Jacqueline Fehr
Schweiz

Zürcher Regierung formuliert Leitsätze für Staat und Religionsgemeinschaften

Zürich, 8.12.17 (kath.ch) Der Zürcher Regierungsrat gibt sich ein Leitbild in sieben Sätzen zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften. Man wolle damit auf die Veränderungen bei der Religionszugehörigkeit reagieren und eine gemeinsame und klare Haltung gegenüber den Religionsgemeinschaften entwickeln, sagte Regierungsrätin Jacqueline Fehr an der Medienkonferenz vom 8. Dezember. Die katholische und die reformierte Kirche begrüssen das Vorgehen, die Freidenker fühlen sich übergangen.

Regula Pfeifer

Die Leitsätze sind als koordinierte Handlungsanleitung gedacht, zu der sich der Regierungsrat gegenüber den Religionsgemeinschaften verpflichtet, wie es an der Medienkonferenz hiess.

 

Vieles ist ungeregelt

Heute seien die öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen in ein System von Rechten und Pflichten eingebunden, die nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften hingegen nicht. Dementsprechend sei vieles unklar, erklärte SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr an der Medienkonferenz, die im Live-Stream übertragen wurde. So gebe es keinerlei Regelungen, wer seitens einer solchen Religionsgemeinschaft in der Spezialseelsorge oder in der Jugendarbeit tätig sein dürfe. Zudem fehlten Auflagen zur finanziellen Transparenz einer Gemeinschaft oder zur Qualität der Predigten.

Nächstenliebe und Solidarität als Wert fürs Zusammenleben

Das soll sich nun ändern. Die Leitsätze seien eine erste Grundlage dazu, sagen Fehr, Egli und der ebenfalls auftretende stellvertretende Generalsekretär der Direktion der Justiz und des Innern, Andreas Müller.

In den Leitsätzen wird betont, die Religionen würden durch ihre Werte eine Grundlage für das gesellschaftliche Zusammenleben bilden. Seitens des Christentums seien etwa die Nächstenliebe oder die Solidarität ein wichtiger Wert, erklärte der Religionsdelegierte der Direktion der Justiz und des Inneren im Kanton Zürich, Lorenz Egli.

Religiöse Symbole in Öffentlichkeit erlaubt

Die religiösen Gemeinschaften werden weiter dazu verpflichtet, den öffentlichen Frieden zu wahren. Religionsgemeinschaften hätten ein Potential sowohl zum Guten wie auch zum Schlechten, so Egli. Der Staat müsse dafür sorgen, dass das Gute zum Tragen komme, das Schlechte nicht. Im Fall von Gewalt müsse der Staat einschreiten.

«Religiöse Symbole dürfen im öffentlichen Raum sichtbar sein, soweit es die staatliche Rechtsordnung zulässt», heisst es in einem weiteren Punkt. Religion finde nicht nur im privaten Raum statt, sondern auch öffentlich, argumentierte dazu Egli.

Das betreffe etwa die Bekleidung, mit der sich Angehörige gewisser Religionsgemeinschaften zu erkennen geben. Er nennt die Kippa als Kopfbedeckung der Juden, das Gewand einer christlichen Ordensfrau oder das Kopftuch einer Muslimin. In diesem Bereich könne es aber – je nach politischem Willen – zu Verboten kommen, relativierte der kantonale Religionsdelegierte.

Religion hat im Recht nichts zu suchen

Weiter halten die Leitlinien die staatliche Rechtsordnung als verbindlichen, für alle Religionsgemeinschaften gleich geltenden Massstab fest. Die Rechtsordnung müsse der gemeinsame Bezugspunkt für alle sein, führte Egli aus. Sie beruhe auf einer liberal-demokratischen Kultur. Der Staat müsse die Rechtsordnung durchsetzen, also für Sicherheit und Ordnung sorgen. Hingegen habe er keinerlei Legitimation, innere Haltungen seiner Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen.

«Radikal denken ist nicht strafbar.»

«Auch radikal denken ist nicht strafbar», erklärte Fehr. Doch wenn dieses Denken zu strafbaren Handlungen führe, sei der Staat in der Pflicht. Im Umkehrschluss betonten die Regierungsvertreter auch, Religion habe im Recht nichts zu suchen.

Die Leitlinien halten zudem an der Beibehaltung der öffentlich-rechtlichen Anerkennung fest und fordern klare Handlungsgrundlagen zum Umgang mit verfassungsrechtlich nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften.

Zu konkretem Vorgehen befragt, nannte Jacqueline Fehr eine in Auftrag gegebene Studie. Diese solle aufzeigen, welche Formen verbindlicher Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften möglich wären. Angedacht ist etwa, dass ein Verein die Frage der Seelsorge gemeinsam mit staatlichen Stellen entwickeln würde. Denkbar wäre auch, dass der Staat Leistungsaufträge an Religionsgemeinschaften vergeben und mitfinanzieren würde, konkretisierte Müller.

