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Theologie konkret

Wer weiht die Schweizer Vatikan-Botschaft ein?

Laut Diplomatie-Kenner Jörg Ernesti (55) ist Papst Franziskus einer der am besten informierten Persönlichkeiten der internationalen Politik. Denn kaum ein Staatsoberhaupt empfange so viele Gäste wie der Papst. Ernesti geht aber nicht davon aus, dass Franziskus persönlich die Schweizer Vatikan-Botschaft einweihen wird.

Raphael Rauch

Laut «NZZ am Sonntag» soll am Samstag der Schweizer Bundespräsident die neue Vatikan-Botschaft in Rom eröffnen. Kommt Papst Franziskus persönlich mit dem Weihwasser?

Jörg Ernesti*: Ich denke, dass der Papst nicht selbst kommen, sondern einen hochrangigen Vertreter entsenden wird. Vielleicht Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin oder den vatikanischen Aussenminister Paul Gallagher. Die diplomatischen Beziehungen zu den Staaten haben für den Vatikan aber seit jeher eine hohe Priorität. Es ist eine gute Gepflogenheit, dass der Papst selbst jedem neuen Botschafter oder jeder neuen Botschafterin eine Audienz gewährt und das Beglaubigungsschreiben der Regierung entgegennimmt.

Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg
Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg

Wie schätzen Sie die aktuellen Beziehungen Schweiz–Vatikan ein?

Ernesti: Ich denke, die Schweiz hat aus vatikanischer Sicht immer schon eine grosse Bedeutung gehabt – und das nicht nur wegen der 1506 geschaffenen Schweizergarde, der ältesten und zugleich kleinsten Armee der Welt. Schon 1586 wurde nach dem Konzil von Trient eine Nuntiatur in Luzern errichtet. Im Gefolge des Kulturkampfes wurden die diplomatischen Beziehungen 1873 suspendiert und 1920 wiederaufgenommen. Die Entscheidung des Bundesrates, erstmals eine eigene diplomatische Vertretung beim Heiligen Stuhl zu errichten, erklärt sich auch von den gemeinsamen aussenpolitischen Interessen der beiden Partner her. Der vatikanischen Aussenpolitik geht es primär um Friedensarbeit, Menschenrechte und Religionsfreiheit. Das sind auch wichtige Themen für die neutrale Schweiz.

«Der Vatikan hat sich nach dem Verlust des alten Kirchenstaates im Jahr 1870 neu aufgestellt.»

Sie schreiben in Ihrem Buch: «Immer wieder wurde der Austausch von verwundeten und invaliden Männern in neutralen Drittstaaten wie der Schweiz, Holland und Dänemark vermittelt.» Wie kann ich mir solche Verhandlungen vorstellen?

Ernesti: Die Hauptthese meines Buches ist ja, dass der Vatikan sich nach dem Verlust des alten Kirchenstaates im Jahr 1870 neu aufgestellt und als neutrale internationale Vermittlungsinstanz profiliert hat. Diese Bemühungen wurden von Anfang an von humanitären Initiativen begleitet. Im Ersten Weltkrieg hat der Vatikan zum Beispiel den Austausch von verwundeten deutschen und französischen Soldaten vermittelt. Im Zweiten Weltkrieg war das nicht möglich. Im Ukrainekrieg hat sich die päpstliche Diplomatie wiederholt für die Schaffung humanitärer Korridore aus besonders umkämpften Gebieten eingesetzt.

Barack Obama begrüsst Papst Franziskus, 2015
Barack Obama begrüsst Papst Franziskus, 2015

Der Heilige Stuhl hat bei den Annäherungen zwischen Kuba und den USA eine wichtige Rolle gespielt. Kann man davon ausgehen, dass die Schweiz hier ebenfalls eng mit dem Heiligen Stuhl zusammengearbeitet hat – wegen des Schutzmachtmandats, das die Schweiz auf Kuba für die USA wahrnimmt?

Ernesti: Der Heilige Stuhl hat seit 1885 mehrfach in internationalen Konflikten vermittelt. Im Blick auf Kuba und den USA hat es sich nicht um eine klassische Vermittlung gehandelt. Der Vatikan hat seine guten Dienste angeboten, also Gespräche zwischen den Vertretern der beiden Länder angebahnt und den Vatikan als Verhandlungsort zur Verfügung gestellt. Die Wiederaufnahme der Kontakte zwischen den beiden Ländern war natürlich sicher im Sinne der Schweiz, auch wenn diese meines Wissens bei den Gesprächen keine aktive Rolle gespielt hat.

