Felix Gmür ist Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.
Story der Woche

Bischof Gmür zur künftigen Missbrauchsstudie: «Habe alles mit bestem Wissen und Gewissen getan»

Erst 13 Jahre nach der ersten Welle der Missbrauchsskandale in Deutschland, wird im September eine Pilotstudie in der Schweiz veröffentlicht. «Niemand von uns ist unschuldig», sagt der Basler Bischof Felix Gmür. Mit seinem Vorgänger Kardinal Kurt Koch hat er sich bereits über die Pilotstudie ausgetauscht. Und: Er schämt sich für den deutschen Altbischof Robert Zollitsch, der Täter schützte.

Jacqueline Straub

Das Missbrauchsgutachten des Erzbistums Freiburg zeigt: Vorgängerbischof Robert Zollitsch hat systematisch Missbrauch vertuscht. Das Bistum Basel steht seit jeher in engem Kontakt zum Nachbarbistum. Wie haben Sie die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens wahrgenommen?

Bischof Felix Gmür*: Ich habe es noch nicht komplett gelesen, aber was ich gelesen habe, ist wirklich schrecklich. Weil man offensichtlich die Kirche und die Täter mehr geschützt hat als die Opfer. Das ist schlimm. Offensichtlich – aber das weiss ich nicht genau – haben die Vorgängerbischöfe des Erzbistums Freiburg sogar kirchenrechtliche Vorgaben nicht eingehalten. Wissentlich oder nicht wissentlich, weiss ich nicht. Aber das ist schlimm.

Wegen aktiver Missbrauchsvertuschung: Robert Zollitsch wird ein Begräbnis im Freiburger Münster verwehrt bleiben.
Wegen aktiver Missbrauchsvertuschung: Robert Zollitsch wird ein Begräbnis im Freiburger Münster verwehrt bleiben.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Gmür: Ich bin wirklich entsetzt. Vor allem, weil Erzbischof Robert Zollitsch auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. Und jetzt scheint er nicht die Empathie an den Tag zu legen, die gefordert wäre. Das macht mich traurig.

Macht Sie das auch wütend?

Gmür: Nein, wütend nicht. Aber ich bin traurig für die Opfer. Und auch für Robert Zollitsch. Er hatte lange Zeit eine verantwortungsvolle Position im Erzbistum. Das entschuldigt natürlich nicht, dass er Fehler gemacht hat. Als Christ, Mensch und Priester müsste er aber jetzt auf die Opfer schauen können. Dass er das nicht kann, macht mich sehr traurig.

«Ich kann nicht verstehen, warum er so gehandelt hat.»

Vor ein paar Monaten hat Bischof Robert Zollitsch bereits Fehler eingeräumt. Nach Veröffentlichung des aktuellen Missbrauchsgutachtens hüllt er sich aber in Schweigen.

Gmür: Ich hoffe, dass er sich demnächst äussern wird.

Denken Sie, dass er so gehandelt hat, weil er Rom und insbesondere Papst Johannes Paul II. gegenüber loyal sein wollte?

Gmür: Das glaube ich nicht. Die längste Zeit der Vertuschung war er Personalverantwortlicher im Bistum Freiburg und war loyal seinem Bischof gegenüber. Ich finde das alles wirklich extrem schrecklich. Weil Menschen zu Schaden kommen. Und weil die Kirche eine Fratze zeigt, die sie nicht haben dürfte. Ich tue mich aber schwer aus der Ferne einen Erzbischof einfach so zu verurteilen. Aber nochmals: Ich kann nicht verstehen, warum er so gehandelt hat. Ich schäme mich dafür, denn er ist mein Mitbruder.

Kirchliche Kommunikation als "Blackbox".
Kirchliche Kommunikation als "Blackbox".

Im September wird die Pilotstudie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz veröffentlicht. Fürchten Sie sich davor, was im Bistum Basel ans Licht kommen könnte?

Gmür: Man muss der Realität ins Auge blicken. Ich glaube nicht, dass diese viel schlechter oder viel besser ist als anderswo. Im Bistum Basel werden ähnliche Ausmasse und Strategien ans Licht kommen wie auch in anderen Bistümern. Ich weiss noch nicht, welchen Zeitraum die Pilotstudie beleuchten wird. Das bestimmen die Historikerinnen und Historiker.

