«Wie sehr sind wir bereit, dem anderen zu glauben?»

Kipa-Serie: «Sie schlagen Brücken» (4)
Hisham Maizar sucht den Dialog zwischen Muslimen, Christen und anderen Schweizern

St. Gallen, 27.5.14 (Kipa) Er ist Arzt, Schweizer und Muslim. Aufgewachsen als Palästinenser in Jerusalem, verheiratet mit einer Katholikin, hat der interreligiöse Dialog sein Leben geprägt. Weil er gelernt hat, in demokratischen Strukturen zu denken, wurde Hisham Maizar im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Brückenbauer zwischen den Muslimen in der Schweiz und der einheimischen Bevölkerung.

Sylvia Stam

«Achtung vor dem Islam» titelte Ivo Fürer, der damalige Bischof von St. Gallen, wenige Monate nach dem elften September 2001 in seinem Hirtenbrief, der im St. Galler Tagblatt erschien. «Es waren nette Worte», präzisiert Maizar die Doppeldeutigkeit des Titels.

Maizar führte zu dem Zeitpunkt bereits eine eigene Arztpraxis im Thurgau. Er entschied spontan, sich persönlich beim Bischof für diese respektvollen Worte zu bedanken. «Es freut mich, Muslime zu sehen», begrüsste Fürer ihn und seine beiden Begleiter. «Aber ihr seid so viele, dass man nicht weiss, an wen man sich wenden soll», habe der Bischof, der durchaus an einem Dialog interessiert gewesen sei, ihnen damals gesagt.

Bischof als Geburtshelfer

Mit diesem Satz wurde Fürer sozusagen zum Geburtshelfer eines islamischen Dachverbandes. «Der Bischof ruft zur Einheit der Muslime auf!», sagte Maizar seinen Glaubensgenossen in der Folge. «Wenn ihr aus dem Generalverdacht, der seit dem Attentat vom 11. September auf Muslimen lastet, hinaus wollt, müsst ihr für die Institutionen berechenbar sein.»

Das Wort des Bischofs wurde für Maizar wegweisend: Er studierte in der Folge ein Büchlein mit dem Titel «Wie gründe ich einen Verein?» und einigte die bisher lose organisierten islamischen Vereine in der Region im «Dachverband islamischer Gemeinden Ostschweiz» (Digo). Keine Selbstverständlichkeit, sagt Maizar: «Wir sind nicht verschwägert, auch sprachlich sind wir nicht miteinander verbunden, einzig durch die Religion. Unsere gemeinsame Sprache war von Anfang an Deutsch.» Als Vorsitzender des Digo war Maizar in den Medien präsent und wurde nach und nach von Kirchen und Behörden als Ansprechpartner wahrgenommen.

Föderation islamischer Dachverbände

Aus den Kontakten zu anderen islamischen Dachverbänden in der Schweiz entstand schliesslich 2006 die «Föderation islamischer Dachverbände» (Fids), deren Vorsitz Maizar ebenfalls innehat. «Die Fids ist von unten nach oben aufgebaut und dadurch in der Gesellschaft akzeptiert», sagt Maizar, «sie ist mit 173 Moscheezentren die grösste islamische Dachorganisation in der Schweiz.»

Trotz wachsender Anerkennung der muslimischen Verbände in der schweizerischen Gesellschaft kam es 2009 zur Annahme der Anti-Minarett-Initiative. «Wir hielten das nicht für möglich», erläutert Maizar die Erschütterung, die das Abstimmungsresultat bei Muslimen zur Folge hatte. Das eigene Verhalten im Vorfeld der Abstimmung sieht Maizar heute durchaus kritisch: «Wir haben uns zu wenig bemüht, in der Bevölkerung ein anderes Bild des Islam entstehen zu lassen.»

Burka- und Kopftuch-Verbote

Diese Gelegenheit wird sich bald ergeben, wie Pläne des Egerkinger Komitees zeigen. Dieses war seinerzeit federführend bei der Minarett-Initiative. Das Komitee will in absehbarer Zeit eine nationale Anti-Burka-Initiative lancieren. Seine Aufgabe in dieser Debatte schildert Maizar folgendermassen: «Wir als Muslime müssen in dieser Debatte klar stellen, dass die Burka unter den Muslimen sehr stark umstritten ist, manche meinen, sie sei kein Bestandteil der islamischen Lehre. Sie wird nur traditionellerweise in islamischen Ländern getragen.»

