Abt Urban Federer
Schweiz

Abt Urban Federer: «Fasten ist für uns keine Selbstkasteiung»

Wie fasten Mönche konkret? Erstaunlich locker, wie es scheint. Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln beschreibt, wie sein persönliches Fasten derzeit aussieht. Er verzichtet auf Alkohol, Schokolade und seine tägliche Lieblingsmahlzeit – das Frühstück. Der 55-jährige Klostervorsteher betont, dass Fasten für die Mönche keine Selbstkasteiung bedeute, sondern eine Zeit der Vorbereitung auf das Osterfest.

Wolfgang Holz

Wie fasten Sie zurzeit, Abt Urban?

Abt Urban Federer: Es ist für mich ein Unterschied, ob man von fasten oder verzichten spricht. Fasten bedeutet eigentlich, dass man etwa eine ganze Mahlzeit auslässt. In der katholischen Kirche gibt es nur zwei offizielle strenge Fasttage, den Aschermittwoch und den Karfreitag, an denen nur eine sättigende Mahlzeit eingenommen werden sollte.

Auch in der Fastenzeit barock -die Fassade des Klosters Einsiedeln
Auch in der Fastenzeit barock -die Fassade des Klosters Einsiedeln

Momentan faste ich, indem ich meine Lieblingsmahlzeit, das Frühstück, nicht einnehme. Daneben verzichte ich auf Alkohol und auf Süssigkeiten. Nicht zuletzt versuche ich, weniger am Computer zu arbeiten. Im Kloster gibt es zudem ein Gemeinschaftsfasten.

«Wir geben beispielsweise der Stille mehr Raum.»

Und wie sieht dieses kollektive Fasten aus?

Abt Urban: Dabei geht es nicht nur um das Essen. Wir geben beispielsweise der Stille mehr Raum, indem wir mittwochs und freitags nach dem Abendessen in der Fastenzeit sofort zum Silentium übergehen. Sprich: Wir pflegen das Schweigen. Jeder zieht sich dann zurück, um die Ruhe zu geniessen.

Dürfen Sie dann, wenn Sie sich zurückziehen, im Prinzip auch fernsehen…

Abt Urban: Das Ziel ist mehr Ruhe. Was der Einzelne daraus macht, ist jedem selbst überlassen Auch in der Liturgie gibt es mehr Stille. Es gibt kein Orgelspiel, die Farben in der Kirche werden zurückgenommen. Und da ist noch das typisch Benediktinische der Fastenzeit.

Mystisch: Das Kloster Einsiedeln
Mystisch: Das Kloster Einsiedeln

Der Heilige Benedikt sagt nicht unbedingt, dass man auf vieles verzichten, sondern vor allem einige Dinge mehr tun soll als zu anderen Jahreszeiten. Mehr Stille beispielsweise. Oder mehr lesen. Ich schlafe auch mehr.

«Fasten ist eine Mehrzeit: Mehr Zeit haben für Anderes und für Andere.»

Welchen spirituellen oder körperlichen Benefit erleben Sie durchs Fasten?

Abt Urban: Mir erscheint der spirituelle Aspekt des Fastens wichtiger. Dadurch wird es mir möglich, eine grössere Freiheit zu erlangen – was ja das eigentliche Ziel des Fastens ist. Durch das Fasten kann ich spüren und erfahren, dass ich bestimmte Dinge gar nicht brauche. Am Ende der Fastenzeit hat man sich meist an den Verzicht gewöhnt. Fasten ist eine Mehrzeit: Mehr Zeit haben für Anderes und für Andere.

Jesus ging 40 Tage in die Wüste, um zu fasten und um dem Satan zu entsagen. Sind solche radikalen Fastenrituale heute nicht mehr denkbar?

Abt Urban: Es gibt heutzutage durchaus Menschen, für die ist das Fasten en vogue. Man kann Fastenkurse besuchen, nicht nur um abzunehmen, sondern auch auf religiöse Weise innerlich frei zu werden. Was Jesus betrifft, ging er nicht 40 Tage in die Wüste, um zu fasten, sondern seiner Berufung nachzugehen und um dem Bösen zu entsagen – um damit auf seine bevorstehende Mission vorbereitet zu sein.

Abt Urban Federer
Abt Urban Federer

Wobei die 40 Tage an die 40 Jahre des Auszugs aus Ägypten ins gelobte Land erinnern. Die 40 Tage der Fastenzeit dienen also der Umkehr: einem Auszug aus eigenen Abhängigkeiten im Hinblick auf die Freiheit von Ostern.

«Der Heilige Benedikt hat schon vor 1500 Jahren in seiner Regel geschrieben, dass  Mönche immer ein Leben wie in der  Fastenzeit  führen sollten.»

Fällt es einem als Mönch grundsätzlich schwerer oder leichter zu fasten – schliesslich führen Mönche im Kloster ja bereits ein asketisches Leben?

Abt Urban: Es ist richtig: In vielem führen wir ein einfaches Leben. Der Heilige Benedikt hat allerdings schon vor 1500 Jahren in seiner Regel geschrieben, dass  Mönche zwar immer ein Leben wie in der  Fastenzeit  führen sollten. Weil dazu aber nur wenige die Kraft hätten, sollen sie es wenigstens in der eigentlichen Fastenzeit so leben.  

Vereist im Winter: Das Denkmal des Heiligen Benedikt in Einsiedeln
Vereist im Winter: Das Denkmal des Heiligen Benedikt in Einsiedeln

Für mich persönlich ist es etwa nicht leicht, weniger am Computer zu arbeiten, weil dies zu meiner Arbeit als Abt gehört. In der Fastenzeit versuche ich nun, täglich früher aufzuhören und dafür ein Buch in die Hand zu nehmen.

