Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, auf einem Balkon vor dem Kölner Dom am 2. Mai 2022 in Köln.
International

Bonn oder Köln? «An einer Universität kann man sich nicht einigeln»

Im Erzbistum Köln tobt ein Machtkampf: Sollen angehende Priester im liberalen Bonn studieren – oder an Woelkis konservativer Kaderschmiede in Köln? Ein Gespräch mit dem Dekan der Bonner Fakultät über aufmüpfige Priesteramtskandidaten, das Konkordat – und den Glarner Theologen Franz Böckle.

Raphael Rauch

Für Papst Franziskus sind aufmüpfige Priester- und Ordenskandidaten lieber als Duckmäuser. Hat der Papst Recht?

Jochen Sautermeister*: Priester sein im 21. Jahrhundert ist keine leichte Aufgabe. Die Herausforderungen sind enorm und werden noch weiter zunehmen. Daher ist es gut, dass neben der theologischen Bildung auch die Persönlichkeitsbildung zum Kern der Priesterausbildung zählt – dazu gehört auch die Förderung einer integren Persönlichkeit mit einer reifen psychosexuellen Entwicklung. Ich gebe Papst Franziskus vollkommen Recht: Das verträgt sich nicht mit Duckmäusertum.

Jochen Sautermeister ist Dekan der Bonner Fakultät. Hier mit dem Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey.
Jochen Sautermeister ist Dekan der Bonner Fakultät. Hier mit dem Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey.

Der Papst findet auch: Junge Menschen dürften niemals genormt werden. «Seid normale Menschen, ohne euch einzubilden, ihr wäret ›grosse Apostel’ oder ›Frömmler’», sagte er in Malta. Was heisst das für eine Fakultät, junge Persönlichkeiten zu fördern – ohne zu normieren?

Sautermeister: Der Papst predigt «Uscire», den Aufbruch wagen, hinausgehen, um am Puls der Zeit zu sein – also sich gerade nicht verschliessen, sondern mitten im Leben das Evangelium glaubwürdig zu verkünden und zu leben. Die Universität ist ein solcher Ort, an dem junge Menschen auf verschiedene Weise den Aufbruch wagen – intellektuell, interdisziplinär und menschlich.

Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.
Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.

Was heisst das genau?

Sautermeister: An einer Universität kann man sich nicht einigeln. Hier gibt es Begegnungen mit Studierenden anderer Fächer. Es ist der Ort, um die eigenen theologischen Gedanken den Lebenserfahrungen und den Erkenntnissen der Humanwissenschaften auszusetzen und zu schauen, ob sie sich bewähren können. Es ist aber auch der Ort zu hören, was die anderen bewegt, welche Fragen sie umtreibt und wie sie die Welt sehen. All das trägt zur Entwicklung einer reifen Persönlichkeit bei.

«Der Exzellenzstatus der Universität Bonn bietet herausragende Chancen.»

Die Universität Bonn hat Tübingen und Münster bei der jüngsten Runde des Exzellenzstrategie-Wettbewerbs überholt, auch die Katholisch-Theologische Fakultät ist an diesem Erfolg beteiligt. Warum erhalten Sie von der wissenschaftlichen Community so viele Lorbeeren – nicht aber vom Kölner Erzbischof Kardinal Woelki?

Sautermeister: Von verschiedenen Akteuren wird anerkannt, dass sich die Fakultät grossartig entwickelt hat, auch dank der nachdrücklichen Unterstützung durch die Hochschulleitung und insbesondere durch den Rektor. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir sind derzeit an einem Exzellenzcluster und zwei Schwerpunktbereichen der Universität beteiligt. In jüngster Zeit konnten wir renommierte Theologen berufen und eine Exzellenzprofessur einrichten. In den kommenden Jahren wird es nun darum gehen, unser Profil national und international konsequent weiterzuentwickeln. Dabei bietet der Exzellenzstatus der Universität Bonn herausragende Chancen – natürlich auch für das Erzbistum, dessen Fakultät wir sind und schon immer waren. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Chance gemeinsam ergreifen.

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln.
Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln.

Die Mehrheit des Priesterrats im Erzbistum Köln hat sich dafür ausgesprochen, dass der Standort des Kölner Priesterseminars in Bonn sein soll.

Sautermeister: Wir begrüssen dieses Votum sehr und sehen darin ein starkes Signal für die Bonner Priesterausbildung an der Exzellenzuniversität. 

«Das Ergebnis: 19 Stimmen für Bonn gegenüber 17 für Köln.»

Wie klar fiel die Mehrheit aus?

Sautermeister: Aus den Medien habe ich erfahren, dass das Ergebnis mit 19 Stimmen für Bonn gegenüber 17 für Köln ausgefallen ist, das Kölner Priesterseminar nach Bonn zu verlegen.

Woelkis Kaderschmiede: die Kölner Hochschule für Katholische Theologie.
Woelkis Kaderschmiede: die Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

Haben Sie im Priesterrat Lobbyarbeit betrieben?