Der Schweizer Botschafter im Vatikan in der Schweizergarde-Ausstellung
Der Schweizer Botschafter im Vatikan in der Schweizergarde-Ausstellung

Die Schweiz hat wohl von Samstag an einen residierenden Botschafter am Heiligen Stuhl. Welche Staaten verzichten noch auf einen eigenen Vatikan-Botschafter?

Ernesti: Nach den Lateranverträgen von 1929 darf der Botschafter in Italien nicht in Personalunion auch Botschafter beim Heiligen Stuhl sein. Derzeit unterhalten 184 Staaten diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Etwa die Hälfte davon hat keinen zweiten Botschafter in Rom. In dem Fall ist es üblich, dass die Botschafter in einem anderen Land für die Beziehungen zum Heiligen Stuhl mit zuständig sind. Die Beziehung der Schweiz zum Heiligen Stuhl wurden zuletzt von Ljubljana aus bedient. Viele sehr kleine Staaten können sich keine zwei Botschaften in Rom leisten. Aber auch europäische Staaten wie zum Beispiel Luxemburg, Norwegen und Dänemark verzichten darauf.

Fürstin Charlene von Monaco und Papst Franziskus
Fürstin Charlene von Monaco und Papst Franziskus

Aussenpolitik lebt von Ritualen. Welche Rituale kennt die Vatikan-Aussenpolitik ausser Papst-Audienzen und Papst-Reisen?

Ernesti: Im vatikanischen Jahresablauf hat der Neujahrsempfang für das diplomatische Korps immer einen hohen Stellenwert. Die Päpste des 20. Jahrhunderts haben bei dieser Gelegenheit oftmals programmatische aussenpolitische Ansprachen gehalten. Wichtig für die vatikanische Aussenpolitik sind auch die Besuche von Staatsgästen im Vatikan. Kaum ein Staatsoberhaupt der Welt empfängt so viele hochrangige politische Gäste wie der Papst. Und von daher nimmt es nicht wunder, dass der Papst zu den am besten informierten Persönlichkeiten der internationalen Politik gehört.

Eine Afrikanerin zündet beim internationalen Friedenstreffen in Rom eine Kerze an.
Eine Afrikanerin zündet beim internationalen Friedenstreffen in Rom eine Kerze an.

Was hat es mit dem Tag von Assisi auf sich?

Ernesti: Johannes Paul II. hat schon 1986 gesehen, dass viele Konflikte in der Gegenwart religiös grundiert sind. Das betrifft vor allem den Gegensatz zwischen Islam und Christentum. Deshalb hat er in jenen Jahren Vertreter aller grossen Weltreligionen nach Assisi eingeladen, um für den Frieden zu beten und an die Verpflichtung der Religionen zu erinnern, zum Frieden beizutragen. Diese Weltfriedenstreffen finden seither in unregelmässigen Abständen statt. Sie dienen der Sensibilisierung für das Anliegen des Weltfriedens.

Kardinal Michael Czerny
Kardinal Michael Czerny

Welche anderen wichtigen Events kennt die Vatikan-Aussenpolitik?

Ernesti: Die päpstlichen Reisen spielen heute in der vatikanischen Aussenpolitik eine zentrale Rolle, da stets auch Begegnungen mit den Politikern eines Landes vorgesehen sind. Immer wieder bedienen sich die Päpste auch ausserordentlicher Gesandter, wie jetzt im Ukrainekrieg der Kardinäle Czerny und Krajewski. Ihre Aufgabe besteht darin, den Papst zu informieren, die Menschen vor Ort moralisch zu stärken und humanitäre Aktionen in die Wege zu leiten.

Papst Franziskus und Angela Merkel 2021 beim interreligiösen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom.
Papst Franziskus und Angela Merkel 2021 beim interreligiösen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom.

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die frühere deutsche Vatikan-Botschafterin Annette Schavan haben grosse Sympathien für «Sant’Egidio». Betreibt «Sant’Egidio» eine eigene Agenda – oder ist «Sant’Egidio» der verlängerte Arm der Vatikan-Aussenpolitik?