Landeskirchen begrüssen das Vorgehen

Die römisch-katholische Kirche im Kanton Zürich und die evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich zeigen sich in ihren Mitteilungen (8. Dezember) erfreut über die vom Regierungsrat angestossene Debatte zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften.

Die Katholiken schätzen besonders, dass «die Kantonsregierung die Bedeutung religiöser Überzeugungen für die Gesellschaft unterstreicht und den Beitrag der Religionen zu einem friedlichen und solidarischen Zusammenleben würdigt». Auch dass der Kanton an der staatlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften festhält, wissen die beiden Landeskirchen zu schätzen.

Geld für andere Gemeinschaften

Dabei erwähnen sie auch ihr eigenes Engagement zugunsten von anderen Religionsgemeinschaften. Die Katholiken unterstützten die orthodoxen Gemeinschaften bei ihrem Bemühen um Anerkennung, schreiben sie in der Mitteilung. In der Synode vom Donnerstag sei dafür ein jährlicher Beitrag von 50’000 Franken gesprochen worden. Gleichzeitig sei ein jährlicher Beitrag von 25’000 Franken für die Förderung von muslimischen Seelsorgern in Spitälern, Pflegeheimen und Gefängnissen beschlossen worden.

Die Reformierten streichen ihre langjährigen Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften über den «Runden Tisch im Kanton Zürich» hervor. Dabei würden gemeinsame Aufgaben – etwa die Seelsorge im Gefängnis, im Notfall und in Asylzentren koordiniert. Man unterstütze also die Bemühungen der Kantonsregierung. Auch die Evangelische Volkspartei (EVP) äussert sich positiv zum Vorgehen der Regierung.

Freidenker kritisieren Fehlen von Nicht-Religiösen

Wenig erfreut zeigt sich die Freidenker-Vereinigung der Schweiz in ihrer Mitteilung vom Freitag. Die Regierungsvertreter hätten sich ausschliesslich zum staatlichen Umgang mit Religionen geäussert. «Auf nicht-religiöse Weltanschauungen wurde ausserhalb der Referenz auf die Statistik nicht eingegangen», schreiben sie und bezeichnen dies als «befremdend».

«Auf nicht-religiöse Weltanschauungen wurde nicht eingegangen.»

Weiter kritisieren sie die «ausschliesslich konfessionell» ausgerichtete Spitalseelsorge als «klaren Missstand» angesichts der wachsenden Anzahl Konfessionsloser. Dass der Kanton an der staatlichen Anerkennung der Religionsgemeinschaften festhält, kritisiert die Vereinigung als «unreflektiertes Aufrechthalten der Privilegien für Religionsgemeinschaften», das keinerlei Mittel gegen religiösen Dogmatismus bilde.

Zwei Schübe religiöser Pluralisierung

Der Religionsdelegierte Lorenz Egli warf an der Konferenz auch einen Blick in die Geschichte. Im Kanton Zürich hat die religiöse Pluralisierung zwei Schübe erlebt. Auf die erste, innerchristliche Pluralisierung habe man reagiert, auf die zweite noch nicht.

Die wachsende Zahl der Katholiken im ursprünglich überwiegend reformierten Kanton habe schliesslich 1973 zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung der römisch-katholischen und christkatholischen Kirchen geführt.

Auf die Zunahme an Konfessionslosen und Gläubigen anderer Religionen und Konfessionen ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Staat laut Egli aber bisher ungenügend eingegangen. Die Anerkennung von zwei jüdischen Gemeinden 2005 sei keine Antwort auf die neuere Entwicklung gewesen, stellt er kritisch fest.

Jacqueline Fehr | © Arnold Landtwing
8. Dezember 2017 | 16:47
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Die Leitsätze der Zürcher Regierung

– Religiöse Überzeugungen bilden eine wichtige Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

– Die religiösen Gemeinschaften wahren den öffentlichen Frieden.

– Religiöse Symbole dürfen im öffentlichen Raum sichtbar sein, soweit es die staatliche Rechtsordnung zulässt

– Die staatliche Rechtsordnung stellt den verbindlichen, für alle Religionsgemeinschaften gleich geltenden Massstab dar.

– Die Rechts- und Staatsordnung der Schweiz und des Kantons Zürich ist von der demokratisch-liberalen Kultur geprägt.

– Das System der öffentlich-rechtlichen Anerkennung hat sich bewährt und soll beibehalten werden.

– Zum Umgang mit verfassungsrechtlich nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften braucht es klare Handlungsgrundlagen.

Die Leitlinien sind in einem ausführlichen Schreiben der Kantonsregierung festgehalten.