Sautermeister: Damit sich der Priesterrat eine Meinung bilden konnte, wurde unsere Fakultät und die Kölner Hochschule für Katholische Theologie gebeten, sich vorzustellen. Der Erzbischof von Köln ist zugleich der Grosskanzler der neuen Kölner Hochschule. Wir sollten in einer Präsentation zeigen, was wir für die Ausbildung von Theologinnen und Theologen im Erzbistum Köln bieten. Nach dem jeweiligen Vortrag gab es noch etwas Zeit für Fragen und Gespräch. Als Dekan habe ich die Bonner Fakultät vorgestellt. Mir war es wichtig, ein realistisches Bild von den Entwicklungen der letzten Jahre zu geben. Das Bonner Studium der meisten Mitglieder im Priesterrat liegt ja schon einige Jahre zurück. Von den internen Beratungen waren wir jedoch ausgeschlossen.

«Wir haben eine enge und vielseitige Verzahnung mit der Priesterausbildung des Erzbistums Köln.»

Worauf sind Sie besonders eingegangen?

Sautermeister: Ich habe die rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen der Bonner Fakultät angesprochen, dann die Entwicklungen in Studium und Lehre und schliesslich die enge und vielseitige Verzahnung mit der Priesterausbildung des Erzbistums Köln. Als Teil der Exzellenzuniversität bietet die Bonner Fakultät auch mit ihren Vernetzungen und Kombinationsmöglichkeiten an Studiengängen beste Voraussetzungen für eine Priesterausbildung und Persönlichkeitsbildung, die zu den Herausforderungen der Gegenwart passen. 

Woelkis Kaderschmiede: die Kölner Hochschule für Katholische Theologie.
Woelkis Kaderschmiede: die Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

Was hat die Hochschule in Köln zu bieten, was Sie nicht haben?

Sautermeister: Das sollten Sie am besten die Kölner Hochschule selbst fragen.

«Unser Kollegium besteht zurzeit aus 13 Professorinnen und Professoren, darunter sind sechs Priester.»

Haben Sie im Professorium auch Priester?

Sautermeister: Ja, selbstverständlich. Die Fakultät hält sich an die Vorgaben des Erzbistums Köln. Unser Kollegium besteht zurzeit aus 13 Professorinnen und Professoren, darunter sind sechs Priester.

Kardinal Rainer Maria Woelki bei einer Friedensandacht im Kölner Dom.
Kardinal Rainer Maria Woelki bei einer Friedensandacht im Kölner Dom.

Wenn der Kölner Priesterrat sich für Bonn ausspricht: Braucht es die Kölner Hochschule überhaupt?

Sautermeister: Katholische Theologie, die gesellschaftlich wirksam und wissenschaftlich bedeutsam sein möchte, ist auf Austausch und Kooperationen mit anderen Wissenschaften und gesellschaftlichen Akteuren angewiesen. Die Einbindung in eine Universität bietet hierfür beste Möglichkeiten. Es ist im Interesse der Kirche, die Theologien an den Universitäten zu stärken.

«Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn ist der Ort der Priesterausbildung.»

Das Erzbistum Köln teilt in einer Medienmitteilung mit, dem Votum sei keine Vorgabe für eine bestimmte Hochschule verbunden. Wie sehen Sie das?

Sautermeister: Nach dem Konkordat, also dem völkerrechtlich bindenden Vertrag zwischen Kirche und Staat, ist die Rechtslage klar und eindeutig festgelegt: Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn ist der Ort der Priesterausbildung. Die Verankerung des Studiums von Theologinnen, Theologen und Geistlichen an staatlichen Universitäten, die später in Schule oder Gemeinde tätig sind, ist dem Staat so wichtig, dass für die Ausbildung von muslimischen Theologinnen und Theologen in den letzten Jahren sogar eigene Professuren und Institute an Universitäten geschaffen wurden. 

Kardinal Rainer Maria Woelki.
Kardinal Rainer Maria Woelki.

Kardinal Woelki setzt in Köln aber auf eine eigene Hochschule. Bricht er damit das Konkordat?

Sautermeister: Das Konkordat gilt für alle Vertragsparteien. Einseitige Versuche, von wem auch immer, dieses aufzuweichen oder gar zu verändern, könnten das sehr bewährte Verhältnis von Staat und Kirche grundsätzlich gefährden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand möchte.

«Seitens Universität und Staat ist die Fakultät sicher.»

Angesichts der Entwicklungen könnte man befürchten, dass Theologische Fakultäten geschlossen oder katholische mit evangelischen Fakultäten fusionieren müssen.

Sautermeister: Die rechtlichen Grundlagen hinsichtlich der Bonner Fakultät sind klar. Sie lassen keine Fusionierung der beiden Fakultäten zu, auch nicht einzelner Professuren. Seitens Universität und Staat ist die Fakultät sicher. Es wurden sogar in den letzten Jahren neue Professuren unserer Fakultät geschaffen, um die katholische Theologie zu stärken und auszubauen.