Anders sieht es für Hisham Maizar bei den Diskussionen um ein Kopfbedeckungsverbot an Schulen aus, wie es etwa die SVP des Kantons Wallis mittels einer kantonalen Initiative erreichen möchte. Das Kopftuch sei im Islam eine Auflage für Mädchen ab der Pubertät, so Maizar. Er sieht darin keine Einschränkung der persönlichen Freiheit der Frau, sondern einen durch die Religion festgelegten Rahmen, innerhalb dessen die Würde der Frau gewahrt sei. Ob eine Frau diesem Gebot Folge leisten will, bestimmt diese laut Maizar selber. Ein generelles Verbot schränke die Frauen in ihrer Wahlfreiheit ein, weshalb er ein solches Verbot nicht gutheissen könne.

Aber können die Frauen dies wirklich selber wählen? «Hier geht es um die grundsätzliche Frage, wie sehr wir bereit sind, dem anderen zu glauben», entgegnet Maizar. «Sind wir bereit, der Frau zu glauben, die sagt, sie trage das Kopftuch aus freiem Willen?»

Islam der Mitte

Hisham Maizar bezeichnet seine Position als «Islam der Mitte». Er beruft sich dabei auf zwei Grundsätze des Korans: Der erste spricht davon, dass der Islam den Menschen zu dessen Erleichterung, nicht zu dessen Behinderung offenbart worden sei. Die Religion soll also eine befreiende Wirkung haben. Die zweite spricht vom goldenen Mittelmass, das Gott den Menschen zugedacht hat. «Wenn man sich an diese beiden Grundsätze hält, wird man nie Extremist.»

Von radikalen Positionen, wie sie etwa der Islamische Zentralrat vertritt, distanziert sich Maizar denn auch vehement. «Das ist eine extreme Splittergruppe, geführt von Konvertiten, die der Gesellschaft von oben den Islam überstülpen möchte, indem sie sagt, das sei die einzige Wahrheit.» Stattdessen gehe es darum, zuerst einmal in der Gesellschaft, in der man lebe, Vertrauen zu schaffen. Solch ein Vertrauen sei nicht nur für die Kommunikation mit den Einheimischen wichtig, sondern auch unerlässlich, wenn es um die öffentlich-rechtliche Anerkennung islamischer Gemeinden geht.

Rat der Religionen

Für Maizar, der sich der sich immer wieder bemüht, muslimische Verbände mit Schweizer Strukturen zu vereinbaren, ist es nur folgerichtig, dass er eine solche Anerkennung des Islams anstrebt. Er hat deshalb zusammen mit der Koordination Islamischer Organisationen in der Schweiz (Kios), dem zweiten islamischen Dachverband, bei der Universität Luzern ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches die öffentlich-rechtliche Anerkennung des Islam für möglich hält. «Dadurch hätten wir die Chance, uns in das gesellschaftliche Geschehen einzubringen», so Maizar. Es gehe nicht darum, den Islam zur Staatsreligion zu machen.

Bis es soweit ist, dürfte jedoch noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein. Maizar lässt sich davon nicht einschüchtern. Der Palästinenser, der 35 Jahren mit einer österreichischen Katholikin verheiratet war und heute verwitwet ist, weiss wovon er spricht. Er sucht stets das Verbindende, setzt auf den Dialog.

Wohl auch deshalb wurde er dieses Jahr als erster Muslim zum Vorsitzenden des Schweizer Rats der Religionen gewählt. In diesem Gremium, dem die drei abrahamitischen Religionen angehören, will er sich für eine intensivere Kommunikation sowohl mit den Behörden wie mit der Basis einsetzen. Für ein Ziel, das ihm ein Leben lang ein Anliegen war: Die Wahrung des religiösen Friedens im Land. Denn schliesslich, so sagt er nicht ohne Stolz, sei er «Schweizer islamischen Glaubens – genauso wie man Schweizer christlichen, jüdischen oder sonstigen Glaubens sein kann.»

Hinweis für Redaktionen: Fotos von Hisham Maizar können direkt bei ihm bestellt werden unter info@fids.ch.

Separat 1:

Kipa-Serie 2014: «Sie schlagen Brücken»

Immer wieder bauen Menschen Brücken: von Mensch zu Mensch, aber auch zwischen Konfessionen, Religionen, Generationen, Rassen, Sprachen, Schichten. Solche Brückenschläge können glücken, immer aber auch schwierig, mühsam, aufreibend oder gefährdet sein. – Die Sommerserie 2014 der Presseagentur Kipa lässt Frauen und Männer zur Wort kommen, die in verschiedensten Bereichen Brücken schlagen. (kipa/sy/gs)

Hisham Maizar im Jahr 2014 | zVg
27. Mai 2014 | 12:08
Lesezeit: ca. 4 Min.
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