Don Gianluca Villa ist Pfarrer von Stresa.
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Wo war Gott beim Seilbahn-Unglück? Don Gianluca spricht von einem «Karfreitag an Pfingsten»

Don Gianluca Villa ist Pfarrer von Stresa. Wie ganz Italien trauert auch er um die Opfer des Seilbahn-Unglücks am Lago Maggiore. Das Unglück geschah am sonnigen Pfingstsonntag, der zum dunklen Karfreitag wurde.

Raphael Rauch

Wie geht es Ihnen?

Don Gianluca Villa*: Wir haben gestern Pfingsten gefeiert – an einem wunderschönen Tag. Plötzlich hat diese schreckliche Nachricht die Sonne verdunkelt. Es fühlte sich wie der Karfreitag an. Mit dem Tod Jesu kam die Finsternis.

Die Talstation am Hafen von Stresa.
Die Talstation am Hafen von Stresa.

Wo war Gott, als das Seilbahnkabel riss und 14 von 15 Menschen in den Tod stürzten?

Villa: Wenn solche Tragödien passieren und ein Erdbeben Häuser einstürzen lässt mit Menschen darunter, ist es so, als wenn ein Tabernakel zusammenbricht und die Eucharistie zerdrückt wird. Gott leidet mit uns. Wir glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen. Der christliche Gott ist ein schwacher Gott – er kann die menschliche Freiheit und die menschliche Verantwortung nicht überwinden. Das Seilbahn-Unglück hat mit menschlicher Verantwortung zu tun, nicht mit Gott. Gott weint und leidet mit uns. Leider haben wir in Stresa Erfahrung mit solchen Katastrophen.

Inwiefern?

Villa: Bereits vor 80 Jahren stürzte in Stresa ein Pfeiler ein. 16 Touristen kamen ums Leben. Es war ebenfalls eine grosse Tragödie, die noch immer die Menschen beschäftigt. Damals wurden die Leichen in die Kirche gebracht.

Diese Stahlseile führen zur Unglücksstelle.
Diese Stahlseile führen zur Unglücksstelle.

Was können Sie als Seelsorger nun tun?

Villa: Die Behörden haben mich gefragt, ob sie mich zur Unfallstelle bringen sollen. Aber ich wollte nicht stören, sondern die Spezialisten ihre Arbeit machen lassen. Ausserdem gehe ich davon aus, dass nicht nur Christen unter den Opfern sind – schliesslich waren auch fünf Israelis in der Gondel. Stresa ist eine wunderschöne Stadt, die Touristen aus aller Welt anzieht. Es ist eine Pfingst-Stadt, in der viele Sprachen gesprochen werden. Ich sehe meine Rolle hier in der Kirche. Wir feiern heute Abend einen Gedenkgottesdienst und am Mittwoch nochmals.

Der Pfarrer von Stresa, Don Gianluca Villa, gibt einem TV-Sender ein Interview.
Der Pfarrer von Stresa, Don Gianluca Villa, gibt einem TV-Sender ein Interview.

Was sagen Sie Menschen, die nach dem Unglück von gestern sagen: «Gott kann es nicht geben!»

Villa: Ich sage ihnen, dass ich den Schmerz nachvollziehen kann. Wir hören den Schrei, weil der Tod eine Ungerechtigkeit ist und weil wir ewig leben wollen. Jesus sagt, dass sein Plan nicht der Tod ist, sondern er gekommen ist, um Leben zu schenken. Das ist sein Wunsch. Wir realisieren durch solche Tragödien die Zerbrechlichkeit des Lebens. Wir dürfen das Leben nicht vergeuden. Wir gehen davon aus, dass wir morgens aus dem Haus gehen und abends wieder nach Hause kommen. Dabei vergessen wir den Blick zum Himmel und den Respekt vor Gott. Wir dürfen das Leben nicht verschwenden.

Ermordet im Alter von zehn Monaten und 28 Tagen: Der Heilige Vitalian in der Pfarrkirche von Stresa.
Ermordet im Alter von zehn Monaten und 28 Tagen: Der Heilige Vitalian in der Pfarrkirche von Stresa.

Bei dem Unglück kamen auch Kinder ums Leben. Sie verehren in Ihrer Kirche den Heiligen Vitalian, der im Alter von zehn Monaten und 28 Tagen ermordet worden sein soll.

Villa: Der Heilige Vitalian wurde im Jahr 380 nach Christus von Heiden entführt und ermordet. Im Jahr 1850 liess Papst Gregor XVI. die Katakomben öffnen, wo die Überreste des Heiligen Vitalian gefunden wurden. Er ist der Schutzpatron der Kinder von Stresa – ein Symbol für das unschuldige Leben, das von der Bosheit der Menschen zermalmt wurde.

* Don Gianluca Villa ist Pfarrer von Stresa und Priester der Diözese Novara, die in Nachbarschaft zum Bistum Lugano liegt. In Stresa kam es am Pfingstsonntag zu einem verheerenden Seilbahnunglück, bei dem 14 von 15 Menschen ums Leben kamen. Nur ein fünfjähriger Junge überlebte, allerdings befindet er sich in einem kritischen Zustand.


Don Gianluca Villa ist Pfarrer von Stresa. | © Raphael Rauch
24. Mai 2021 | 17:36
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