Filmstill aus "Unser Vater": Tochter Lisbeth stellt sich viele Fragen.
Schweiz

«Unser Vater» deckt jahrzehntelangen Missbrauch auf

Der katholische Priester Anton Ebnöther missbrauchte Frauen und zeugte mindestens sechs Kinder mit ihnen. Die Kirche wusste davon. Ein neuer Dokumentarfilm des ungarisch-schweizerischen Journalisten und Filmemachers Miklós Gimes bricht nun das Schweigen. In seinem Film kommen die Frauen und Kinder zu Wort.

Eva Meienberg

«Warum hat sie nie darüber geredet», fragt Lisbeth und weint. Die Siebzigjährige sitzt mit ihrem Mann auf dem Sofa in ihrer Stube. Im Fernseher schauen sie eine Szene aus dem Dokumentarfilm «Unser Vater» von Miklós Gimes.

Da versucht Lisbeths hochbetagte Mutter zu erklären, was ihr Anfang der Fünfzigerjahre widerfahren ist. Damals, als Anton Ebnöther die Pfarrköchin «genommen, erdrückt und weggeworfen» hatte. Beschämt beschreibt Lisbeths Mutter die Vergewaltigung.

Im Bistum Chur tätig

Der inzwischen verstorbene Anton Ebnöther war katholischer Priester im Bistum Chur und zeugte mit vier Frauen sechs Kinder. Es gebe Hinweise, dass es noch mehr seien, sagt der Filmemacher Miklós Gimes.

«Für die einen seiner Kinder ist Anton Ebnöther eine Art Vater, für die anderen lediglich der Erzeuger. Seine Verantwortung hat er bei allen Kindern nicht wahrgenommen. Und einige leiden heute noch am Tabu, das Kind eines katholischen Priesters zu sein.»

Filmstill aus "Unser Vater": Der katholische Priester Anton Ebnöther in jungen Jahren.
Filmstill aus "Unser Vater": Der katholische Priester Anton Ebnöther in jungen Jahren.

Vor sechs Jahren, als Lisbeth ihn für das Filmprojekt gewinnen wollte, war Miklós Gimes zunächst skeptisch. Von der katholischen Kirche, von Religion verstehe er wenig, sagte sich der Filmemacher damals.

Er selbst sei säkular, seine Vorfahren assimilierte ungarische Jüdinnen und Juden. Inzwischen habe er viel gelernt über die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral, dem Zölibat, den Geheimnissen und dem Schweigen. Genau diese Geschichte wollten die Geschwister erzählen. Miklós Gimes half ihnen dabei.

Aus Angst geschwiegen

Wie eine Zeitreise in die Fünfziger- und Sechzigerjahre der Schweiz sei die Filmarbeit gewesen. «Ich habe gesehen, wie viel psychischer Druck die Kirche damals auf ihre Mitglieder ausüben konnte. Statt sich zu wehren, haben sich die meisten Menschen unterworfen, wohl aus Angst, ausgeschlossen zu werden oder in der Hölle zu landen.»

Miklós Gimes konstruiert das Bild des abwesenden Vaters durch die Erzählungen von Anton Ebnöthers Kindern und ergänzt sie mit Audioaufnahmen und Fotografien. Über dessen Vergangenheit erfahren wir nichts. Kein Psychogramm habe er erstellen, keine Erklärungen abgeben wollen, sagt Miklós Gimes.

Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers Sohn Toni
Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers Sohn Toni

Der Film beginnt mit den krosenden Audioaufnahmen Anton Ebnöthers, die er selbst mit seinem Kassettengerät gemacht hatte. Mit vibrierender Bassstimme besingt er seine Heimat und Gottes wunderbare Wege.

Je mehr wir über den Priester mit der ungezügelten Libido erfahren, je skurriler und unheimlicher werden die Lieder. Denn der Mann, der mit gezwirbeltem Schnauz keck von einem Foto lacht, ist nicht einfach ein komischer Kauz, sondern ein Vergewaltiger.

Geld für die Abtreibung

Monika ist die Drittjüngste unter den Geschwistern. Ihre Mutter kam damals als Blauring-Leiterin ins Pfarrhaus zu Anton Ebnöther, wo dieser sie vergewaltigte. Als sie ihn schwanger um Hilfe bat, speiste er die junge Frau mit 200 Franken in einem Couvert ab. Sie solle damit machen, was nötig sei. Der Priester erhoffte sich wohl, sie würde das Kind abtreiben. Monikas Mutter kaufte sich vom Geld Wolle und begann für ihr Ungeborenes zu stricken.

