Von links Sarah Paciarelli (Frauenbund), Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain.
Schweiz

Zum Beispiel Monika Schmid: Das Heil der Seelen als oberstes Ziel der Kirche

Der Fall von Monika Schmid wirft Fragen auf: Dient es wirklich dem Seelenheil, wenn Bischof Joseph Bonnemain eine kanonische Voruntersuchung wegen «liturgischen Missbrauchs» einleitet? Die Kirchenrechtlerin Astrid Kaptijn erläutert im Interview, warum für die Kirche Sakramente auch eine Sache des Strafrechts sind.

Felix Neumann

Die Kirche schützt die Sakramente auch mit den Mitteln ihres Rechts. Wer wie Eucharistie feiern darf, wer zum Priester geweiht werden darf oder nicht – all das regelt das Kirchenrecht. Oft stösst das auf Unverständnis: Passt das zur Kirche? Widerspricht rechtliches Handeln nicht pastoralen Zielen? Und Jesus hat doch auch die Gesetze gebrochen!

«Das Heil der Seelen» als «oberstes Ziel der Kirche»

Diese Diskussion wird auch mit Blick auf Monika Schmid geführt, die während ihres Abschiedsgottesdienstes in Effretikon ZH konzelebrierte.

Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, hat daraufhin eine kanonische Voruntersuchung eingeleitet. Dient das dem «Heil der Seelen», das laut dem Codex Iuris Canonici (CIC), dem kirchlichen Gesetzbuch, oberstes Ziel der Kirche sein muss? Die Professorin für Kirchenrecht an der Universität Freiburg i.Ü., Astrid Kaptijn, erläutert im kath.ch-Interview, was es bedeutet, wenn das Kirchenrecht vom «Heil der Seelen» spricht – und warum Pastoral und Recht nicht im Widerspruch stehen müssen.

Astrid Kaptijn
Astrid Kaptijn

Das «Heil der Seelen» muss «in der Kirche immer das oberste Gesetz» sein – ist das nur eine schöne literarische Formulierung am Ende des CIC – oder hat das auch praktische rechtliche Konsequenzen?

Astrid Kaptijn*: Das kann auch rechtliche Konsequenzen haben, wenn auch im Rahmen des Gesetzes und in Abwägung mit anderen Prinzipien wie dem Gemeinwohl. Es geht dabei um das Unterscheidungsvermögen bei der Rechtsanwendung. Allgemein lässt es sich aber nicht sagen, welches Gewicht die verschiedenen Aspekte haben, das kommt immer auf den Einzelfall an.

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Ein «oberstes Gesetz» würde man eigentlich nicht am Ende eines Gesetzbuchs erwarten, sondern am Anfang, bei den anderen allgemeinen Normen, die die Gesetzesanwendung regeln. Warum hat sich der kirchliche Gesetzgeber so entschieden, das an den Schluss zu stellen?

Kaptijn: Man interpretiert das so, dass das, was besonders wichtig ist, am Ende steht, um deutlich zu machen, dass alles darauf abzielt. Durch die Position wird auch deutlich, dass das Heil der Seelen über das Kirchenrecht hinausgeht. 

«Kirchliche Gesetze sind dafür da, einen Ordnungsrahmen in der Kirche zu schaffen.»

Recht soll eigentlich eine klare Ordnung schaffen, Heil der Seelen ist aber sehr deutungsoffen – besteht hier nicht auch die Gefahr von Willkür bei der Rechtsanwendung?

Kaptijn: Die Gefahr besteht, und man muss immer darauf achten, dass Rechtsanwendung nicht willkürlich ist. Es ist wichtig, dass die Zielbestimmung des Heils der Seelen mit anderen Kriterien abgewogen wird. Man muss prüfen: Was ist das Ziel des Gesetzes? Was entspricht wirklich dem Gemeinwohl? Kirchliche Gesetze können in ihrer Auslegung nicht beliebig gedehnt werden. Kirchliche Gesetze sind ja nicht willkürlich gesetzt, sondern gehen auf die Heilige Schrift, die Tradition und die Lehre der Kirche, manche sogar auf göttliches Recht zurück. Kirchliche Gesetze sind dafür da, einen Ordnungsrahmen in der Kirche zu schaffen.

Bischof Joseph Bonnemain hat Offizial Artur Czastkiewicz mit einer kanonischen Voruntersuchung beauftragt.
Bischof Joseph Bonnemain hat Offizial Artur Czastkiewicz mit einer kanonischen Voruntersuchung beauftragt.

Das tut sie auch bei den Sakramenten, wie im Fall von Monika Schmid deutlich wurde. Die Kirche ordnet die Verwaltung der Sakramente auch mit den Mitteln des Strafrechts. Das stösst bei vielen Menschen auf Unverständnis, die einen Widerspruch zwischen Pastoral und Kirchenrecht sehen. Kann man Pastoral und Recht vereinbaren?

