Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.
Vatikan

Warum der Papst als Personalchef kein Vorbild ist

Papst Franziskus lässt Kardinal Woelki zappeln: Er hat sein Rücktrittsschreiben vorliegen – aber entscheidet nicht. Für den HR-Experten Tobias Heisig (54) sieht vorbildliches Leadership anders aus.

Raphael Rauch

Nehmen wir an, die Kirche wäre ein Unternehmen. Ein Abteilungsleiter ist überfordert, es gibt zig Beschwerden. Warum sollte der CEO den Abteilungsleiter bitten, zu kündigen – die Kündigung dann aber nicht annehmen?

Tobias Heisig*: Genau diese Frage stelle ich mir auch. Wie wir es schon des Öfteren beobachten mussten: Das Vorgehen des Papstes wirkt nicht konsequent. Das fördert Desorientierung und – je nach Lager – Erwartungen, die sich dann als Illusion erwiesen.

Tobias Heisig
Tobias Heisig

Papst Franziskus hat publik gemacht, dass er Kardinal Woelki um ein Rücktrittsschreiben bat. Hat er Woelki damit blossgestellt – nach dem Motto: Nicht mal ein Rücktrittsschreiben kriegt er selbst hin?

Heisig: Dass Führungskräfte gebeten werden, selbst zu kündigen, ist durchaus nicht ungewöhnlich. Es geht dabei darum, Auswege zu finden, die gesichtswahrend sind. Somit bedeutet die Aufforderung nicht unbedingt, dass der Papst mit Woelki unzufrieden ist. Auch müssen Beschwerden nicht per se schlechte Führung bedeuten, zum Beispiel im Kontext einer Sanierung. Es kann aber eine Situation entstehen, in der ein Verbleib in der Position nicht länger sinnvoll ist. Dann sollte die obere Führungsebene ein Ausstiegsszenario suchen. Unüblich ist es jedoch, dies publik zu machen. Ich denke, der Papst schadet sich dabei mehr selbst als Woelki, weil eben nicht klar wird, wo er hinwill.

«Der Druck, der aus der Realität kommt, ist nicht zu leugnen.»

Papst Franziskus hat bislang Woelkis Rücktritt nicht angenommen. Und zwar mit der Begründung, er wolle nicht, dass Druck ausgeübt werde. Überzeugt Sie das?

Heisig: Überhaupt nicht. Der Druck, der aus der Realität kommt, ist ja längst maximal und nicht zu leugnen. So wirkt das Vorgehen so, als wolle man sich aus der Verantwortung stehlen, in dem man sich der Realität nicht stellt und nicht miteinander ins Gespräch kommt.

Die neuen Kardinäle bei Papst Franziskus und Benedikt XVI.
Die neuen Kardinäle bei Papst Franziskus und Benedikt XVI.

Das Erzbistum Köln kommt nicht zur Ruhe. Müsste der Papst nicht endlich handeln – und Woelkis Rücktritt annehmen?

Heisig: Doch.

Und müsste Woelki nicht auf den Tisch hauen und den Papst so lange belagern, bis der Papst den Rücktritt annimmt?

Heisig: Ja. Hoffentlich tut er das.

Bischöfe und Kardinäle beim Gottesdienst zur Jugendsynode 2018
Bischöfe und Kardinäle beim Gottesdienst zur Jugendsynode 2018

Was macht einen guten Bischof aus?

Heisig: Bischöfe müssen Teamplayer sein, sie müssen kooperieren, sie müssen sich stärken lassen. Sie müssen das können, sie müssen das aber auch dürfen. Wenn Bischöfe nicht selbst Empathie, Geborgenheit und Rückhalt von anderen Menschen erfahren, wie sollen sie dann empathisch für die Menschen sein? Und Bischöfe müssen dafür sorgen, dass andere Empathie erfahren dürfen. Dazu gehört konkret: in der Diözese Verantwortung zu übertragen, Selbstorganisation auszubauen, zu dezentralisieren und Manöver im Grenzbereich wie Predigten von Frauen oder Zölibatsverstösse als brauchbare Illegalität mutig mitzutragen. Nur so kann Kooperation entstehen und nur so können Bischöfe selbst Ermutigung und Neues erfahren.

