Arnd Bünker
Schweiz

Arnd Bünker: «Mit einer Synode wie der Synode 72 wäre uns heute nicht mehr geholfen»

Wie geht’s weiter mit dem synodalen Prozess? Noch ist unklar, wer Bischof Felix Gmür zum Europa-Treffen nach Prag im Februar 2023 begleitet. Arnd Bünker koordiniert in der Schweiz die nächsten Schritte. Er begrüsst die Entscheidung von Papst Franziskus, den synodalen Prozess bis 2024 zu verlängern.

Raphael Rauch

Sie haben vor einem Monat bei einem Hearing in Luzern ein nationales synodales Büro vorgeschlagen. Sie erhielten dafür Beifall und Kritik. Wie geht’s nun weiter?

Arnd Bünker*: Für den Aufbau von neuen Strukturen und einem nationalen synodalen Büro ist es noch zu früh. Die Erwartungen an eine synodale Kirche sind in der Schweiz dafür zu heterogen. Die einzelnen Sprachregionen stehen an verschiedenen Punkten. Sie teilen oft ganz unterschiedliche Erfahrungen, Leitideen und Visionen. Wir müssen ein gemeinsames Verständnis von Synodalität in der Schweiz erst noch miteinander lernen. Das war für mich das wichtigste Ergebnis des Hearings.

Synodale Versammlung im Grossen Saal des Klosters Einsiedeln am 30. Mai 2022.
Synodale Versammlung im Grossen Saal des Klosters Einsiedeln am 30. Mai 2022.

«Wir müssen Synodalität erst noch lernen» – was meinen Sie damit?

Bünker: Synodalität heisst nicht, dass wir jetzt schon rasch gesamtschweizerisch Kirchen-und Pastoralreformen umsetzen. Dazu fehlt uns noch eine gemeinsame Vorstellung. Auch die meisten Bistümer definieren aktuell eher synodale Haltungen anstelle von neuen Strukturen. Synodalität heisst: Wir suchen noch viel intensiver als bislang das Gespräch, auch mit Menschen, die bislang zu wenig gehört wurden, und zu Themen, bei denen kosmetisch-oberflächliche Lösungen zu kurz greifen würden. Wie erreichen wir Geschlechtergerechtigkeit nicht nur als politische Modernisierung, sondern als Baustein echter Erneuerung der Kirche? Welche Lösungen finden wir im Blick auf den Klerikalismus? Also nicht nur als stückweise Kompetenzerweiterung für «Laiinnen und Laien», sondern als Suche nach einem heute tragfähigen Verständnis des priesterlichen Amtes im Rahmen der Sakramentalität der ganzen Kirche und aller ihrer Glieder?

«In der Deutschschweiz heisst es: Wir müssen Tempo machen.»

Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Schweiz um?

Bünker: Hinter den «Geschwindigkeiten» stecken unterschiedliche Erwartungen und Prioritäten: Das ist eine grosse Herausforderung. Vor allem in der Deutschschweiz heisst es: Wir müssen auf die Tube drücken und Tempo machen. Andere sagen: Wir müssen noch mehr Menschen mitnehmen und erst einmal alles gemeinsam vertiefen und spirituell reflektieren. Andere finden, in Zeiten des Ukraine-Krieges und der Klima- und Energiekrise ist vor allem in diesem Fragen Engagement angesagt. Wieder andere sagen: Wir müssen national als Kirche stärker erkennbar werden – gerade in einer Gesellschaft, in der viele die Kirche nur noch aus den Medien wahrnehmen. Diese unterschiedlichen Erwartungen und Prioritäten werden bleiben.

Bischof Lazzeri eröffnete im Oktober 2021 den synodalen Prozess in der Kathedrale Lugano.
Bischof Lazzeri eröffnete im Oktober 2021 den synodalen Prozess in der Kathedrale Lugano.

Der Bischof von Lugano, Valerio Lazzeri, galt in der Schweizer Bischofskonferenz als Bremsklotz. Können Sie mit dem Apostolischen Administrator, Weihbischof Alain de Raemy, nun schneller Reformen durchsetzen?

Bünker: Ich sehe Bischof Valerio nicht als Bremsklotz, das wird ihm und seiner Situation nicht gerecht.

«Im Tessin ticken die Uhren anders.»

Verglichen mit der Deutschschweiz ticken die Uhren im Tessin anders. Die Verhältnisse lassen sich kaum vergleichen. Schauen Sie sich mal die Finanzen des Bistums Lugano an: Bischof Valerio könnte es sich gar nicht leisten, nicht-geweihten Menschen eine Gemeindeleitung zu geben! Ein Vater oder eine Mutter bräuchte ein höheres Salär, um eine Familie ernähren zu können.

«Priester sind billiger als Nicht-Geweihte.»

Worauf wollen Sie hinaus?

Bünker: Nur schon die finanziellen Rahmenbedingungen des Bistums Lugano spiegeln eine andere Realität als in der Deutschschweiz wider und verlangen eine andere pastorale Planung: Priester sind billiger als Nicht-Geweihte, das meine ich nicht zynisch, das ist die Realität vor Ort. Dazu kommt die kulturelle Frage der Religiosität. Priester sind immer noch ein sehr wichtiger Teil in der italienischen Frömmigkeitskultur. Es stimmt, dass sich das Bistum Lugano eher an Mailand orientiert und an der italienischen Bischofskonferenz. Aber das war schon immer so und ist für mich völlig nachvollziehbar. Das ist kein Spezifikum von Bischof Valerio, sondern ein Minoritätenphänomen. Auch Südtirol schaut eher nach Wien als nach Rom.