Kaptijn: Ja, das denke ich schon. Es ist auch ein erklärtes Ziel von Papst Franziskus, das Strafrecht als ein Mittel der Pastoral zu erkennen und Pastoral und Recht in Einklang zu bringen. Es ist zu einfach, mit dem Verweis auf das Seelenheil alles rechtfertigen zu wollen. Es ist gerade ein Ausdruck der Sorge eines Bischofs um das Seelenheil, dass er die kirchliche Lehre und die kirchliche Disziplin mit den dafür vorgesehenen Regelungen bewahrt. Das ist eine pastorale Aufgabe des Bischofs. Das wird oft übersehen, wenn das Heil der Seelen in die Diskussion eingebracht wird.

Monika Schmid an ihrem Abschiedsgottesdienst.
Monika Schmid an ihrem Abschiedsgottesdienst.

Vor über hundert Jahren hat der evangelische Kirchenrechtler Rudolph Sohm einen heute noch zitierten Satz geprägt: «Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch.» In der Kirchenrechtswissenschaft gilt das als überwunden, Kirchenrecht wird als theologische Disziplin verstanden – aber im Kirchenvolk scheinen viele genau so zu denken.

Kaptijn: Man muss deutlich machen, was das Ziel von Recht in der Kirche ist. Das ist in der Tat immer das Heil der Seelen, das der kirchliche Gesetzgeber im Blick hat. Es geht nicht nur um eine äusserliche Rechtstreue, sondern um Werte. Die Gegenüberstellung von Recht und Pastoral deutet auf ein Fehlverständnis hin, das kirchliches Recht mit staatlichem Recht verwechselt: Staatliches Recht kann nur eine äusserliche Rechtstreue im tatsächlichen Handeln verlangen.

Das Kirchenrecht regelt die Meldepflicht eindeutig: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen in Rom gemeldet werden.
Das Kirchenrecht regelt die Meldepflicht eindeutig: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen in Rom gemeldet werden.

Kirchliches Recht dagegen will den Rahmen schaffen, in dem bestimmte Werte auch innerlich verwirklicht werden, ohne das aber vorschreiben zu können. Denken Sie an das Sonntagsgebot. Das Kirchenrecht kann nur festschreiben, dass die Pflicht zum sonntäglichen Messbesuch besteht. Es kann nicht verpflichten, die Messe auch mit Andacht und tätiger Teilhabe mitzufeiern. Das rechtliche Sonntagsgebot kann nur dann sein Ziel erreichen, wenn die Einsicht da ist, warum es wichtig ist.

Diese Einsicht scheint es im Fall von Monika Schmid nicht zu geben. Das Verständnis für das kirchliche Gesetz ist in der Öffentlichkeit sehr begrenzt. Wie erklärt man es dann?

Kaptijn: Indem man darauf verweist, dass es um die öffentliche Ordnung der Kirche und das Gemeinwohl der Gläubigen geht. Das Kirchenrecht spricht oft von einem «Ärgernis», das es zu vermeiden gilt. Damit ist nicht im weltlichen Sinn gemeint, dass es einen Skandal gibt oder dass sich Menschen über etwas ärgern. Gemeint ist ein Verhalten, das andere Menschen dazu anstiftet, selbst etwas Unrechtes zu tun. Das Ziel des Kirchenrechts ist hier, ein Verhalten zu verhindern, das in den Augen der Kirche schlechte Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Gläubigen hat.

Monika Schmid hinterlässt in Effretikon eine blühende Pfarrei.
Monika Schmid hinterlässt in Effretikon eine blühende Pfarrei.

Aber warum hat es denn schlechte Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Gläubigen, wenn eine nicht zur Priesterin geweihte Frau der Eucharistie vorsteht, und die Gemeinde das offensichtlich begrüsst?

Kaptijn: In diesem Fall geht es um zwei Sakramente, die Eucharistie und die Priesterweihe. Dass die Kirche diese Sakramente so ordnet, wie sie sie ordnet, ist keine Willkür, sondern die rechtliche Umsetzung der Lehre der Kirche. Das Kirchenrecht setzt hier um, was die Kirche in Tradition und Lehre als dem Stiftungswillen Jesu entsprechend erkannt hat.

«Am Ende werden sicher nicht alle damit einverstanden sein.»

Das Ziel der Kirche ist das Heil der Seelen. Nach all der öffentlichen Diskussion, dem Ärger, dem Unverständnis – glauben Sie, dass der ganze Vorgang dem Heil der Seelen dienen kann?

Kaptijn: Ja – wenn man sich Zeit nimmt, um die Sache gut zu erklären. Es reicht nicht, darauf zu beharren, dass es ein Gesetz gibt, das einen Straftatbestand benennt und dafür ein Strafmass festlegt, und dass dieses Gesetz nun einmal anzuwenden ist. Es braucht ein Verständnis dafür, warum die Lehre der Kirche so ist, wie sie ist, und welche Werte hinter einem kirchlichen Gesetz stehen. Das zu erklären, ist die Aufgabe der Kirche, des Bischofs – auch wenn am Ende sicher nicht alle damit einverstanden sein werden.

Astrid Kaptijn (60) stammt aus den Niederlanden und ist Professorin für Kirchenrecht an der Uni Freiburg i.Ü. 


Von links Sarah Paciarelli (Frauenbund), Monika Schmid und Bischof Joseph Bonnemain. | © Laurent Crottet
24. Oktober 2022 | 12:04
Lesezeit: ca. 5 Min.
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