Papst Franzikus trägt einen Helm während seines Besuches in L'Aquila (Italien) am 28. August 2022.
Papst Franzikus trägt einen Helm während seines Besuches in L'Aquila (Italien) am 28. August 2022.

Im Mai ist ein geheimer Fragebogen fürs Bischofs-Recruiting geleakt worden. Was halten Sie von dem Fragebogen?

Heisig: Methodisch ist zunächst schwierig, dass oft sehr abstrakte Begriffe verwendet werden, die sehr unterschiedlich interpretiert werden können: «verantwortungsbewusst, höflich, aufrichtig…» Die Personenbeschreibung erfolgt damit sehr subjektiv. Geschlossene Fragen – etwa: «Ist er aufmerksam für die Bedürfnisse der Menschen? Ja oder Nein?» – lassen keine differenzierte Antwort, beispielsweise anhand einer Skala zu. 

«Kein professioneller Beitrag für eine objektivierte Personalauswahl.»

Welche Fragen vermissen Sie?

Heisig: Hilfreich wären sogenannte Verhaltensanker. Also eine Beschreibung des beobachtbaren Verhaltens wie zum Beispiel «Aufmerksamkeit» gegenüber Dritten. Doch solche Fragen fehlen. Einen professionellen Beitrag für eine objektivierte Personalauswahl kann der Fragebogen so nicht leisten. Vielleicht geht es aber auch gar nicht darum – sondern eher um die Sammlung von Material für einen Bericht an den Papst oder um erste Empfehlungen zu möglichen Führungskräften.

Papst Franziskus setzt Robert Walter McElroy (r.), Bischof von San Diego (USA),das Birett aus beim Konsistorium am 27. August 2022 im Petersdom im Vatikan.
Papst Franziskus setzt Robert Walter McElroy (r.), Bischof von San Diego (USA),das Birett aus beim Konsistorium am 27. August 2022 im Petersdom im Vatikan.

Was fehlt Ihnen noch?

Heisig: Im Fragenkatalog steht nichts Inhaltliches à la «von den Rändern her denken». Sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Strasse zu begeben. Hin zu den normalen Menschen. Nicht, um ihnen etwas zu geben, sondern um sich von ihnen beschenken zu lassen. Dadurch entstehen besondere Momente – Gottes Geist wird gerade auf fremdem Terrain erfahrbar. Das gibt Kraft.

«Bei der Befragung kann alles behauptet werden.»

Könnten die Fragebogen Vetternwirtschaft fördern – indem bestimmte Kandidaten hochgelobt werden? Und andere schlecht gemacht werden?

Heisig: Auf jeden Fall sind sie eine Einladung zu Intrigenprozessen. Letztlich kann bei der Befragung alles behauptet werden. Repräsentativ ist das nicht. Und Vieles davon ist kaum nachprüfbar. Offen bleibt auch, ob der Betreffende überhaupt über das Vorgehen informiert ist.

Helmut Dieser, Bischof von Aachen.
Helmut Dieser, Bischof von Aachen.

«Ich möchte nicht immer der Bad Guy sein», sagte der Bischof von Aachen, Helmut Dieser, auf dem Katholikentag in Stuttgart. Sollte der Katalog auch nach der Frustrationstoleranz fragen?

Heisig: Viele Bischöfe sind von ihrem Amt überfordert. Die jüngste Geschichte zeigt, dass es kaum gelingen kann, kirchliche Anforderungen wie ein lebendiges Abbild Christi zu sein und die widerstreitenden Erwartungen der Kirchenmitglieder zu erfüllen. Progressive stehen Konservativen gegenüber. Hinzu kommt die breite Öffentlichkeit, die ein katastrophales Image von der Kirche hat. Unter diesem Druck kann sich ein gesundes Leadership nicht entfalten. Man kann unter den gegebenen Bedingungen fast nur verlieren.

«Die Kandidaten müssen nicht alle aufgelisteten Anforderungen erfüllen. Das wäre sakramententheologisch eine Häresie.»

