Im Gesprächskreis in der Haftanstalt.
Filmtipp

Restaurative Justiz als Weg zur Besserung: «Je verrai toujours vos visages»

Kann die Konfrontation mit einem Täter dem Opfer eines Gewaltaktes dabei helfen, das Leben wieder in den Griff zu bekommen? Wie soll das gehen? Jeanne Herrys eindringlicher Spielfilm beleuchtet die Chancen und Herausforderungen der Restaurativen Justiz, die auf Gespräche und Verantwortungsübernahme bei der Verarbeitung von Gewalthandlungen setzt.

Natalie Fritz

Seit 2014 existiert in Frankreich die Restaurative Justiz, die es Opfern und Täter*innen ermöglicht, in einem sicheren Rahmen miteinander zu sprechen. Dabei geht es darum, die jeweils andere Seite anzuhören und deren Geschichten und Befindlichkeiten zu verstehen. So kann es gelingen, Ängste zu überwinden, resilient zu werden und die eigenen Handlungen und Motive zu überdenken.

Die Opfer von Gewaltverbrechen, Sabine (Miou-Miou) und Nawelle (Leïla Bekhti, re.), fordern Antworten von Tätern.
Die Opfer von Gewaltverbrechen, Sabine (Miou-Miou) und Nawelle (Leïla Bekhti, re.), fordern Antworten von Tätern.

In zwei parallelen Erzählsträngen zeigt der Film die Möglichkeiten und Herausforderungen der restaurativen Justiz auf. Wir nehmen einerseits Teil an Gruppensitzungen, wo drei Straftäter auf drei Menschen treffen, die in unterschiedlichen Kontexten überfallen und ausgeraubt worden sind. Nach und nach öffnen sich die Beteiligten und es werden tiefgehende Auseinandersetzungen mit dem Vorgefallenen und den Folgen möglich.

Vom Opfer zum gewesenen Opfer

Andererseits fokussiert der zweite Erzählstrang auf Chloé, die über die Anwältin Judith einen Austausch mit ihrem Vergewaltiger anstrebt. Seit sie weiss, dass er wieder in ihrer Nähe wohnt, möchte sie Regeln fixieren, die verhindern, dass sie ihm zufällig über den Weg läuft. Das Problem: der Vergewaltiger ist ihr Bruder…

Chloé (Adèle Exarchopoulos) und ihre Mediatorin Judith (Élodie Bouchez).
Chloé (Adèle Exarchopoulos) und ihre Mediatorin Judith (Élodie Bouchez).

Jeanne Herrys Blick auf die Restaurative Justiz ist ein sehr differenzierter. Sie lässt den Protagonistinnen und Protagonisten viel Zeit, um ihre hochemotionalen Geschichten zu erzählen und sich dadurch auch aus einer ungewollten Opferrolle zu emanzipieren. Ein humanistisches Werk, das an die Versöhnung glaubt, ohne dabei illusorisch zu sein.

«Je verrai toujours vos visages» Frankreich 2023; Regie: Jeanne Herry; ProtagonistInnen: Lëila Bekhti, Gilles Lellouche, Miou-Miou; Verleih: Frenetic Films; Filmseite: https://www.frenetic.ch/katalog/detail//++/id/1250

Ab 5. Oktober 2023 im Kino

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Im Gesprächskreis in der Haftanstalt. | © Frenetic Films
5. Oktober 2023 | 06:15
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