Theologin und Dogmatik-Professorin Veronika Hoffmann, Universität Freiburg
Schweiz

Theologieprofessorin: «Wenn wir den Kampf mit dem Bösen in uns aufnehmen, müssen wir nicht in die Wüste»

Schon unser Alltag fühlt sich als Fastenzeit an: Inflation, schmale Gehälter, hohe Mieten, teures Lebenshaltungsniveau. Müssen wir da auch noch fasten? Dogmatik-Professorin Veronika Hoffmann stellt klar, dass es nicht in erster Linie ums materielle Fasten geht – sondern um die Neuausrichtung des Lebens auf das Evangelium hin. Sie selbst praktiziert ein ganz spezielles Fasten.

Wolfgang Holz

Fasten Sie momentan, Frau Hoffmann?

Veronika Hoffmann: Ich versuche umzukehren. Dieses Jahr geht es mir darum, die Menschen besser wahrzunehmen, mit denen ich zu tun habe. Konkret gebe ich mir Mühe, andere weniger zu unterbrechen – das ist leider eine sehr schlechte Angewohnheit von mir.

«Umkehr ist nicht etwas, was man einfach machen kann wie eine geistliche Turnübung.»

Das klingt aber interessant und gleichzeitig schwierig…

Hoffmann: Es mag aussehen wie eine Kleinigkeit, aber es fühlt sich für andere schnell wie ein Zeichen mangelnder Wertschätzung an. Die frustrierende Erfahrung, dass ich es trotz meiner Bemühung zum Teil nicht hinbekomme, den anderen ausreden zu lassen, gehört gewissermassen dazu: Umkehr ist nicht etwas, was man einfach machen kann wie eine geistliche Turnübung. Sie steht nur begrenzt in unserer Macht.

Theologieprofessorin Veronika Hoffmann
Theologieprofessorin Veronika Hoffmann

Welchen Sinn hat das Fasten für Sie als Professorin für Dogmatik generell? Jesus ist ja 40 Tage in die Wüste gegangen, um dem Satan zu entsagen. Ist so etwas heutzutage noch machbar?

«Dieses Böse begleitet uns ja – leider – überall hin.»

Hoffmann: Aus christlicher Sicht steht im Zentrum der 40 Tage vor Ostern nicht das Fasten, sondern die Umkehr. Deshalb heisst die Zeit ja auch eigentlich – etwas sperrig – «österliche Busszeit». Wenn wir dabei den Kampf mit dem Bösen in uns aufnehmen, müssen wir nicht unbedingt in die Wüste gehen. Dieses Böse begleitet uns ja – leider – überall hin.  

Das Leben ist für viele Menschen auch in den hoch entwickelten Industriegesellschaften sehr schwer geworden. Die Armut nimmt zu, viele können sich das Leben kaum mehr leisten. Warum soll man da auch noch fasten, wenn der Alltag zur Fastenzeit geworden ist?

Alleinerziehende müssen oft mit kleinem Budget zurechtkommen.
Alleinerziehende müssen oft mit kleinem Budget zurechtkommen.

Hoffmann: Jemanden zum materiellen Verzicht aufzufordern, der ohnehin nur das Nötigste hat, ist natürlich nicht sinnvoll. Und schon gar nicht, wenn man selbst vielleicht in einer ökonomisch besseren Situation ist. Umso wichtiger finde ich es, im dargestellten Sinn die vorösterliche Umkehr nicht auf materielles Fasten zu reduzieren. Das heisst umgekehrt nicht, dass nicht für manche von uns ein solches materielles Fasten eine sinnvolle Form von Umkehr sein kann. 

«Ich masse mir nicht an, Leuten vorzuschreiben, ob und wie sie fasten sollen.»

Für viele ist Fasten andererseits zu einer Art Fitness-Lifestyle geworden. Man isst weniger, verzichtet auf Alkohol und Süssigkeiten, auf Social Media. Sind das zielführende Fastenaktionen, wenn man Wochen später genau gleich weiterlebt wie vorher?

Hoffmann: Unter Umständen geht es dabei gar nicht um das christliche Motiv der Umkehr. Man kann mit dem Fasten verschiedene Ziele verfolgen, auch gesundheitliche. Ich masse mir nicht an, Leuten vorzuschreiben, ob und wie sie fasten sollen. Und es steht mir auch nicht zu, zu beurteilen, bei wem sich dadurch dauerhaft etwas ändert oder nicht.

Alkoholausschank
Alkoholausschank

Ich weiss zum Beispiel von Menschen, die auf Alkohol verzichten, den sie sonst regelmässig trinken, um sicherzustellen, dass sie nicht abhängig geworden sind. Dann hat der zeitlich begrenzte Verzicht seinen guten Sinn. Wie gesagt: Im Kontext des christlichen Glaubens würde ich den Akzent etwas anders setzen, aber dadurch wird ja nicht alles andere fragwürdig. 

«Das Geld, das ich nicht in eine neue Hose investiert habe, kann ich spenden.»

Sollten vom persönlichen Fasten nicht vor allem auch andere Menschen profitieren – indem man ihnen zum Beispiel mehr Zeit schenkt, der Familie, den Freundschaften? Oder indem etwas spendet?

Hoffmann: Jedenfalls wäre es eine gute Idee. Und oft können das zwei Seiten derselben Medaille sein. Wenn ich versuche, ein überbordendes Bedürfnis einzuhegen – nach Genuss, Besitz, Macht, Anerkennung –, dann hat das in der Regel auch eine Wirkung auf andere. Das Geld, das ich nicht in eine neue Hose investiert habe, kann ich spenden. Und wenn ich meinen Mund halte, haben andere mehr Raum, sich auszudrücken.

«Es geht um die Neuausrichtung meines Lebens und des Lebens der Kirche auf das Evangelium.»

Welchen Effekt sollte Fasten aus Ihrer Sicht grundsätzlich haben – für die Gesellschaft, für den Einzelnen?

Hoffmann: Wieder scheint mir die Frage zu sein, ob ich es spezifisch christlich unter dem Umkehr-Aspekt sehe – dann ist die Antwort schon gegeben: Es geht um die Neuausrichtung meines Lebens und des Lebens der Kirche auf das Evangelium.

Veronika Hoffmann in Freiburg
Veronika Hoffmann in Freiburg

Wie meinen Sie das?

Hoffmann: Wenn ich es allgemeiner nehme, kann es ein Hinweis und ein Ansatz sein, die Begierden einzugrenzen, von denen wohl jeder und jede welche hat: geniessen, haben, Macht ausüben und so weiter. Die sind nicht in sich schlecht. Aber wenn man sie ungebremst auslebt, gehen sie auf Kosten des Nächsten – als Einzelner und als Gesellschaft. Ihre kritische Rückfrage an den gesellschaftlichen Nutzen des Fastens finde ich auch wichtig: 40 Tage lang auf etwas verzichten, vor allem zu Gunsten anderer, kann einen sensibler werden lassen. Aber es kann den Einsatz für Gerechtigkeit nicht ersetzen. Der ist das ganze Jahr nötig.

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*Veronika Hoffmann, ist Theologin und Professorin für Dogmatik an der Universität Freiburg. Sie wurde 1974 in Darmstadt geboren. Sie studierte katholische Theologie in Frankfurt (St. Georgen) und Innsbruck und machte unter anderem eine Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Mainz. Hoffmann war Religionslehrerin und Schulseelsorgerin an der Marienschule in Offenbach.


Theologin und Dogmatik-Professorin Veronika Hoffmann, Universität Freiburg | © Charles Ellena
29. Februar 2024 | 12:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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