Max Elmiger, Direktor von Caritas Zürich: «Nur wenn auch benachteiligte Gruppen Zugang zur Bildung haben, kann sie nachhaltig als Armutsprävention wirken.»

Wer keine Ausbildung hat, hat schlechte Karten

Medienmitteilung: Prekäre Bildungs- und Arbeitssituationen von Eltern werden in der Schweiz noch allzu oft an die Kinder weitervererbt. Welche Unterstützung brauchen Jugendliche, die beim Übergang von der Schule in die Berufswelt oder in die höhere Bildung keine Hilfe von den Eltern bekommen? Über 120 Teilnehmende diskutierten diese Frage sowie Lösungsansätze am 11. Zürcher Armutsforum.

Der Bildungsstand beeinflusst verschiedene Aspekte des Lebens – nicht nur die finanzielle Lage, sondern auch die Gesundheit, die Lebenserwartung, die Wohnsituation etc. Wer nur eine mangelhafte oder gar keine Berufsbildung mitbringt, trägt ein hohes Armutsrisiko.

Tiefe Qualifikation, hohes Armutsrisiko

Anna-Katharina Thürer (Grundlagen Caritas Zürich) verwies auf den Zusammenhang von Bildung und Prekarität in den Sozialhilfestatistiken. Rund zwei Drittel der jungen Sozialhilfebeziehenden im Kanton Zürich haben keine nachobligatorische Ausbildung. Für Erwerbstätige ohne nachobligatorische Ausbildung ist das Risiko einer Entlassung doppelt so hoch, und das Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, gar dreimal so hoch wie für besser Qualifizierte.

Die Bildungssoziologin Prof. Dr. Regula Julia Leemann zeigte auf, wie soziale Herkunft und Migrationsmerkmale zu Chancenungleichheit führen. Stossend ist unter anderem die Tatsache, dass Lehrpersonen und Lehrmeister sich bei der Leistungsbeurteilung von Jugendlichen von deren sozioökonomischen Umfeld beeinflussen lassen. Eine von Leemanns Thesen zum Schluss ihrer Ausführungen: «Ungleichheiten in den Lebensbedingungen beeinflussen nach wie vor die Bildungschancen. Dies ist primär aber nicht ein Versagen der Familien, auch nicht der Schule, sondern ein Versagen der Gesellschaft.»

Praxisbezogene und bewährte Lösungsansätze

Als praktischen Lösungsansatz stellte Matthias Fuszenecker das Projekt «Netz2» vom Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich vor. Die darin während der Lehre begleiteten Jugendlichen sind in verschiedenen Lebensbereichen mit erheblichen Problemen konfrontiert und benötigen in der Regel während längerer Zeit Unterstützung. Fuszenecker: «Es ist wichtig, dass alle Beteiligten am gleich Strick ziehen. Das sind manchmal ganz kleine Schritte, die zum Erfolg führen.»

Auch im Bereich der Mittelschulen fällt auf, dass der Ausländeranteil im Untergymnasium lediglich 10% beträgt, in den Sekundarklassen mit Niveau B und C aber über 50% liegt. Wer einen Migrationshintergrund hat und in einer finanziell schlecht gestellten Familie lebt, hat wenig Chancen, die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Das Programm «ChagALL», das 2007 am Gymnasium Unterstrass lanciert wurde, prüft in einem mehrstufigen Auswahlverfahren Leistungsdaten, Motivation, Vorwissen und die Leistungsbereitschaft von Jugendlichen. Diese werden dann intensiv auf die Prüfung vorbereitet, mit Erfolgsquoten von 70% und mehr. Baumgartner: «Die Jugendlichen müssen bei uns sehr viel leisten. Dass sie dabei erleben, dass sie das auch können, ist ein wichtiger Teil des Erfolgs.»

In Bildung als Armutsprävention investieren

Im abschliessenden Podiumsgespräch mit Regula Julia Leemann, Kantonsrätin Karin Fehr Thoma (Grüne) und Kantonsrat Peter Preisig (SVP; beide Mitglied der Kommission für Bildung und Kultur) zeigte sich: Während sich die Chancen von Mädchen und Buben – bei allem noch bestehenden Handlungsbedarf – über die letzten Jahrzehnte angenähert haben, hat sich die Chancengleichheit bezüglich der sozialen Herkunft nicht verändert. Es braucht deshalb nach wie vor Unterstützung durch verschiedenste, teilweise sehr spezifische Angebote. Auch die Durchlässigkeit der Bildungswege wäre grundsätzlich da, doch werden die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft.

Für Max Elmiger, Direktor von Caritas Zürich, ist das Fazit klar. Bildungspolitisch müssen die Weichen so gestellt werden, dass der Bildungszugang auch für benachteiligte Gruppen sichergestellt ist: «Nur so kann Bildung nachhaltig als Armutsprävention wirken.»

Max Elmiger, Direktor von Caritas Zürich: «Nur wenn auch benachteiligte Gruppen Zugang zur Bildung haben, kann sie nachhaltig als Armutsprävention wirken.» | © Caritas Zürich/Nenad Damjanac
Caritas Zürich
27. Oktober 2017 | 06:44