Wenn die Pilotstudie aber bis in die heutige Zeit reichen solle, dann könnte herauskommen, dass auch Sie sich schuldig gemacht haben.

Gmür: Das kann sein, ja. Ich habe alles mit bestem Wissen und Gewissen getan – auch mein Vorgänger, Kardinal Kurt Koch. Vielleicht haben wir Fehler gemacht oder haben nicht adäquat reagiert. Das kann sein und das ist schlimm. Daraus können wir lernen.

«Ich weiss, dass ich nichts vertuscht habe.»

Sollten massive Vorwürfe gegen Sie ans Licht kommen, überlegen Sie dann zurückzutreten?

Gmür: Ich weiss nicht, was man mir vorwerfen könnte.

Sie sagen nicht per se Nein?

Gmür: Niemand von uns ist unschuldig. Ich weiss, dass ich nichts vertuscht habe. Und dass ich keinen Übergriff begangen habe. Auch habe ich keine Täter geschützt. Aber vielleicht habe ich in diesem oder jenem Fall trotzdem nicht adäquat reagiert. Die Studie wird es uns zeigen.

Felix Gmür ist Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Er muss sich auf einen heissen Herbst einstellen.
Felix Gmür ist Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Er muss sich auf einen heissen Herbst einstellen.

Warum wird erst jetzt solch eine Studie veröffentlicht – 13 Jahre nach der ersten Welle der öffentlichen Diskussion in Deutschland?

Gmür: Weil wir die Schweiz sind.

Was heisst das konkret?

Gmür: Weil in der Schweiz alles langsam geht. Und weil nicht die Bischöfe alleine entscheiden können, dass wir das nun machen. Wir haben in vielen Pfarreien und Bistümern auch demokratische Institutionen und Strukturen. Wir haben das Geld bei den Kirchgemeinden. Die Anstellungsbehörden sind die Kirchgemeinden und nicht der Bischof.

«Wir sind so ein kleines Land, wir gehören zusammen.»

Aber Sie als Bischof können doch die Archive öffnen. Sie könnten Anwältinnen oder Historiker beauftragen, diese zu untersuchen.

Gmür: Aber das ist dann zu unvollständig. Wir wollten eine Studie für die ganze Schweiz und nicht wie in Deutschland, für jedes einzelne Bistum. Wir sind so ein kleines Land, wir gehören zusammen. Zudem gibt es länderübergreifende Täterprofile. Wir wollten zudem die Bistümer, die Ordensgemeinschaften, die Kirchgemeinden und die Landeskirchen im Boot haben. Sie müssen alle mit dabei sein, das dauert einfach sehr lange. Und wer zahlt das am Schluss? Da musste auch lange verhandelt, gerungen, diskutiert werden – und das alles in drei Sprachen. Damit der Zugang zu allen Archiven gewährt wurde, braucht es eben Zeit.

Über zehn Jahre?

Gmür: Ja, es dauert alles lange in der Schweiz.

Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.
Kurt Koch war früher Bischof von Basel – heute ist er Kurienkardinal.

Hand aufs Herz: Werden alle Akten untersucht, oder wurden – wie in deutschen Bistümern – Akten vernichtet, um Täter zu schützen?

Gmür: Ich weiss das nicht. Ich habe nie etwas geschreddert. Im Herbst erscheint die Vorstudie. Man muss auch gegenüber den Vorgängern in der Personalabteilung, die Zugang zu den Akten hatten, fair bleiben – und sie nicht vorschnell verurteilen.

Zurück zu Ihrem Nachbarbistum Freiburg. Stephan Burger hat deutliche Worte über seinen Vorgänger gefunden. Würden Sie sich auch so positionieren gegenüber Ihrem Vorgänger Kardinal Kurt Koch und sogar einen Fall in Rom gegen ihn eröffnen lassen?

Gmür: Ich bin überzeugt, dass Bischof Kurt Koch auch in diesem Bereich alles mit bestem Wissen und Gewissen getan hat.

*Felix Gmür ist Bischof von Basel und Vorsitzender der Schweizer Bischofskonferenz. Das Nachbarbistum Freiburg ist in engem Kontakt mit dem Bistum Basel. Dort werden etwa Priester des Bistums Basel ausgebildet. 


Felix Gmür ist Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. | © Christian Merz
21. April 2023 | 05:00
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