Bischof Johannes Vonderach von Chur, Mitte, eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72.
Schweiz

Frauenpriestertum und Krankensalbung für psychisch Kranke: Sieben überraschende Fakten zur Synode 72

Der Churer Bischof Joseph Bonnemain erhofft sich vom synodalen Prozess «Wagemut». Verglichen mit den Forderungen der Synode 72 wirkt der aktuelle synodale Prozess wenig wagemutig. Denn schon vor 50 Jahren gab es den Wunsch nach dem Frauenpriestertum. Die Forderung nach einer Krankensalbung für psychisch Kranke erschien damals spektakulär.

Annalena Müller

Zwischen 1972 und 1975 tagte die Synode 72 in der Schweiz. Wie in den Niederlanden zuvor, war das Ziel, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils mit Blick auf die konkreten Verhältnisse der Schweiz zu verwirklichen. Ausserdem sollten drängende gesellschaftliche Fragen beantwortet werden. 50 Jahre nach der Synode 72 und zwei Wochen vor Prag mutet vieles von damals überraschend modern an.

Schweizer Vielfalt

Die Struktur der Synode 72 war durch und durch schweizerisch. Um der dezentralen Kirchenorganisation in der Schweiz Rechnung zu tragen, wurde die Synode 72 gesamtschweizerisch vorbereitet. Sie wurde in allen Schweizer Bistümern und Territorialabteien gleichzeitig, aber getrennt durchgeführt. Über die gesamtschweizerischen Beschlüsse wurde in sechs Ausgleichssitzungen in Bern entschieden.

Basisdemokratisch

Die Themenwahl verlief basisdemokratisch. Zur Vorbereitung der Synode wurden die Katholikinnen und Katholiken der Schweiz befragt. Sie konnten anonym Feedback zu sieben Problemkreisen geben, diese nach Bedeutung gewichten sowie weitere benennen. Jede vierte Katholikin und jeder vierte Katholik beteiligte sich an der Umfrage, wobei Frauen mit 57 Prozent den grössten Anteil der Antwortenden ausmachten. Mit 17.3 Prozent der Stimmen wurde das Thema «Ehe und Familie im Wandel der Gesellschaft» von den Gläubigen als drängendster Fragenkomplex angesehen.

Nur Priester dürfen das Sakrament der Krankensalbung spenden.
Nur Priester dürfen das Sakrament der Krankensalbung spenden.

Relativierung durch die Massenmedien

Die vergleichsweise neuen Massenmedien Radio und Fernsehen waren ein wichtiges Synodenthema. Das Phänomen, nur eine Instanz unter vielen zu sein, war für die Synodalinnen und Synodalen gewöhnungsbedürftig. Die Basler Synode bemerkte hierzu, dass die Kirche durch die Nutzung von Radio und Fernsehen ihren «traditionellen Eigenraum» verlasse. Aus St. Gallen hiess es, dass die Kirche in der Öffentlichkeit nur eine « Instanz unter zahlreichen anderen [sei]. Das heisst: Sie kann nicht mit der gleichen Autorität sprechen und nicht die gleiche Glaubwürdigkeit erwarten wie im eigenen Kreis.»

Krankensalbung auch für psychisch Kranke

Die Synoden der drei Deutschschweizer Bistümer beschäftigten sich mit Personenkreisen, denen die Krankensalbung gespendet werden kann. Die Synodalinnen und Synodalen sahen die Krankensalbung auch im Kontext von psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen als Möglichkeit. Damit gehen die Texte der Synode 72 deutlich über die Beschlüsse der Konzilväter des II. Vaticanums hinaus. Laut Einschätzung der Liturgie-Professorin Birgit Jeggle-Merz ist dieses Verständnis von Erkrankung einzigartig im Umfeld kirchenamtlicher Veröffentlichungen.

Christkatholische Eucharistiefeier mit einer Priesterin.
Christkatholische Eucharistiefeier mit einer Priesterin.

Ein Ja zur Frauenordination

Die Diözesansynode von Basel nahm die Möglichkeit der Priesterweihe für Frauen ausdrücklich an! So heisst es in Abschnitt: 3.6.5. des Kommissionsberichtes:

«Zahlreich sind die Frauen, die einen kirchlichen Dienst ausüben. Zur Zeit ist ihnen die Türe zur Weihe verschlossen. Die Texte der frühen Kirche weisen darauf hin, dass damals Frauen zu einem diakonalen Dienst geweiht wurden. Doch ist es eine feststehende Tradition in der Geschichte der Kirche, dass sie nicht zum Priester geweiht werden. Heute stellt sich die Frage, wo die Gründe für dieses Verhalten der Kirche liegen. Geht es um Motive, die mit der psychologischen Eigenart der Frau zusammenhangen oder um dogmatische Gründe? Oder handelt es sich einfach um eine Folge daraus, dass der Frau in der Gesellschaft ein bestimmter Platz zugewiesen worden ist (und immer noch wird)? Es gibt Frauen, die fähig sind, Aufgaben zu erfüllen, die dem priesterlichen Dienst entsprechen. Auch äussern Frauen ausdrücklich den Wunsch, die Priesterweihe zu empfangen.»

Ein (bedingtes) Ja zur Empfängnisverhütung

Die Synode 72 positionierte sich de facto gegen die Enzyklika «Humanae vitae» (1968), die den ehelichen Geschlechtsverkehr untrennbar an Fortpflanzung knüpft. Die Schweizer Synodalen überliessen diese Entscheidung dem Ehepaar. So heisst es im Text der Basler Synode: «Ist die Zeugung eines Kindes zeitweilig oder für immer unverantwortbar, entscheiden die Ehegatten in ihrem christlich gebildeten Gewissen über die Methode der Empfängnisverhütung.» Enthaltsamkeit wird auch bei beendetem Kinderwunsch nicht verlangt.

Priesterweihe der traditionalistischen Piusbruderschaft in Ecône VS.
Priesterweihe der traditionalistischen Piusbruderschaft in Ecône VS.

Nein zur Modernisierung: Die Gründung der Piusbruderschaft 1970

Damals wie heute gab es auch Widerstand gegen die kirchliche Modernisierung. 1970 gründete Marcel Lefebvre (1905–1991) die fundamentalistische Piusbruderschaft in der Schweiz. Lefebvre lehnte die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils ab, besonders in der Frage der Liturgie, der Religionsfreiheit und der Ökumene. Er sah darin «eine verspätete und deswegen nicht minder schlimme Rehabilitierung der Französischen Revolution mit ihrer gottlosen Trias von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit samt ihren Folgeerscheinungen». Mit seiner ablehnenden Haltung und seinem Festhalten an der tridentinischen Liturgie steuerte Lefebvre auf ein Schisma zu, welches 1976 Wirklichkeit wurde: Papst Paul VI. suspendierte Lefebvre vom Bischofsamt. Trotzdem haben sich die Piusbrüder halten können – und nach wie vor befindet sich in der Schweiz ihre Zentrale.

Salvatore Loiero, François-Xavier Amherdt, Mariano Delgado (Hrsg.): Synode 72 – im Heute gelesen. Le Synode 72 – relu aujourd’hui. Praktische Theologie im Dialog, Band 60. Basel: Schwabe-Verlag 2023.


Bischof Johannes Vonderach von Chur, Mitte, eröffnet am 23. September 1972 in Zürich-Witikon die Synode 72. | © Keystone
23. Januar 2023 | 12:44
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!