Wenn es für ein nationales synodales Büro zu früh ist: Wie geht’s jetzt dann weiter?

Bünker: Die Spurgruppe hat einen Vorschlag erarbeitet für den Kooperationsrat von Bischofskonferenz (SBK) und Römisch-Katholischer Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Der Vorschlag wird bald diskutiert werden. Wir versuchen den Spagat: einerseits dem Prozess Zeit geben. Andererseits schnell zu einer breiteren und verbindlicheren Beteiligung kommen, ohne schon dauerhafte neue Strukturen zu errichten.

Hearing zum synodalen Prozess in Luzern.
Hearing zum synodalen Prozess in Luzern.

Mit dem Hearing in Luzern haben wir schon versucht, Transparenz zu schaffen und ein breites Echo abzuholen. Das war extrem wichtig, aber da ist auch Luft nach oben. Schliesslich hat die Spurgruppe nur übergangsweise einen Auftrag und wird hoffentlich bald durch ein breiter aufgestelltes Gremium abgelöst.

«Synodalität hat etwas Zirkuläres.»

Papst Franziskus hat den synodalen Prozess um ein Jahr verlängert. Wie finden Sie das?

Bünker: Ich finde das super. Es zeigt, dass die synodalen Übungen des letzten Jahres, die Papst Franziskus angestossen hat, schon Lern- und Veränderungsimpulse geben. Synodalität ist keine Einbahnstrasse, sondern hat etwas Zirkuläres: Beratung geht hin und her. Mit «einmal Mitreden» ist es nicht getan! Die nationalen Berichte sind nach Rom geschickt worden – die weltweite Synthese soll nun zurückkommen und nochmals in den Bistümern diskutiert werden. Synodalität kennt kein Diktat, sie ist Gespräch, Hören, Sprechen, Verstehen, Neuverstehen, Verändern, Unterscheiden, Entscheiden… In der Pfarrei vor Ort wie weltweit.

Sonnenglitzer auf dem Fluss
Sonnenglitzer auf dem Fluss

Papst Franziskus will, dass nicht nur die Bischöfe mitmischen, sondern auch das «Volk Gottes». Das dürfte in Ihrem Sinne sein.

Bünker: Ja. Synodalität ist ein Merkmal der ganzen Kirche, nicht nur einer bischöflichen Konferenzform. Das dürfte auch im Februar wieder deutlich sichtbar werden, wenn in Prag die europäische Phase der Synode stattfindet. Nicht nur Bischöfe sind dort eingeladen, auch und gerade «Laiinnen und Laien». Zudem können vermutlich noch weitere Personen online mitwirken. Für den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen, der sein Büro ja im gleichen Haus wie unser SPI hat, ist das sicher auch eine spannende Versuchsanlage, die kurzfristig auf die Beine gestellt werden muss.

«Solange Dinge im Fluss sind, kann man sie auch korrigieren.»

Der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, hat eine Experimentierphase vorgeschlagen. Pilotprojekte sollen Freiräume für Experimente eröffnen. Können Sie sich das für die Schweiz vorstellen?

Bünker: Das finde ich einen sehr spannenden und realistischen Ansatz. Ich glaube, dass wir erst ganz am Anfang sind zu lernen, wie Synodalität gehen kann. Da wird es auch Fehler und Fehlentscheidungen geben – aber solange Dinge im Fluss sind, kann man sie auch wieder korrigieren. Synodalität heisst dann auch Weiterentwicklung und Qualitätsgewinn für die Kirche und ihre Sendung. Das schliesst unbedingt ein, dass auch strukturelle Reformen angepackt werden, aber ohne sie in Beton giessen zu müssen.

Das heisst?

Bünker: Wir sind es gewohnt, dass Kirchenstrukturen von Dauer sind. Das mag so richtig gefunden worden sein – heute ist es überholt. Die Welt verändert sich rasend schnell und verlangt auch von der Kirche ständige Anpassung, damit sie dort ist, wo Menschen sie am meisten brauchen. Genau dazu braucht es Synodalität: Hinhören, was ist, was passiert, was wahrgenommen wird, wer überhört wird… Das wird ein Dauerthema bleiben. Mit einer Synode wie der Synode 72 wäre uns heute nicht mehr geholfen.

Bischof Johannes Vonderach von Chur, Mitte, eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72.
Bischof Johannes Vonderach von Chur, Mitte, eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72.

Warum nicht?

Bünker: Die Synode 72 hatte ein Programm für Jahrzehnte. Und schon damals wollte man – völlig zurecht – die synodale Arbeit in der Schweiz auf Dauer stellen. Rom hat das damals abgelehnt. Heute weht ein anderer Wind, so mein Eindruck.

«Synodalität muss agiler gedacht werden.»

Ich glaube, dass Synodalität heute agiler und näher am Wandel der Zeit gedacht werden muss. Der Heilige Geist weht ja auch nicht nur alle 50 Jahre mal durchs Land, sondern wann und wo er will. Hier kann Kirche nur eine hörende und lernende Organisation sein, Volk Gottes unterwegs, auch mal auf Abwegen, aber bereit, umzukehren, nicht perfekt und makellos, aber ehrlich im Bemühen um den richtigen Weg heute und fähig zu Veränderung und Korrektur.

* Der Theologe Arnd Bünker (52) leitet das Schweizerische Pastoralsoziologisches Institut (SPI) in St. Gallen und ist Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz. Er gehört einer Spurgruppe an, die die nächsten Schritte in der Schweiz mit Blick auf den synodalen Prozess koordiniert.


Arnd Bünker | © Silvan Hohl
20. Oktober 2022 | 16:26
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