Der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner sieht die Reformfähigkeit der Kirche kritisch.
Analyse

Was Bischöfe und Klima-Kleber verbindet: Ohne Rechtsbrüche keine Systemreform

Die Kirchenreform riskiert an sich selbst zu scheitern, so der Moraltheologe Daniel Bogner. Was helfen kann: Die Bischöfe müssen kalkulierte Grenzverletzungen begehen. Dem stimmt sein deutscher Kollege Matthias Reményi zu und erklärt, warum sich Bischöfe an Klimaaktivisten ein Beispiel nehmen sollten. Eine Analyse.

Annalena Müller

Der Freiburger Moraltheologe, Daniel Bogner (50), fordert in der Fachzeitschrift  «Herder Korrespondenz» «kalkulierte Grenzverletzungen». Der Würzburger Fundamentaltheologe, Matthias Reményi (52), prophezeit in «Kirche und Leben», dass Regelbrüche für Reformen unvermeidbar sind. Und er ruft Kirchenreformer auf, sich an Klima-Klebern zu orientieren.

Synodalität: Haltung ohne institutionelle Konsequenzen

Laut Daniel Bogner stellt «die monarchistische Kirchenverfassung» ein strukturelles Dilemma da.

Im Fokus der Medien: Der Synodale Weg in Deutschland - und in Rom unter Beschuss.
Im Fokus der Medien: Der Synodale Weg in Deutschland - und in Rom unter Beschuss.

Aus der bischöflichen Souveränität, also dem königsähnlichen Status der Bischöfe innerhalb der Kirchenordnung, ergibt sich, dass Synodalität vor allem «Haltung und Einstellung sei, ohne dass damit institutionelle Konsequenzen verbunden wären».

Eine Tragödie mit Ansage

Die monarchistische Kirchenstruktur führt laut Bogner dazu, dass institutionellen Konsequenzen von Reformvorhaben meist ausblieben. Der Abschluss des deutschen Synodalen Weges sei ein Beispiel hierfür. Dieser «gleicht einer Tragödie mit Ansage.»

Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.
Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.

Das Problem: Jede institutionelle Reform benötigt die Zustimmung des höchsten Bischofs. Und Rom antwortet den deutschen Reformern konsequent abschlägig. Ein römisches Nein kam zur Laienpredigt, zur Segnung homosexueller Paare und zum Frauendiakonat Letzteres war schon ein Anliegen der Würzburger Synode (1971-75) und ihrem Schweizer Pendant, der Synode ’72.

Alle zurück auf Los

Die römischen Neins führen dazu, dass die Spielfiguren der Reformbefürworter und -befürworterinnen wieder zurück auf Los geschickt werden. Also dorthin, wo sie angefangen haben.

Angefangen haben sie aber nicht erst 2021. Viele der Themen des deutschen Synodalen Weges und des Schweizer synodalen Prozesses werden bereits seit dem Zweiten Vatikanum diskutiert. Sie sind also ein halbes Jahrhundert alt.

Entsprechend attestiert Bogner den Reform-Bischöfen lediglich einen «Mut mit angezogener Handbremse». Und er findet es wenig verwunderlich, dass die deutschen Reformvorschläge «ausserhalb der katholischen Binnenwelt nicht als Schritt nach vorne wahrgenommen» werden.

Erneuerung durch kalkulierte Regelbrüche

Damit die Reform der Kirche nicht ein unendliches «Eile mit Weile»-Spiel wird, in dem sich am Ende alle im immer gleichen Kreis drehen, sieht Bogner nur einen Weg zur echten Erneuerung. Die Bischöfe müssen kalkulierte Grenzverletzungen begehen. Man könnte auch sagen: Sie müssen die Handbremse lösen und einfach machen.

Der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Reményi.
Der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Reményi.

Auch der Würzburger Fundamentaltheologe Matthias Reményi glaubt, dass Veränderung nur mittels kalkulierter, wohl platzierter Regelbrüche erreicht werden kann.

Regelbrüche, aus denen Segen erwächst

In einem Gastkommentar für das Online-Portal «Kirche und Leben» schreibt er: «Wir brauchen Regelbrüche, damit Neues in der Kirche entstehen kann. Aktionen wie «#OutInChurch» oder «Liebe gewinnt», aber auch Laien- und vor allem Frauenpredigten sowie ökumenische Mahlfeiern sind solche Regelbrüche, aus denen Segen erwächst.»

Regelbrüche, aus denen Segen hervorgeht: Out in Church beim Katholischen Medienpreis 2022 in Bonn.
Regelbrüche, aus denen Segen hervorgeht: Out in Church beim Katholischen Medienpreis 2022 in Bonn.

Reményi ist überzeugt, dass veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu einer Veränderung der kirchlichen Praxis führen. Der Theologe spricht vom Theorie-Praxis-Zirkel. Damit meint Reményi, dass eine «amtskirchliche Normsetzung» erst formuliert wird, nachdem die gesellschaftliche Praxis bereits etabliert ist.

Beide Theologen fordern – auf unterschiedliche Art – von Kirchenreformern und -reformerinnen, neue Praxen zu etablieren, in der Hoffnung, dass die Amtskirche dann nachziehen wird. Wo Bogner abstrakt von «kalkulierter Grenzverletzung» spricht, verweist Reményi auf konkrete Vorbilder.

Von Klima- zu Kirchen-Klebern?

Für Reményi hat der zivile Ungehorsam der Klimaaktivisten Vorbildcharakter. Diese begingen punktuelle, kalkulierte Regelbrüche. Ihre Motivation sei aber nicht die Zerstörung von Recht, sondern gerade dessen Wiederherstellung angesichts grosser Missstände. Genau das brauche es auch in der Kirche, findet Reményi.

Eine Protestaktion der Letzten Generation.
Eine Protestaktion der Letzten Generation.

Die Aufsätze der beiden Theologen sind zeitnah, aber unabhängig voneinander erschienen. Gerade deshalb ist ihr Konsens interessant. Bogner und Reményi sind überzeugt: ohne kalkulierte Regelbrüche keine Veränderung. Personell zugespitzt könnte man sagen: ohne Monika Schmids überall nur Georg Gänsweins.

Auf Fotos von Felix Gmür und Georg Bätzing, die sich aus Protest gegen Rom vor ihre Kathedralen in Solothurn und Limburg kleben, wird man wohl vergebens warten. Aber vielleicht funktioniert der Theorie-Praxis-Zirkel ja auch umgekehrt: Theologen ermutigen schriftlich und Bischöfe wagen den kalkulierten Regelbruch.


Der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner sieht die Reformfähigkeit der Kirche kritisch. | © Walter Ludin
31. Mai 2023 | 17:15
Lesezeit: ca. 3 Min.
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