Ernesti: Man hat der von Andrea Riccardi gegründeten Laienbewegung wiederholt vorgeworfen, dass sie eine Art Neben-Aussenpolitik betreibt. In der Tat agiert sie ohne Weisung des vatikanischen Staatsekretariates, aber sicher nicht ohne Abstimmung mit diesem. Der Erfolg gibt der Bewegung recht. Man denke etwa an die erfolgreiche Vermittlung im Bürgerkrieg in Mosambik.

«Die katholische Kirche ist heute ein stark vernetzter, mit besten Informationen ausgestatteter internationaler Betrieb.»

Ausser «Sant’Egidio», «Caritas Internationalis» oder «Franciscans International» in Genf und New York: Welche Player gibt es noch in der katholischen Aussenpolitik?

Ernesti: Nicht vergessen darf man sicher die päpstlichen Nuntien in den verschiedenen Staaten der Welt. Paul VI. hat ihre Aufgabe 1969 im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils neu umschrieben. Sie sind zugleich Vertreter des Heiligen Stuhls bei einer bestimmten Regierung und Vertreter des Papstes bei der Kirche des betreffenden Landes. Sie sammeln Informationen und geben sie nach Rom weiter, wo sie ausgewertet werden. Die katholische Kirche ist heute ein stark vernetzter, mit besten Informationen ausgestatteter internationaler Betrieb.

Der russische Präsident Wladimir Putin bei Papst Franziskus, 10. Juni 2015.
Der russische Präsident Wladimir Putin bei Papst Franziskus, 10. Juni 2015.

Papst Franziskus hat ein flottes Mundwerk. Warum zügelt er mit Blick auf Putin seine Zunge?

Ernesti: Das entspricht ganz der Tradition der vatikanischen Aussenpolitik. Diese ist überparteilich und verurteilt keine der Konfliktparteien, um so mit allen im Gespräch bleiben zu können. Vielleicht sind dadurch Friedensvermittlung oder humanitäre Initiativen leichter durchsetzbar. Der Papst hat das neulich selbst bestätigt: Es sieht es nicht als seine Aufgabe an, Staatsoberhäupter oder ein ganzes Volk zu verurteilen.

«Die Orthodoxen sehen die unierten Christen als Abtrünnige an.»

Sie schreiben in Ihrem Buch, wie schwierig der Dialog mit dem Moskauer Patriarchat ist: «Dem standen vor allem die Ansprüche der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine entgegen, die sich nach dem Untergang des Kommunismus wieder frei betätigen konnte.» Was genau ist hier das Problem?

Ernesti: Die Sowjets haben sich nach 1917 auf den Standpunkt gestellt, dass es die griechisch-katholische Kirche nicht geben darf, weil man ausländische Einflüsse, also den des Papstes, ausschalten wollte. Deshalb hat man die griechisch-katholische Kirche verfolgt und die Gläubigen in die russisch-orthodoxe Kirche genötigt. Da die Orthodoxen die unierten Christen ohnehin immer als Abtrünnige angesehen haben, waren sie nicht damit einverstanden, dass diese sich nach dem Fall der Sowjetunion reorganisieren konnten.

Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.
Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.

Sie erzählen in Ihrem Buch auch, wie die Errichtung von drei römisch-katholischen Diözesen und einer Erzdiözese auf russischem Gebiet in den 1990er-Jahren für Verstimmungen gesorgt haben. Und dass für Russland die Ernennung eines Polen zum Apostolischen Administrator und Metropoliten von ganz Russland ein Affront war. Sind diese Probleme inzwischen geklärt?

Ernesti: Die Situation der römisch-katholischen Christen des lateinischen Ritus in Russland ist immer noch prekär. So können die Bistümer nicht ohne Weiteres Kirchen errichten. Ich denke, dass diese Probleme aus russisch-orthodoxer Sicht letztlich nicht geklärt sind. Denn die Orthodoxen vertreten die traditionelle Theorie der sogenannten kanonischen Territorien. Das heisst: Wer in Russland Christ ist, hat es gefälligst als orthodoxer Christ zu sein. Demnach müssen Lateiner in Russland immer als Eindringlinge und Fremdkörper erscheinen.

* Jörg Ernesti (55) ist Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. 2022 ist von ihm Herder-Verlag das Buch erschienen «Friedensmacht: Die vatikanische Aussenpolitik seit 1870».


Papst Franziskus begrüsst Bundesrat Ignazio Cassis, 2019 | © EDA
1. Mai 2022 | 20:03
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