Das Podium zum Thema "Missbrauch - wie weiter?" im Auditorium der Luzerner Zeitung.
Schweiz

«Zurück in die sichere Zone»: Luzerner Podium zu Missbrauch stösst auf grosse Resonanz

Nicht jeden Sonntag gehen wohl so viele Gläubige in die Messe wie am Montagabend ins Auditorium der Luzerner Zeitung. Dort wurde an einer Podiumsdiskussion über den Missbrauch in der Kirche und über Auswege aus der Krise diskutiert. Besonders die «Rebellinnen» aus Willisau und Adligenswil standen im Fokus. Sie wollen die Kirchenoberen zum Handeln bewegen.

Wolfgang Holz

«Frauen haben einfach mehr Eier als Männer» – mit diesem kernigen Spruch sicherte sich die Willisauer Kirchgemeindepräsidentin Evelyne Huber gleich zu Beginn der Veranstaltung die Sympathien des Publikums. Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Frauen nicht zuletzt durch ihre täglichen Erfahrungen in der Familie mit Krisen umgehen können. Auch mit der Missbrauchskrise.

Evelyne Huber (links) und Monika Koller Schinca, Kirchenratspräsidentinnen in Willisau und Adligenswil
Evelyne Huber (links) und Monika Koller Schinca, Kirchenratspräsidentinnen in Willisau und Adligenswil

Gerade die Präsenz der beiden «Rebellinnen» Monika Koller Schinca und Evelyne Huber, ihres Zeichens Kirchgemeindepräsidentinnen von Adligenswil und Willisau, die weiterhin standhaft dem Bistum Basel den Kirchensteueranteil ihrer Kirchgemeinden verweigern – solange, bis das Bistum konkrete Schritte einleitet zur Missbrauchsbekämpfung –, sorgte für spürbare Anerkennung und Bewunderung unter den Besucherinnen und Besuchern.

Das ist zweifellos als grosser Erfolg der Kirchenbasis zu werten, auch wenn der Widerstand vor allem symbolisch wirkt: Als nicht zu übersehendes Zeichen.

Neugier und Sorge locken Publikum in Auditorium

Das Publikum erschien so zahlreich im Auditorium der «Luzerner Zeitung» zur Podiumsdiskussion «Missbräuche in der Kirche – wie weiter?», dass es einige zusätzliche Stühle brauchte, um allen einen Sitzplatz zu bieten.

Monika Koller Schinca
Monika Koller Schinca

Die Neugier, aber auch die Sorge, wie es wohl weitergeht in der katholischen Kirche nach der niederschmetternden Missbrauchsstudie, lockte viele an. Chefredaktor Jérome Martinu moderierte den Abend.

«Druck gemacht, damit uns nicht alle davonlaufen»

«Wir waren schockiert nach der Kenntnisnahme der Missbrauchsstudie und fühlten, dass wir jetzt schnell handeln müssen. Es ist fünf nach zwölf, und wir haben keine Zeit mehr. In Solothurn gehen die Uhren offensichtlich anders», erklärte Monika Koller. Worte allein der Kirchenoberen würden nicht mehr reichen, um das Vertrauen der Gläubigen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zurückzugewinnen.

Der Luzerner Synodalrat hat auf Druck der Synode Finanzmassnahmen gegen das Bistum Basel beschlossen.
Der Luzerner Synodalrat hat auf Druck der Synode Finanzmassnahmen gegen das Bistum Basel beschlossen.

Dies vor allem angesichts der galoppierenden Kirchenaustritte, mit der sich nicht nur die Adligenswiler Kirchgemeinde konfrontiert sieht. «Wir haben deshalb ein bisschen Druck gemacht, damit uns nicht alle davonlaufen.»

Auch Evelyne Huber wollte etwas gegen die Austrittswelle in der Kirchgemeinde Willisau unternehmen. «Wir haben die Steilvorlage aus Adligenswil deshalb gerne angenommen – und seitdem auch wir den Bistumsanteil der Kirchgemeinde gesperrt haben, ist bei uns die tägliche Kirchenaustrittsrate von 1,7 Personen täglich auf 0,8 Personen geschrumpft.» Das sei beachtlich.

Zahlreiches Publikum bei der Podiumsveranstaltung
Zahlreiches Publikum bei der Podiumsveranstaltung

Dass Kirchenaustritte die Zukunft der Kirche, nicht zuletzt die finanzielle Gewährleistung des kirchlichen Betreuungsauftrags gefährden, räumte auch Annegreth Bienz-Geisseler ein, die Synodalratspräsidentin der katholischen Kirche im Kanton Luzern.

