.»

Was ist Ihre Strategie im Umgang mit dem Missbrauch in der Kirche?

Griss: Unsere Strategie ist sehr lokal beschränkt. Wir sagen – und das ist nichts Neues -, dass wir als Staatskirche absolute Nulltoleranz im Umgang mit Missbrauch haben. Was wir nun neu mit Vehemenz einfordern werden, ist: Wenn Stellen besetzt werden, auch solche mit Missio, wollen wir über die Bewerbenden vollumfänglich informiert sein. Bisher liefen die Informationen hauptsächlich zwischen der Personalabteilung des Bistums und einzelnen Pfarreien. Wir wollen nun vollständige Transparenz über die Bewerbenden erhalten. Denn wir sind die Arbeitgeber, die den Arbeitsvertrag unterschreiben. Dass die Römisch-Katholische Kirche Basel-Stadt die einzige städtische Kirchgemeinde ist, ist dabei eine Chance.

«Zu wenig Transparenz gab es im Fall Küng.»

War das bisher nicht so?

Griss: Leider nicht immer. Zu wenig Transparenz gab es im Fall Küng vor ein paar Jahren. Der Vikar war uns von einer Pfarrwahlkommission als Pfarrer vorgeschlagen worden. Dann kam auf Umwegen heraus, dass es einen Vorfall gegeben hatte in einem anderen Kanton, der aber nicht zu einer Verurteilung geführt hatte. Jedenfalls stand ein Missbrauchsvorwurf im Raum, weshalb sich unsere Pfarrei gegen seine Anstellung wehrte. Er zog seine Bewerbung schliesslich zurück.

Bischof Felix Gmür vom Bistum Basel
Bischof Felix Gmür vom Bistum Basel

Wie stehen Sie zu Bischof Felix Gmür? Sie kritisieren ihn im Brief indirekt – betreffend Umgang mit Missbrauchsfällen, sprechen ihm aber ihre Unterstützung zu in Sachen Reformen.

Griss: Unsere Kritik lautet: Es sind Fehler passiert in den letzten Jahren im Umgang mit Missbrauchsfällen, die nicht hätten passieren sollen. Und die mich überraschten. Aber das hat Felix Gmür selbst eingestanden. Andererseits unterstützen wir unseren Bischof in seinen Bemühungen, im Umgang mit Missbrauchsfällen absolute Transparenz herzustellen, staatliche Behörden einzubeziehen und eine Meldestelle einzurichten – und was sonst angedacht ist.

«Was die Zukunft angeht, gehen wir mit Bischof Felix Gmür gemeinsam in die gleiche Richtung.»

Und wir unterstützen ihn auch dabei, im Rahmen des synodalen Wegs strukturelle Änderungen in der Kirche voranzubringen, etwa bezüglich des Zölibats. Was die Zukunft angeht, gehen wir mit Bischof Felix Gmür gemeinsam in die gleiche Richtung.

Einzelne Kirchgemeinden drohen damit, die Gelder für die Bistumsleitung auf ein Sperrkonto einzuzahlen – eine Option für Kirche Basel-Stadt?

Griss: Das ist für uns kein Thema. Wir müssen miteinander vorwärts gehen und nicht gegeneinander. Wenn wir den Geldhahn zudrehen, verhindern wir auch die Dienstleistungen, die wir erbringen wollen und müssen. Das ist sicher nicht die Lösung.

«Das Vertrauen ist in Schieflage geraten.»

Die Antoniuskirche in Basel
Die Antoniuskirche in Basel

Sie bitten um Vertrauen in die Kirche. Ist es nicht zu früh für diesen Wunsch?

Griss: Nein, der Brief geht ja an die Bewohnerinnen und Bewohner von Basel. Wir bitten um das Vertrauen in die lokale, römisch-katholische Kirche Basel-Stadt, nicht um das Vertrauen in die römisch-katholische Weltkirche. Da hätte ich mehr als Verständnis, wenn die Leute sagen: Wir haben kein Vertrauen. Wir bitten die Menschen unserer Stadt um das Vertrauen, das sie bisher in uns hatten, überall, wo sie in Berührung kommen mit unseren Seelsorgenden in Spital, in Heimen, in der Schule. Dieses Vertrauen ist in Schieflage geraten.

Urs Winter vom SPI sagte kürzlich gegenüber kath.ch: Vertrauen ist rasch zerstört, es braucht aber sehr lange, bis es wieder aufgebaut ist.

Griss: Ja, das ist so.

… und das geschieht nur in kleinen, konkreten Schritten…

Griss: Ja, das denke ich auch.

«Wir hoffen, dass der gestartete Prozess vertrauensbildend wirkt.»

Haben Sie Ideen für vertrauensbildende Massnahmen?

Griss: Der Brief war ein erster Schritt. Und wir haben eben einen Prozess gestartet: Wir wollen unsere Kirche ganz grundlegend neu aufstellen – im Hinblick auf das Jahr 2030. Und dabei unsere Mitglieder und Pfarreien breit einbeziehen. Wir hoffen, dass das mittelfristig als vertrauensbildende Massnahme wirkt. Etwa wenn die Menschen merken: Die Kirche bewegt sich und nimmt die Anliegen der Gläubigen tatsächlich auf.

*Christian Griss ist Kirchenratspräsident der Römisch-katholischen Kirche in Basel-Stadt.


Christian Griss, im Basler Rathaus | © zVg
6. November 2023 | 17:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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