Interreligiöses Essen im Maihof
Schweiz

Woche der Religionen: Wenn Religion durch den Magen geht

Luzern, 12.11.16 (kath.ch) Im Rahmen der «Woche der Religionen» fand im Maihof in Luzern ein interreligiöses Essen zum Thema «Was is(s)t Religion?» statt. Ein äusserst sinnliches Vergnügen, bei dem die Besucher Religion buchstäblich schmecken konnten.

Vera Rüttimann

Aus dem grossen Kirchsaal des Zentrums Maihof am Löwenplatz dringt Gelächter und das Scheppern von Pfannen. Ein würziger Curryduft weht den Gästen, die aus dem Quartiere und aus anderen Orten der Stadt am Abend hierhereilen, entgegen. Neugierig strecken sie ihre Nase in den Wind. Ihr Ziel dieses Abends: Das interreligiöse Essen zum Thema «Was is(s)t Religion», das anlässlich der «Woche der Religionen» hier stattfindet. Manch eine mag sich beim Betreten des grossen Kirchraumes fragen: Kenne ich die Menschen mit anderen Hautfarben in meiner Umgebung eigentlich? Welcher Religion gehören sie an? Und: Wie beten und essen die in ihrem Alltag überhaupt?

Interreligiöse kulinarische Reise

Diese Wissenslücken wollen die Mitglieder des «Vereins Zusammenleben Maihof-Löwenplatz», der zu diesem interreligiösen Esstisch mit Spezialitäten aus verschiedenen religiösen Traditionen einlädt, füllen. Rita Frei vom Maihof-Quartier, die ihre beiden Freundinnen mitgenommen hat, hat schon Stunden zuvor die Tische gedeckt und geschmückt. Die Katholikin, die sich im gastgebenden Verein engagiert, sagt: «Er ist gut vernetzt mit Gruppen im Quartier, die offen sind gegenüber Menschen mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Dieses Essen finde ich eine tolle Sache.»

Ein Team aus praktizierenden Juden, Christen, Muslimen, Buddhisten und Hindus sitzt derweil vorne über ihren dampfenden Töpfen. Es riecht nach Curry, Thymian, Zwiebeln und frisch angerührtem Joghurt. Als die gut hundert Gäste an ihren Plätzen sitzen, gewähren die Köchinnen anhand ausgewählter Rezepte einen intimen Einblick in die Feste, Rituale und Geschichten ihrer Speisen. Die staunenden Gäste, die ihre Teller zum Schöpfen reichen, werden auf eine einzigartige kulinarische Reise durch die multireligiöse Schweiz entführt und erfahren, was, wann und wie Religion hierzulande is(s)t. An den Tischen wird bald rege diskutiert. Es fallen Fragen wie: Wie ist das genau mit dem Fleisch-Essen im Christentum? Dürfen Muslime und Juden dasselbe Fleisch geniessen? Welchen Sinn machen heute uralte Speisegesetze noch?

Eine der Köchinnen ist Tamar Krieger. Die junge Jüdin, deren Mutter aus Israel stammt, hat an diesem Morgen viel Zeit mit Backen verbracht. «Jede Speise, die ich für diesen Tag zubereitet habe, hat etwas mit einem jüdischen Feiertag zu tun», erklärt sie ihrem interessierten Publikum. Sie präsentiert Honigkuchen, der am Neujahrsfest angeboten wird, Makrönchen aus Eiweiss, Zucker und Kokos, die zu Pessach verschenkt werden, und weichen Quarkkuchen, der jeweils zum Wochenfest Schawuot verteilt wird. Die Jüdin trägt das Essen bereits in ihrem Namen: «Tamar» heisst «Dattel». Eine Frucht, wie die junge Lehrerin für Religion und Ethik weiss, die schon früh in der Bibel und im Koran Erwähnung fand.

Die Mahlgemeinschaft

«Bei allen Religionen dreht sich vieles ums Essen, auch, weil alle Glaubensrichtungen ihre speziellen Speisen und Riten haben», so Krieger. Beata Pedrazzini, die im «Verein Zusammenleben Maihof-Löwenplatz» mit anderen für den interreligiösen Dialog zuständig ist, stimmt dem zu und betont den Aspekt der Gemeinschaft: «Essen bedeutet in den Religionen teilen. Etwas, was verbindet und Gemeinschaft stiftet. Essen hat in allen Religionen auch etwas mit Gastfreundschaft zu tun und verbindet dadurch auch die verschiedenen Religionen.»

Das gemeinsame Mahl ist schon in der Bibel als tiefster Ausdruck für Gemeinschaft benannt. In den Evangelien sieht man Jesus häufig als Gast an den Tischen der Menschen beim Feiern und Speisen. Das gemeinsame Kochen, Speisen und Reden, sagt auch die junge Tibeterin Tashi, die gedämpfte Teigtaschen mit Fleischfülllungen gekocht hat, sei damals wie heute von zentraler Bedeutung und müsse in dieser durch Stress und Hektik geprägten Zeit wieder vermehrt gepflegt werden.

Keine Kopftuchfrau, ein Mensch

Die Gäste, die an den Tischen speisen, kennen sich von diversen Veranstaltungen im Maihof. Die Angebote des Zentrums, das Brücken bauen will zwischen den Religionen, werden in diesem durchmischten Luzerner Quartier geschätzt. «Interreligiöser Dialog», das ist hier nicht bloss eine hohle Floskel, er wird gelebt. Das schätzt auch Ayla Alimi, die ihren Gästen gefüllte Datteln mit Baumnüssen, Zucchetti-Joghurt-Salat und ein Gemüsekuchen aus Maismehl und Lauch auf den Teller schöpft.

Die Mazedonierin, die 1997 in die Schweiz kam, ist Religionspädagogin und erteilt zwei Frauengruppen in einer Moschee Unterricht. Im Maihof ist sie ein bekanntes Gesicht, denn die Muslimin engagiert sich in Luzern seit 15 Jahren für den interreligiösen Dialog. Die «Woche der Religionen» und speziell auch diesen Esstisch im Maihof findet sie ein «tolles Instrument», um Begegnungen dieser Art zu ermöglichen. Auch sie leidet wegen ihres Äusseren unter Stigmatisierungen in ihrem Alltag. Ayla Alimi spricht aus Erfahrung, wenn sie sagt: «Viele Menschen haben Angst vor dem Fremden, aber wenn sie sich begegnen, sehen sie, dass unter dem Kopftuch ein Mensch steckt.»

Beata Pedrazzini ist eine der letzten Frauen, die den grossen Kirchsaal an diesem Abend verlassen. Sie strahlt, das interreligiöse Essen hält sie für gut gelungen und hofft, es auch im kommenden Jahr anbieten zu können. Die Luzernerin sagt: «Ich hoffe, dass die Teilnehmenden trotz aller Verschiedenheit der Religionen diese Dimension von Gemeinschaft und Gastfreundschaft zwischen den Religionen an diesem Abend erlebt haben und buchstäblich «schmecken» konnten.»


Interreligiöses Essen im Maihof | © Vera Rüttimann
12. November 2016 | 11:24
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