«Jeder Kirchenaustritt ist einer zu viel.»

Annegreth Bienz-Geisseler, Synodalratspräsidentin

«Jeder Kirchenaustritt ist einer zu viel», stellte sie klar. Deshalb empfinde sie auch Sympathie für die Sperrung der Kirchensteuergelder aus Adligenswil und Willisau – wobei diese Protestmassnahme mittlerweile von 14 Kirchgemeinden im Kanton Luzern mitgetragen wird. «Allerdings bestimmt die Synode über die Kirchenbudgets und die Verwendung der Kirchensteuern – und nicht einzelne Kirchgemeinden.» Sie setzt deshalb mehr auf national koordinierte Massnahmen. «Denn Reformen werden nicht gratis sein, und wir wollen die RKZ unterstützen.»

Die Theologin Brigitte Glur-Schüpfer
Die Theologin Brigitte Glur-Schüpfer

Auch Brigitte Glur-Schüpfer, Regionalverantwortliche des Bistums Basel, mahnte am Podium an, dass durch das Zurückhalten von Geldern ans Bistum, kirchliche Arbeitsplätze gefährdet seien. «Wir können nicht mehr schaffen, wenn die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind», gab sie zu bedenken. Sagte es und erntete leisen Applaus aus dem Publikum.

«Man kann von 10’000 bis 12’000 Missbrauchsfällen ausgehen.»

Stefan Loppacher, Präventionsbeauftragter Bistum Chur

Bevor die Podiumsdiskussion in eine Budgetdebatte abzugleiten drohte, machte Stefan Loppacher, Präventionsbeauftragter des Bistums Chur und Leiter des Fachgremiums der Schweizer Bischofskonferenz, nochmals auf die menschliche Tragik und Dimension des Missbrauchsskandals aufmerksam.

Stefan Loppacher
Stefan Loppacher

«Es handelt sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs. Man kann insgesamt von einer Zahl von 10’000 bis 12’000 Missbrauchsfällen ausgehen, wenn man die Dunkelziffer berücksichtigt.»

Kein «Game-Changer»

Loppacher war es denn auch, der klarstellte, dass finanzielle Sanktionen kein wirklicher «Game Changer» seien, um eine Wende in Sachen Missbrauchspraktiken zu bewirken. Es brauche vielmehr einen klaren Systemwandel in den klerikalen Strukturen. «Strukturen, die auf hochsensiblen asymmetrischen Machtbeziehungen fussen, in denen Priester absolute Macht geniessen und in denen eine repressive Sexualmoral herrscht». Es gehe darum, dass die Menschen die Kirche wieder als einen sicheren Ort empfinden, an dem sie sich aufhalten. «Die Kirche muss wieder zu einer Safe-Zone werden, zu einer sicheren Zone».

«Jesus hat die Menschen aufgerichtet, nicht gerichtet.»

Brigitte Glur-Schüpfer, Regionalverantwortliche des Bistums Basel

Er plädierte deshalb für eine konsequente institutionelle Präventionsarbeit in der Kirche, damit es erst zu gar keinen Missbrauchstaten komme – «denn es gibt kein Frühwarnsystem». Brigitte Glur-Schüpfer könnte sich vorstellen, «dass regionales Handeln und regionale Lösungen» dazu beitragen könnten, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Wenn das System als solches nicht genügend beweglich sei. Glur-Schüpfer: «Jesus hat die Menschen aufgerichtet, nicht gerichtet.»

Felix Gmür, Basler Bischof und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.
Felix Gmür, Basler Bischof und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.

Das Publikum griff solche Vorschläge in spontanen Wortmeldungen bereitwillig auf. «Der Bischof ist doch der Leiter einer Diözese. Bischof Felix Gmür könnte doch jederzeit Frauen zu Priestern machen und damit ein Zeichen setzen», warf ein Besucher der Veranstaltung als Vorschlag in den Raum. Noch weiter ging ein anderer Publikumsbeitrag. «Man sollte einfach den Zölibat abschaffen und Frauen ordinieren – das wäre die beste Prävention gegen den Missbrauch in der katholischen Kirche», schlug ein Mann vor. Applaus brandete auf.

Doch es gab auch nachdenkliche Stimmen. «Es ist generell schwierig, Lösungen zu finden», sagte eine Besucherin gegenüber kath.ch beim anschliessenden Apéro. «Auch ohne Zölibat und mit Frauenpriestertum wären nicht sämtliche Missbrauchsprobleme vom Tisch.»


Das Podium zum Thema «Missbrauch – wie weiter?» im Auditorium der Luzerner Zeitung. | © Wolfgang Holz
31. Oktober 2023 | 12:50
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