Metropolit Hilarion am 27. Mai 2022 in Moskau.
Zitat

Götterdämmerung im Patriarchat? Warum Hilarion gehen musste

«Hilarion hatte zwar anders als der Patriarch selbst in den vergangenen Monaten den militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine nicht theologisch oder historisch gerechtfertigt, doch ist auch er als scharfer Kritiker der westlichen Moderne und ihrer liberalen Werte bekannt, die der Patriarch Anfang März zum Anlass genommen hatte, den Krieg als einen ‘metaphysischen Kampf’ gegen die Sünde zu rechtfertigen. (…)

Neben Patriarch Kirill war Metropolit Hilarion in den vergangenen Jahren sicherlich der bekannteste Promotor der Vorstellung einer ‘Russischen Welt’ (‘Russkij Mir’), einem die meisten ehemaligen Sowjetrepubliken umfassenden gemeinsamen Sprach-, Zivilisations- und Kulturraum. Die russisch-orthodoxe Kirche selbst versteht sich als die religiös-spirituelle Seite dieser ‘Russischen Welt’ und beansprucht die kirchliche Jurisdiktion über fast alle postsowjetischen Staaten. (…)

Der einzige bislang bekannte Punkt, der eventuell den Unmut Kirills erregt und zum Sturz Hilarions geführt haben könnte, ist die – in der Tat überraschende – Zustimmung einer von Hilarion geleiteten Delegation der russisch-orthodoxen Kirche zu einem Bericht über eine Interorthodoxe Vorbereitungstagung der diesjährigen Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe. 

In dem Mitte Mai auf Zypern beschlossenen Text verurteilten Vertreter von 20 orthodoxen Kirchen «angesichts des bewaffneten Konflikts in der Ukraine» in allgemeiner Form «einvernehmlich Kriege» und erklärten ebenfalls ganz allgemein, «dass Konflikte nur durch friedliche Mittel und Dialog und nicht durch einen Militäreinsatz gelöst werden dürfen». Sollte diese Abweichung von der Position des Patriarchen ausgereicht haben, um Hilarion zu degradieren? Oder gab es noch weitere Meinungsverschiedenheiten? 

Wie dem auch sei – dass der Patriarch so dünnhäutig reagiert hat, zeigt, wie angespannt offenbar inzwischen auch die Situation im Machtzentrum der ROK sein muss.»

Reinhard Flogaus ist Dozent für Kirchengeschichte und Fachvertreter für Ostkirchenkunde an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin. In einem Gastbeitrag für die «Süddeutsche Zeitung» (14. Juni) äussert er sich zur Absetzung von Metropolit Hilarion, der künftig die russisch-orthodoxe Metropolie von Budapest und ganz Ungarn leiten wird – eine klare Degradierung vom bisherigen Amt des Aussenbeauftragten in Moskau. (rr)


Metropolit Hilarion am 27. Mai 2022 in Moskau. | © Keystone
14. Juni 2022 | 06:57
Lesezeit: ca. 1 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!