Metropolit Hilarion am 27. Mai 2022 in Moskau.
Zitat

Barbara Hallensleben: Metropolit Hilarion – drei Monate sprechendes Schweigen

Aus Internetquellen, nicht zuletzt aus Fernsehsendungen und Predigten von Metropolit Hilarion, lässt sich seine implizite, aber unüberhörbare Distanz zum Krieg heraushören. «In seiner ersten Predigt in Budapest am Sonntag, 26. Juni 2022, unterliess Metropolit Hilarion nicht seine deutlichen Worte.

Anlässlich des Festtags «aller russischen Heiligen» erwähnte der Metropolit in seiner Predigt eine ganze Reihe von Heiligengestalten seit der Taufe der Rus› unter dem heiligen Fürsten Vladimir.

Unter anderem sprach er ausführlich über Metropolit Philipp von Moskau (1507-1569), «der sich nicht scheute, dem schrecklichen Tyrannen [Ivan dem Schrecklichen], der unschuldiges Blut vergoss, die Stirn zu bieten, und der am Ambo der Mariä-Entschlafens-Kathedrale des Moskauer Kremls, statt den schrecklichen Zaren zu segnen, ihn streng zurechtwies und sagte: ‹Sogar die Kinder Hagars und die Heiden haben Recht und Wahrheit, aber in unserem russischen Land gibt es kein Erbarmen›, wofür er mit seinem eigenen Leben bezahlte und vom Oprichnik [Leibwächter] des Zaren erwürgt wurde», so Metropolit Hilarion.

Das Video hat inzwischen allein auf Youtube über 30.000 Zuschauer gefunden:

(…)

Ähnlich deutlich sprach er bereits im russischen Staatsfernsehen: »In seiner Fernsehsendung «Kirche und Welt» am 20. März 2022 ging der Metropolit auf eine Frage nach Rasputin ein und wies auf das zwiespältige Bild dieses sibirischen Wanderpredigers mit seinem grossen Einfluss auf die Zarenfamilie hin.

Unter anderem sagte er: «Wir wissen, dass viele der Ratschläge, die Rasputin dem Zaren gab, richtig waren. Der Zar hörte meistens nicht auf diesen Rat, aber wenn er ihn befolgt hätte, wäre das Schicksal Russlands vielleicht anders verlaufen. Rasputin war beispielsweise ein glühender Gegner eines Kriegseintritts Russlands und warnte den Zaren, dass ein Kriegseintritt Russlands für das ganze Land katastrophale Folgen haben würde. Der Zar hörte nicht auf ihn und Russland trat in den Krieg ein.

Russland hatte alle Chancen, militärisch zu gewinnen, aber es kamen andere Faktoren ins Spiel, und schliesslich verloren wir nicht nur einen Teil der russischen Gebiete, sondern Russland als solches. In den Weiten Russlands ist ein neuer totalitärer Staat errichtet worden, und von dem alten, grossen Russland, das viele Jahrhunderte lang gelebt hat, ist nichts mehr übrig, ausser natürlich der russischen orthodoxen Kirche». 

Gegenüber Patriarch Kyrill ist zunehmend Hilarions Wille zu erkennen, sich auch öffentlich und im Rahmen offizieller Mandate von den Positionen seines Vorgesetzten abzugrenzen. 

«Dafür spricht Metropolit Hilarions offizieller Besuch bei Erzbischof Chrysostomus von Zypern, der nicht nur den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt hat, sondern durch seine Kommemoration von Metropolit Epiphanij als Oberhaupt der neuen autokephalen Kirche in der Ukraine aus Sicht des Moskauer Patriarchen ausserhalb der kirchlichen Koinonia steht. […] Der Bericht von «Orthodox Times» schliesst mit der Bemerkung: «Diese ‹Wende› vollzog sich hauptsächlich in dem Zeitraum nach der vorbereitenden Versammlung des ÖRK [auf Zypern, 10.-15.5.2022]. Orthodoxtimes.com zugängliche Quellen berichten, dass Metropolit Hilarion in Paralimni [Zypern] eine sehr moderate Haltung einnahm und eine aussergewöhnliche Mässigung in den Diskussionen mit den Delegationen aller Kirchen zeigte».

«Seit langer Zeit hat Metropolit Hilarion auch Feinde. Er lebte in einem unerhörten Spannungsfeld: Vom Westen als erzkonservativer Hardliner be- und verurteilt, war er im Kontext der Russischen Orthodoxen Kirche und der russischen Gesellschaft für viele bei weitem zu liberal, zu ökumenisch, zu westlich.

Unter den neuen politischen Bedingungen eskalierte die Polarisierung. Bereits so selbstverständliche Aktivitäten eines Leiters des Departements für kirchliche Aussenbeziehungen wie der Besuch in den Botschaften verschiedener Länder, und sei es auch um Visa-Fragen zu regeln, wurde als «Konspiration mit feindlichen Staaten» betrachtet.

