Ausgetrocknete Böden und Kein regen: In Afrika machen sich Hungersnöte breit.
Schweiz

Caritas-Sozialethikerin: «Krisen überlagern sich mit grosser Geschwindigkeit»

Corona, Klimawandel, Ukraine-Krieg: Laut Caritas Schweiz beschleunigen sich die internationalen Krisen immer mehr und multiplizieren dadurch die Probleme im globalen Süden. Darunter haben vor allem die schwächsten Länder zu leiden – wie Sozialethikerin Franziska Koller unterstreicht.

Wolfgang Holz

«Die internationalen Krisen haben sich seit der Covid-19-Pandemie dramatisch überlagert und schreiten mit grosser Geschwindigkeit fort», skizziert Franziska Koller von Caritas Schweiz die internationale Problemlage. Die Leiterin für den Bereich Internationale Zusammenarbeit der Hilfsorganisation verdeutlicht im Gespräch mit kath.ch, dass darunter vor allem die Länder des Südens leiden.

Dürre in Ostafrika
Dürre in Ostafrika

«Der brutale Angriffskrieg im östlichen Europa ist einer der Gründe für die Erschütterung bisheriger Gewissheiten. Die Klimakrise war schon vorher da und wird nun verschärft, die Energiekrise und Wirtschaftskrise sind die Folgen davon», erklärt die 47-jährige Sozialethikerin. «Wir erleben in diesen Monaten im globalen Norden eine Krisen-Kumulation, die medial zu Recht sehr intensiv diskutiert wird.»

Nahrungsmittel sind knapp

Mehrheitlich ausser Acht lassen wir jedoch die Tatsache, dass der globale Süden von diesen Krisen schwerer betroffen ist. Viele Länder sind derzeit so instabil, fragil, krisen-erschüttert und staatlich handlungsunfähig, so Koller, «wie wir es in unserer Arbeit niemals zuvor gesehen haben.»

Franziska Koller, Leiterin Bereich IZA, Internationale Zusammenarbeit, Head of Section International Cooperation.
Franziska Koller, Leiterin Bereich IZA, Internationale Zusammenarbeit, Head of Section International Cooperation.

Man beobachte Länder – wie zum Beispiel den Südsudan –, in denen die internationale humanitäre Hilfsfinanzierung um bis zu 50 Prozent zurückgegangen sei, weil die Gelder in die Ukraine verschoben wurden. «Öllieferungen werden von Russland teilweise nach Asien umgelenkt und infolge der Wirtschaftskrise fehlen vielerorts die nötigen Nahrungsmittel.»

Dürre in Äthiopien

Anhand zweier weiterer Länder konkretisiert die Leiterin für Internationale Zusammenarbeit der Caritas, die sich in rund 20 Ländern mit langfristigen Hilfsprojekten engagiert, die Zuspitzung der Notlage.

Beispiel Äthiopien. Das afrikanische Landerlebt laut Koller eine seit vier Jahren andauernde Dürre. «Die Nahrungsmittelproduktion war schon im ersten Dürrejahr problematisch und wird zunehmend schwieriger.»

Im Süden verendet das Vieh

Gebiete, die als stabil galten und viele Nahrungsmittel produzierten, könnten jetzt nur noch einen Bruchteil davon erwirtschaften. Die Folgen davon: Die Kindersterblichkeit steigt und auch Ältere leiden enorm unter der akuten Krise. Im Süden des Landes verendet das Vieh.

Armut, Naturkatastrophen, Kriminalität - Haiti gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.
Armut, Naturkatastrophen, Kriminalität - Haiti gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

«Nothilfe ist in der Region Tigray, wo rund 500’000 Menschen als Kriegsopfer verzeichnet werden, derzeit kaum möglich und teilweise werden seitens der Internationalen Gemeinschaft aufgrund des Tigray-Konflikts auch die Finanzierungen für die Internationale Zusammenarbeit an die äthiopische Regierung blockiert», sagt Franziska Koller.

In den Krisengebieten helfen

Beispiel Haiti. Dort herrsche Benzinknappheit, eine Cholera-Epidemie sei ausgebrochen und Trinkwasser Mangelware. Die Regierung könne die Sicherheit nicht mehr aufrechterhalten. «NGOs, UN-Institutionen, öffentliche Einrichtungen und private Unternehmen werden geplündert, die Bevölkerung leidet unter der Gewalt der Banden», so Koller. Dieser Zustand tangiere besonders die Armutsbetroffenen, die Anzahl der Hungernden nimmt zu.

Caritas-Sonntag 2022: Gegen Hunger und Armut
Caritas-Sonntag 2022: Gegen Hunger und Armut

Und wie reagiert die Caritas auf die neue dramatische internationale Krisensituation? Franziska Koller: «Wir arbeiten bewusst in Ländern wie Südsudan, Äthiopien, Uganda und in der Sahelzone, die sowohl mit den Folgen der extremen Armut als auch denjenigen der Klimakrise zu kämpfen haben».

Vollkostenrechnung machen

Damit verbunden sei es das wichtigste Ziel der Caritas, jene Bevölkerungsgruppe zu erreichen, die unter der Unsicherheit und Armut besonders leidet. «Wir haben Lösungen erarbeitet, um die Armut vor dem Hintergrund der Klimakrise nachhaltig zu bekämpfen, indem wir etwa die Landwirtschaft an die klimatischen Veränderungen z.B. mit entsprechendem Saatgut anpassen. Dabei ist uns wichtig, dass wir die Projekte in engster Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren und lokal verwurzelten Partnern umsetzen.»

Grundsätzlich halte die Caritas an ihrer politischen Forderung fest, dass langfristig die Weltgemeinschaft allen Ländern einen gleichen Zugang zu Ressourcen garantieren müsse. Und nicht nur das. Der Westen beziehungsweise der Norden müsse endlich eine Vollkostenrechnung in Sachen Bruttoinlandsprodukt (BIP) anstellen.

Patrick Hohmann und zwei Angestellte seiner Biobaumwoll-Produktion in Tansania
Patrick Hohmann und zwei Angestellte seiner Biobaumwoll-Produktion in Tansania

Faire Lieferketten

Im BIP werden die Schäden des Klimawandels und der Verbrauch von natürlichen Ressourcen ignoriert. Ziel müsse hingegen ein faires und ökologisch nachhaltiges globales Wirtschaften sein, und zwar über die gesamten Lieferketten hinweg.

Koller bilanziert: «Niemand bestreitet, dass der Kapitalismus auf Wachstum angewiesen ist, um stabil zu bleiben. Aber mit unserem damit verbundenen Lebensstil treiben wir die Klimakrise immer heftiger an. Ein solches Wirtschaftsmodell verträgt sich einfach nicht mit einer endlichen Welt.»


Ausgetrocknete Böden und Kein regen: In Afrika machen sich Hungersnöte breit. | © Luca Zanetti, Caritas
5. Dezember 2022 | 15:48
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