Schild der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn am 19. Dezember 2018.
Schild der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn am 19. Dezember 2018.

Bislang ist die Finanzierung der Kölner Hochschule für Katholische Theologie nicht gesichert. Die Kölner Erzbischof hatte zugesichert, dass die Hochschule ohne Kirchensteuermittel finanziert würde. Nun zeichnet sich aber ab, dass ein dauerhafter Betrieb der Hochschule ohne Verwendung von Kirchensteuermitteln nicht möglich ist.

Sautermeister: Zur Finanzierung der Kölner Hochschule für Katholische Theologie kann und möchte ich mich nicht äussern. Klar ist, dass aufgrund besorgniserregender Kirchenaustrittszahlen und geringerer Kirchensteuereinnahmen die Kirchen mit massiven finanziellen Einbussen rechnen müssen. Es sollte alles vermieden werden, ohne Not die finanzielle und pastorale Handlungsfähigkeit in den Gemeinden vor Ort und in der Seelsorge weiter zu einzuschränken. Dass aus staatlichen Mitteln ein qualifiziertes Theologiestudium für die Ausbildung von Geistlichen gesichert ist ohne irgendwelche Kosten für das Erzbistum, ist angesichts dieser Entwicklungen für die Kirche auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine grosse Entlastung.

«Ich setze auf eine redliche und sachliche Diskussion.»

Die Situation im Erzbistum Köln ist angespannt. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie auch Unterstützende haben, denen die Fakultät egal ist und denen es um Woelki-Bashing geht. Wie wehren Sie diese einseitige Stimmungsmache ab?

Sautermeister: Ich bin davon überzeugt, dass eine redliche und sachliche Diskussion, die der Realität ins Auge sieht, auf Argumente und gute Gründe baut und gerade nicht einer Emotionalisierung oder Stimmungsmache folgt, der beste Weg ist.

Er stammte aus Glarus und lehrte in Bonn: Franz Böckle, römisch-katholischer Moraltheologe.
Er stammte aus Glarus und lehrte in Bonn: Franz Böckle, römisch-katholischer Moraltheologe.

Sie sind einer der Nachfolger des Glarner Moraltheologen Franz Böckle. Dieser hatte sich auf der Würzburger Synode federführend mit dem Thema Sexualethik befasst. Welchen Beitrag leistet die Bonner Fakultät heute dazu?

Sautermeister: Der Grund für den Synodalen Weg in Deutschland waren die Befunde der sogenannten MHG-Studie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder durch Kleriker in den deutschen Bistümern. Es geht um die systemischen Faktoren, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Dabei kamen auch Elemente der kirchlichen Sexualmoral in den Blick. Der Fakultät in Bonn ist das Thema «Aufarbeitung und Prävention» aus theologischer Perspektive sehr wichtig. Wir haben ein neues Studienmodul «Ohnmacht – Macht – Missbrauch» entwickelt, das alle Studierende der katholischen Theologie belegen können. Und seit wenigen Monaten ist das Institut für Prävention und Aufarbeitung (IPA) ein An-Institut der Exzellenzuniversität Bonn, mit dem wir eng kooperieren.

«Wir setzen uns auch aus theologischer Perspektive kritisch mit dem Thema sexualisierter Gewalt auseinander.»

Betrifft das Thema Prävention alle – oder in erster Linie die Priesteramtskandidaten?

Sautermeister: Für alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, ist eine entsprechende Sensibilisierung und Schulung wichtig – sei es als Pastoralreferentin oder Pastoralreferent, als Religionslehrerin oder Religionslehrer oder eben als Priester. Theologische Verantwortung, was ja auch für Franz Böckle ein zentrales Anliegen war, bedeutet auch, sich auch aus theologischer Perspektive kritisch mit dem Thema sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen.

Jochen Sautermeister ist Moraltheologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn.
Jochen Sautermeister ist Moraltheologe und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn.

Was muss geschehen, damit die Bonner Fakultät wieder die Strahlkraft hat, die Sie einst unter Franz Böckle hatte?

Sautermeister: Die Theologische Fakultät hat in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Sprung nach vorne gemacht und an Strahlkraft gewonnen. Kolleginnen und Kollegen von mir beneiden uns für die Möglichkeiten, die uns der Exzellenzstatus verschafft. Wir haben uns sehr dafür engagiert, für Studierende und Forschende beste Rahmenbedingungen zu schaffen. Von daher bin ich sehr optimistisch, was die Zukunft der Fakultät angeht.

* Jochen Sautermeister (47) ist seit 2015 Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Universität der Uni Bonn. Seit 2019 ist er Dekan der Fakultät. Zu seinen Vorgängern auf dem Lehrstuhl für Moraltheologie gehört der Glarner Theologe Franz Böckle. 


Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, auf einem Balkon vor dem Kölner Dom am 2. Mai 2022 in Köln. | © KNA
21. Juni 2022 | 16:14
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