Bischof Joseph Bonnemain.
Schweiz

Bischof Joseph Bonnemain: «Das Bistum Chur besitzt keine Kasse für Priesterkinder»

Wie viele Priesterkinder im Bistum Chur leben, ist nicht bekannt. Wenn ein Priester ein Kind in die Welt setzt, muss er dieses auch finanzieren, sagt Bischof Joseph Bonnemain. Tut er dies und ist einsichtig, darf er weiter im Amt bleiben. Nimmt er die Verantwortung nicht wahr, «hat er nichts mehr in der Kirche zu suchen», sagt der Churer Bischof.

Jacqueline Straub

Was hat Sie am Film «Unser Vater» am meisten schockiert?

Bischof Joseph Bonnemain*: Festzustellen, dass der Mangel an Verantwortungsbewusstsein eines Menschen das Leben anderer so schwer belasten kann – und auch grosses Leid verursacht. Die Charakterlosigkeit des Priesters Anton Ebnöther hat dazu geführt, dass eines seiner Kinder Probleme entwickelt hat, eine Liebesbeziehung einzugehen und anderen zu vertrauen. Das macht mich traurig. Gleichzeitig ist es schön zu sehen, dass diese Menschen trotz der familiären Belastungen die Traumata überwinden und sich gut entwickeln konnten.

Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers sechs heute erwachsene Kinder mit Bischof Joseph Maria Bonnemain
Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers sechs heute erwachsene Kinder mit Bischof Joseph Maria Bonnemain

Der Priester Anton Ebnöther hat sechs Kinder gezeugt. Wie viele Priesterkinder gibt es im Bistum Chur?

Bonnemain: Ich habe keine Ahnung, wie viele Priesterkinder es gibt. Ich arbeite seit 40 Jahren in der Bistumsleitung. In dieser Zeit sind mir zwei Fälle bekannt geworden. Beide sind Priester geblieben, haben die Vaterschaft anerkannt und tragen Sorge für die Kinder. Sie beteiligen sich an der Erziehung.

Allein Anton Ebnöther hatte sechs Kinder. Die Dunkelziffer der Priesterkinder müsste riesig sein.

Bonnemain: Ich weiss es nicht. Mir liegen keine Zahlen vor.

«Im Archiv in Chur gibt es über dieses zivile Verfahren keine Akten.»

Könnte der Priester noch weitere Kinder haben?

Bonnemain: Es ist nicht ausgeschlossen. Das Filmprojekt wurde von den Kindern initiiert. Sie erhoffen sich, dass – falls es noch weitere Kinder gibt – sich diese nun melden. Für mich war von Anfang an klar, dass ich sie unterstütze, wo ich nur kann.

Beim Priester Ebnöther gab es ein Verfahren, bei dem er die Vaterschaft anerkennen und Alimente zahlen musste. Wusste die Bistumsleitung davon?

Bonnemain: Nein. Ich habe kürzlich davon durch die Presse erfahren. Im Archiv in Chur gibt es über dieses zivile Verfahren keine Akten.

Filmstill aus "Unser Vater": Der katholische Priester Anton Ebnöther in jungen Jahren.
Filmstill aus "Unser Vater": Der katholische Priester Anton Ebnöther in jungen Jahren.

Frauen im Film «Unser Vater» berichten, dass der Priester ihnen ein Couvert mit 100 Franken gegeben hat, damit sie die Schwangerschaft abbrechen. Was sagen Sie dazu?

Bonnemain:  Das ist schrecklich. Das ist verbrecherisch. Er wollte aus egoistischen Motiven Leben beseitigen. Das ist niederträchtig und abscheulich.

Dem Priester Anton Ebnöther wurde schon früh nachgesagt, dass er sich gerne mit Frauen traf – auch hat er Frauen vergewaltigt. Zwischen ihm und dem damaligen Bischof gab es einen regen Briefaustausch. So hiess es, dass er doch «in Zukunft keine Frauenbesuche im Privatzimmer» mehr empfangen soll. Hätte der Bischof nicht früher durchgreifen müssen?

Bonnemain: Das tat er, indem er ihn von St. Moritz nach Bülach versetzte. Er hoffte, dass der Priester sein Verhalten ändern würde. Gleichzeitig gab es Proteste des Kirchenchors in St. Moritz, als angekündigt wurde, dass Ebnöther versetzt werden soll. Sie schrieben dem Bischof, dass sie nicht mehr auftreten werden, wenn der Priester gehen muss.

«Wir sind heute weiter.»

Wie hätten Sie als Bischof reagiert?

Bonnemain: Alles muss im Kontext der damaligen gesellschaftlichen Situation betrachtet werden. Damals dachte man, dass fromme Massnahmen, wie etwa eine Ermahnung oder Exerzitien ausreichen würden. Im Fall Ebnöther sieht man deutlich, dass dort schwere charakterliche Defizite vorhanden sind. Er hätte eine Therapie gebraucht – diese Einsicht gab es damals nicht. Aus heutiger Sicht hätte man griffige Disziplinarmassnahmen treffen müssen. Heute würde man anders vorgehen. Wir haben heute ein Präventionskonzept und einen Verhaltenskodex. Wir sind heute weiter.

Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.
Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.

Müsste da nicht schon bei der Priesterausbildung angesetzt werden?

Bonnemain: Sicher. Aber es braucht auch Präventivmassnahmen – nicht nur bei der Priesterausbildung, sondern bereits bei der Zulassung eines möglichen Kandidaten. Die affektive Reife, die Besonnenheit, die Ausgeglichenheit müssen überprüft werden. Wer Priester werden möchte, muss eine reife, verantwortungsbewusste Persönlichkeit sein. Alle anderen haben nichts im Priesterseminar zu suchen.

Sind die Priesterausbildung und das Überprüfen der Kandidaten genügend gut?

Bonnemain: Es wird nie genügen. Es braucht immer Anpassungen an die Entwicklung der Gesellschaft.

Filmstill aus "Unser Vater": Tochter Lisbeth stellt sich viele Fragen.
Filmstill aus "Unser Vater": Tochter Lisbeth stellt sich viele Fragen.

Wie gehen Sie vor, wenn ein Priester sein Kind nicht anerkennt?

Bonnemain: Ich würde mit ihm reden und ihn davon überzeugen, dass er die Verantwortung gegenüber dem Kind und der Mutter wahrnehmen muss. Ein Priester, der ein Kind in die Welt setzt, muss dieses auch finanzieren und Sorge für das Kind tragen.

Es ist für Sie also kein Problem, wenn ein Priester gegen den Zölibat verstösst und nun ein Kind hat?

Bonnemain: Für mich ist das kein Problem – solange er seinen Fehler einsieht, anschliessend verantwortungsbewusst handelt und seine Vaterschaft anerkennt.

«Ich würde ein Verfahren eröffnen.»

Und was ist, wenn er diese Verantwortung nicht wahrnimmt?

Bonnemain: Entweder er nimmt die Verantwortung wahr oder er hat in der Kirche nichts mehr zu suchen.

Was heisst das konkret? Würden Sie den Priester entlassen?

Bonnemain: Ich würde ein Verfahren eröffnen, damit es so weit kommt, ja.

Wenn er die Vaterschaft anerkennt und Alimente zahlt, darf er weiterhin Priester sein?

Bonnemain: Ja, das wäre möglich. Aber er hat nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Kind, sondern auch gegenüber der Mutter und den Gläubigen. Ich glaube, dass es die beste Voraussetzung für die Entwicklung eines Kindes ist, wenn dieses umgeben ist von seinen Eltern. Es gilt also zu schauen, ob der Priester seine Tätigkeit aufgeben und die Frau heiraten könnte – sofern die Beziehung auf Liebe und Treue basiert.

«Papst Franziskus kann sich verheiratete Priester vorstellen.»

Erfährt die Pfarrei davon, dass ein Priester ein Kind hat?

Bonnemain: Transparenz ist wichtig. Es wäre ein Zeugnis der Glaubwürdigkeit zu sagen: Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich stehe dazu.

Zahlt das Bistum Chur Alimente an die Priesterkinder?

Bonnemain: Das Bistum Chur besitzt keine Kasse für Priesterkinder. Alimente zu bezahlen, ist die Pflicht eines Mannes, wie auch eines Priesters, der seine Verantwortung wahrnimmt.

Sollte die Amtskirche den Zölibat lockern?

Bonnemain: Papst Franziskus selbst kann sich verheiratete Priester vorstellen, wie er sich kürzlich äusserte. Diese Entscheidung muss er zusammen mit der gesamten Kirche treffen.

Konservative Priester haben ihn bekämpft und müssen ihn nun nicht unterschreiben: Churer Verhaltenskodex
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Es besteht der Wunsch von Opfern von sexuellem und spirituellem Missbrauch, dass eine unabhängige Meldestelle errichtet wird. Wird solch eine Stelle eingerichtet?

Bonnemain: Ich kann mir vorstellen, dass solch eine Meldestelle nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der Pilotstudie im Herbst in Angriff genommen wird. Wichtig finde ich aber, dass diese nationale Meldestelle überkonfessionell ist, weil dieses Thema alle Konfessionen und Religionen betrifft.

*Joseph Maria Bonnemain ist Bischof von Chur. Er trifft sich im Film «Unser Vater» zu einem Gespräch mit den sechs Priesterkindern von Anton Ebnöther. In verschiedenen Schweizer Städten finden Filmvorführungen und Podien zum Film «Unser Vater» statt. Zum Beispiel am Mittwoch, 5. April in Chur mit dem Regisseur Miklós Gimes, Monika Gisler, Adrian Meier, Karin Iten und Bischof Joseph Bonnemain.


Bischof Joseph Bonnemain. | © Michael Huwiler
5. April 2023 | 13:38
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