Die Bereitschaft, auf Fragen in westlichen Medien zu antworten, wurde für ihn offenbar ebenfalls verhängnisvoll, insbesondere die Interviewteile in der österreichischen TV-Sendung «Kreuz und Quer» mit dem Titel «Ukraine: Kirchenstreit und Bruderkrieg» am 24. Mai 2022. Der Metropolit stellte sich für dieses Interview zur Verfügung, obwohl er in der gesamten Sendung eher in ein negatives Licht gerückt wird. Was sonst noch auf der «schwarzen Liste» stand, die zu seinem jetzigen Exil in Budapest führte, lässt sich zur Zeit wohl kaum eruieren. Es brauchte nicht viel mehr als drei Monate, bis der Metropolit zur persona non grata wurde.»

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Metropolit Hilarion ist kein «Dissident», wie der Westen sie gerne hat und herumreicht, um das eigene Weltbild nicht hinterfragen zu müssen. Selbst echte Dissidenten haben für diese Attitüde eher ironischen Spott bereit (vgl. Alexander Sinowjew, Homo Sovieticus, Zürich 1987).

Er ist und bleibt ein Metropolit der Russischen Orthodoxen Kirche mit dem Ziel, der Weihe seines Lebens zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen treu zu bleiben. Er ist und bleibt als Hierarch den kirchlichen Regeln unterworfen und kann auch ausserhalb Russlands nicht alles sagen und tun.

Viel wäre zu berichten über seine unerhörten Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, der Musik, der Publizistik, der Dokumentarfilme, der Glaubensunterweisung für breite kirchliche Kreise.

Bis zu seinem Exil hat er darauf bestanden, trotz seiner hohen Ämter «Pfarrer» einer Ortsgemeinde in Moskau zu sein, und dort nicht zuletzt die sehr aktive Jugendbewegung unterstützt.

Er verschweigt nicht, dass er sich um gute Beziehungen zum Staat bemüht hat. Nur auf diese Weise ist es z.B. möglich geworden, die Anerkennung der Theologie als staatliches Unterrichtsfach an Universitäten zu erzielen – ein Schritt, der sogar über die Wiederherstellung der Situation vor der Russischen Revolution hinausgeht, weil damals die Theologie als «bogoslovie» auf kirchliche Akademien und Seminare beschränkt war.

Metropolit Hilarion hat letztlich keine Wandlung in seinen Ansichten und seiner Zielsetzung vollzogen, sondern eine Anpassung der gewählten Methoden an die Umstände – und musste damit die Entscheidung des 7. Juni in Kauf nehmen. Die Zeit der öffentlichen Verhandlungen in offizieller Rolle vor öffentlichen Medien ist offenbar an ihr Ende gekommen.

Insofern habe ich Verständnis für die Position von Kardinal Kurt Koch, der ein weiteres Treffen zwischen Papst und Patriarch während der Fortdauer des Krieges ausschliesst: «Würde eine erneute Begegnung von Papst und Patriarch in einem Moment stattfinden, in dem noch immer kriegerische Handlungen erfolgen und Patriarch Kyrill an seiner unhaltbaren Rechtfertigung des Krieges festhalten würde, wäre sie schwerwiegenden Missverständnissen ausgesetzt. Denn sie könnte als Unterstützung der Position des Patriarchen durch den Papst missverstanden werden, was den Papst in seiner moralischen Autorität arg beschädigen würde.

Vielleicht liegt die Tragik weit tiefer: Unsere heutige Welt absoluter medialer Transparenz macht jegliche andere Kommunikationsform unmöglich – oder bedeutungslos – oder verdächtig.

So bietet das «System» eine entlastende Dispens, eine alternative Kommunikation ohnehin nicht suchen zu können und folglich auch nicht suchen zu müssen. Die Bitte des Metropoliten um Vertrauen und um alternative Räume des Hörens aufeinander hat jedenfalls keine Resonanz gefunden.»

Barbara Hallensleben (65) ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene in Freiburg i.Ü. Sie ist Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Mitglied der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission und Mitglied einer Studienkommission zum Frauendiakonat.

In der «Herder Korrespondenz» dokumentiert sie die Entmachtung des einstigen Aussenbeauftragten der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Hilarion. Dieser ist laut Hallensleben nun «im Exil» in Budapest – muss sich aber auch dort den Spielregeln des Moskauer Patriarchats unterwerfen.

29. Juli, 16:30 Uhr: Wir haben den Zitat-Ausschnitt um weitere Ausschnitte ergänzt. Die komplette Dokumentation finden Sie hier. (rr)


Metropolit Hilarion am 27. Mai 2022 in Moskau. | © Keystone
29. Juli 2022 | 14:10
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