Sie coachen Führungskräfte und haben Theologie studiert. Wie sehen Sie den Fragenkatalog unter theologischen Gesichtspunkten?

Heisig: Die Bischofsweihe ist die höchste der drei Stufen des Weihesakraments. Ein Bischof steht über dem Priester und dem Diakon. Beim Lesen des Fragenkatalogs entsteht der Eindruck, als sollten die Kandidaten die dort aufgelisteten Anforderungen alle erfüllen, um der Gnade des Weihesakraments teilhaftig zu werden. Dies wäre sakramententheologisch eine Häresie. 

Kurienkardinal Kurt Koch weiht Joseph Bonnemain zum Bischof.
Kurienkardinal Kurt Koch weiht Joseph Bonnemain zum Bischof.

Warum?

Heisig: Menschen werden hier gnadenlos in den Dienst genommen. Dagegen ist das bischöfliche Weiheamt ein Gnadengeschenk. Gott gibt die Kraft dazu. Die Gnade steht am Anfang und ist nicht das Resultat irgendeiner Leistung. Indem Petrus sich von Jesus die Füsse waschen lässt, hat er Anteil an Christus. Jedem priesterlichen Dienst geht das gnadenhafte Tun Christi voraus. Petrus wäre bei dem Fragebogen wohl eher nicht durchgekommen – begnadet war er aber.

«Die eigene Ordination darf nicht zur Rechtfertigung der Subordination der Gläubigen werden.»

Wie kann Machtmissbrauch verhindert werden?

Heisig: Leitung und Geistlichkeit kommen im priesterlichen Bischofsamt zusammen. Aber man muss die geistliche Leitung durch professionelle Kompetenzmodelle hinterfragen. Geschieht dies nicht, kann Machtmissbrauch beginnen. Dann wird die eigene Ordination zur Rechtfertigung der Subordination der Gläubigen. Unterwerfung, Erniedrigung und Vergegenständlichung herrschen dann vor, statt eine aufrichtende, befreiende und beziehungsstiftende Macht.

Baustellenschild am Genfersee
Baustellenschild am Genfersee

Wie müsste die katholische Kirche umorganisiert werden?

Heisig: Die Kirche braucht neue Strukturen und eine radikale Veränderung der institutionellen Wirklichkeit. Das beginnt bei den Rechtsstrukturen, die den heutigen Anforderungen entsprechen müssen: beim Arbeitsrecht, bei der Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative. Wir brauchen mehr Demokratie in der Kirche. Das betrifft aber auch eine Kultur, in der die Menschen gleich sind – ohne Über- und Unterordnung. In diesem Sinne bräuchten Bischöfe Change- und Transformationskompetenz. Dabei geht es Handeln. Gegenwärtig wird ja das Zuhören gerne betont. Ich denke dagegen, dass wir endlich ins Tun kommen müssen, damit Kirche weltweit nicht immer mehr zerstört wird. Das im Rahmen der geistlichen Leitung zu lernen, wäre höchst dringlich. Im Fragebogen ist das leider Fehlanzeige. 

«Nur wenn wir Schritte ins Unbekannte wagen, werden neue Wege entstehen.»

Macht Ihnen der synodale Prozess Hoffnung?

Heisig: Hoffnung worauf? Auf substanzielle Veränderungen? Da bin ich eher verhalten. Für mich stellt sich eher die Frage, was ich jetzt unterstützen möchte. Und was ich auch ganz konkret in meiner Gemeinde vor Ort tun möchte. Die aktuellen Reformdiskussionen sind auch eine Gelegenheit, uns gegenseitig Mut zu machen, Gott mehr zuzutrauen und vor Ort Konkretes zu tun. Dabei gilt: Nur wenn wir Schritte ins Unbekannte wagen, werden neue Wege entstehen.

* Tobias Heisig (54) ist promovierter Theologe und Psychologe. Er ist Geschäftsführer der CIRCLE2 GmbH in Tübingen und coacht Führungskräfte. Kürzlich erschien von ihm das Buch «33 Mutausbrüche: für mehr Glaube im Alltag» im  Vier-Türme-Verlag.


Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022. | © Keystone
29. August 2022 | 06:26
Lesezeit: ca. 6 Min.
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