Werden wir mal ganz konkret: Was hatten Sie denn heute zum Mittagessen?

Abt Urban: Heute ist Dienstag, das ist ein Fleischtag. Wir hatten Fleischvögel, Kartoffeltätschli und Rosenkohl. Es ist bei uns im Kloster Einsiedeln üblich, das ganze Jahr über dienstags, donnerstags und sonntags Fleisch zum Mittagessen zu haben – auch in der Fastenzeit.

«Fleischvögel sind ein einfaches Gericht.»

Hoppla, das klingt jetzt fast schon ein bisschen opulent für Mönche in der Fastenzeit. Finden Sie nicht?

Abt Urban: Finden Sie? Fleischvögel sind ein einfaches Gericht. Es gibt Mitbrüder, die verzichten individuell auf das Fleisch. Wenn einer Rosenkohl nicht gern hat, fällt ihm das Fasten dafür besonders leicht. (lacht) Das Verzichten sieht bei jedem Mönch anders aus.

Das Kloster Einsiedeln
Das Kloster Einsiedeln

Die Brüder kommen am Anfang der Fastenzeit jeweils zu mir und tragen mir einzeln vor, auf was sie während der Fastenzeit verzichten wollen. Wenn es zu extrem klingt, greife ich als Abt ein, weil die Mönche ja gesund und arbeitsfähig bleiben sollen. Fasten ist für uns keine Selbstkasteiung, sondern eine Zeit, in der wir uns auf Ostern vorbereiten. Und das sollten wir mit Freude machen. Denn Ostern ist ein Fest der Freude und der Hoffnung.

Starkbier war früher als Fastengetränk in Klöstern weit verbreitet, weil es den Mönchen die notwendige Energie für die körperliche Arbeit zuführte. Warum ist das in Einsiedeln kein Thema?

Abt Urban: Es ist ein Mythos, dass man Bier in allen Klöstern in der Fastenzeit trank. Man muss sehen, dass sich das Kloster Einsiedeln im Kulturraum zwischen Deutschland und Frankreich befindet. Bier gab es eher in Klöstern in Belgien und Deutschland. In Frankreich wurde in Klöstern Bordeaux und Burgunder angepflanzt. Wir in Einsiedeln bauen seit dem 16. Jahrhundert Wein an.

Osterhasen
Osterhasen

In Einsiedeln wird ausserhalb des Klosters gutes Bier gebraut. Ich persönlich trinke allerdings in dieser Zeit weder Bier noch Wein.

«Ich freue mich auch auf einen Schokoladehasen aus Milchschokolade.»

Gibt es etwas, dass Sie sich speziell gönnen nach der Fastenzeit?

Abt Urban: Ich freue mich vor allem wieder auf die reiche Liturgie, die wir an Ostern feiern dürfen. Und ich freue mich auch auf einen Schokoladehasen aus Milchschokolade. Dunkle Schokolade ist mir zu bitter.

Noch eine gesellschaftliche Frage zum Schluss: Das Leben ist für viele Menschen auch in den hoch entwickelten Industriegesellschaften sehr schwer geworden. Der Mittelstand verarmt immer mehr, die Armut nimmt generell zu, viele können sich das Leben kaum mehr leisten. Warum soll man da auch noch fasten, wenn der Alltag quasi zur Fastenzeit geworden ist?

Abt Urban: Fasten hat keinen Selbstzweck. Fasten ist nicht das Wichtigste. Es geht um die 40 Tage der Vorbereitung auf Ostern. Wer nicht fasten kann, soll auch nicht fasten. Das Ziel ist ja, freier zu werden. Man kann sich deshalb fragen, wie bringe ich österliche Hoffnung in meinen Alltag.

Step by step - hinauf zum Kloster Einsiedeln
Step by step - hinauf zum Kloster Einsiedeln

Umkehr lässt sich auch anders gestalten als mit Fasten. Gemäss dem Propheten Jesaja, Kapitel 58,6 beispielsweise. Er sagt: Ein Fasten, das mir gefällt, sieht so aus: Löst die Fesseln der Menschen, die man zu Unrecht gefangen hält, befreit sie vom drückenden Joch der Sklaverei und gebt ihnen ihre Freiheit!

Was will Jesaja uns damit in punkto Fasten sagen?

Abt Urban: Er meint damit, dass man anderen Menschen etwas schenken und geben kann. Dass man anderen Menschen helfen soll. Gegen Unrecht kämpft. Fasten hat etwas mit Teilen zu tun. Die Fastenaktion der Kirche in der Schweiz bedeutet ja nichts anderes, als auf etwas zu verzichten, um anderen etwas zu geben. Dass man eben nicht nur an sich und sein Gewicht denkt, sondern auch an andere Menschen, die zu wenig haben. Und dann teilt. Übrigens: Etwas teilen kann man immer…

«Dass die Not der Menschen zugenommen hat, spüren wir auch im Kloster.»

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Was wäre das…

Abt Urban: Zum Beispiel ein gutes Wort. Oder jemandem ein Ohr schenken, damit ein anderer sich einmal aussprechen kann. Dass die Not der Menschen zugenommen hat, spüren wir auch im Kloster. Es gibt immer mehr Menschen, die bei uns anklopfen, um mit jemandem sprechen zu können – und um  in Einsiedeln Hoffnung zu suchen. Viele Menschen wollen auch gesegnet werden und Versöhnung erfahren. Auch verfügen wir über eine klösterliche Caritas, die Menschen in der Not Geld gibt – damit sie sich beispielsweise Essen kaufen können.


Abt Urban Federer | © Jacqueline Straub
28. Februar 2024 | 12:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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