Filmstill aus "Unser Vater"
Filmstill aus "Unser Vater"

Aber nicht allen Frauen hat Anton Ebnöther Gewalt angetan. Toni und Christina waren Wunschkinder ihrer Mutter. Weil sie von ihrem Mann nicht schwanger wurde, half Vikar Anton Ebnöther aus. Die Mutter von Daniela und Adrian hatte Anton Ebnöther gern und verteidigte den abwesenden Vater vor ihren Kindern ein Leben lang. Heute sieht sie ihn mit kritischen Augen.

Widersprüche stehen lassen

Es ist eine Qualität des Filmes, dass Miklós Gimes Anton Ebnöther nicht als Monster zeichnet, sondern die vielen Widersprüche dieser Missbrauchsgeschichten stehen lässt. Das ist bisweilen schwierig auszuhalten.

Der Journalist und Filmemacher Miklós Gimes


12.09.2019
(Andrea Zahler/TAMEDIA AG)
Der Journalist und Filmemacher Miklós Gimes 12.09.2019 (Andrea Zahler/TAMEDIA AG)

Gleichzeitig wird verständlich, wie solche Gräuel passieren: wenn Menschen in Gottes Namen ihre Macht missbrauchen, die Abhängigkeit anderer Menschen ausnützen und darauf vertrauen können, dass nicht gesagt wird, was nicht sein darf.

Pflichtzölibat verteidigen

Etwas verunsichert lässt einen die Szene auf dem bischöflichen Schloss zurück. Dort empfängt Joseph Maria Bonnemain, der Bischof von Chur, die Geschwister zu einer erneuten Aussprache. Sie gelangten schon vor den Dreharbeiten an Bischof Bonnemain, als dieser noch Justiziar des Bistums war, um Einsicht in die Akten ihres Vaters zu erhalten.

Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers sechs heute erwachsene Kinder mit Bischof Joseph Maria Bonnemain
Filmstill aus "Unser Vater": Anton Ebnöthers sechs heute erwachsene Kinder mit Bischof Joseph Maria Bonnemain

Nun sitzen die Geschwister um eine grosse Tafel herum, die Türe geht auf wie bei einem Schwank. Auch der Auftritt des Bischofs entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität. Unverständlich bleibt, dass er als Mitglied des bischöflichen Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld in dieser Runde den Pflichtzölibat verteidigt.

Ist das der Mann, der dem sexuellen Missbrauch in der Kirche den Kampf angesagt hat? Immerhin redet Bischof Bonnemain im Film über den sexuellen Missbrauch und entschuldigt sich im Namen der Kirche.

In verschiedenen Schweizer Städten finden Filmvorführungen und Podien zum Film «Unser Vater» statt. Zum Beispiel am 5. April in Chur mit dem Regisseur Miklós Gimes, Monika Gisler, Adrian Meier, Bischof Joseph Bonnemain und Karin Iten. Oder am 12. April in Zürich mit dem Regisseur, Lisbeth Binder, Josef Annen und Karin Iten; in Zusammenarbeit mit der Paulus Akademie. Ebenso am Sonntag, 2. April in Luzern mit Regisseur Miklos Gimes, Monika (Tochter), dem ehemaligen Generalvikar des Bistums Chur, Martin Kopp und dem Sozialethiker Thomas Wallimann.


Filmstill aus «Unser Vater»: Tochter Lisbeth stellt sich viele Fragen. | © Filmbringer
27. März 2023 | 13:03
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Film «Unser Vater»
Im Dokumentarfilm von Miklós Gimes wird aufgedeckt, wie der im Bistum Chur tätige katholische Priester Anton Ebnöther in den Fünfzigerjahren mehrere Frauen vergewaltigte und schwängerte, bis ihn der Bischof suspendierte. Die Geschwister aus diesen missbräuchlichen Verbindungen wussten jahrelang nichts voneinander und lernen sich erst nach dem Begräbnis des Priesters kennen. Der Film kommt am 6. April ins Kino. Davor gibt es ab dem 2. April Vorpremieren und Podiumsgespräche mit den Protagonistinnen und Protagonisten sowie Gästen in Bern, Chur, Einsiedeln, Thun, Luzern, Zug und Zürich. In Chur werden Bischof Joseph Maria Bonnemain sowie Karin Iten, Fachfrau zur Prävention von Machtmissbrauch des Bistums, anwesend sein. Mehr Infos: www.unservater.ch (sas)