Urs Corradini, Diakon Schüpfheim
Schweiz

Urs Corradini: «So geht katholisch nicht»

Als einzige Fraktion hat das Obere Entlebuch die finanziellen Zwangsmassnahmen gegen das Bistum Basel abgelehnt. Urs Corradini hält den Entscheid der Luzerner Synode für unkatholisch. Sie «macht den Bischof zum Befehlsempfänger einer Synode». Den Eindruck zu erwecken, «der Bischof hätte noch nichts gegen Missbräuche unternommen, wird weiteres Misstrauen» schüren, sagt der Diakon.

Annalena Müller

Herr Corradini, die Fraktion Entlebuch, der Sie angehören, war gegen finanzielle Zwangsmassnahmen durch die Synode der Luzerner Landeskirche. Warum?

Urs Corradini*: Damit ein Bistum funktioniert, braucht die Bistumsleitung eine geklärte Finanzierung. Man muss sich das mal konkret vorstellen: Wenn jeder der zehn Bistumskantone seine Zahlungen an Bedingungen knüpfen würde, wäre Bischof Felix nicht mehr handlungsfähig.

Muss Bischof Felix Gmür um Gelder aus Luzern bangen?
Muss Bischof Felix Gmür um Gelder aus Luzern bangen?

Was genau hat die Synode beschlossen?

Corradini: Die Synode hat über zwei Motionen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle diskutiert und abgestimmt. Eine der beiden wurde angenommen. Darin wird der Synodalrat verpflichtet, fünf Forderungen an den Bischof zu überweisen…

… um welche Forderungen handelt es sich?

Corradini: Die Motion fordert, dass Untersuchungen gemeldeter Missbrauchsfälle extern, also nicht-kirchlich, untersucht werden. Ausserdem wird eine unabhängige Meldestelle mit Kontrollfunktion gefordert, sowie ein Ende der Aktenvernichtung und die Öffnung der Nuntiatur-Archive in Bern. Der fünfte Punkt ist die Umsetzung der Massnahmen der RKZ. Von der Erfüllung der Forderungen wird die Überweisung der Hälfte des Bistumsbeitrags abhängig gemacht.

«Ich habe nicht mit einer so hohen Zustimmung gerechnet.»

Um wieviel Geld geht es genau?

Corradini: Der Bistumsbeitrag der Landeskirche Luzern beläuft sich 2024 auf 884’500 Franken. Der Beitrag wird üblicherweise in zwei Tranchen ausgezahlt. Die erste Tranche wird ganz normal überwiesen. Aber bei der zweiten Tranche, also bei 442’250 Franken, wurde ein Vorbehalt festgehalten.

Die Motion wurde mit 76 zu 12 Stimmen deutlich angenommen – haben Sie mit diesem klaren Ergebnis gerechnet?

Corradini: Nein, ich habe nicht mit einer so hohen Zustimmung gerechnet.

Synodale der Luzerner Landeskirche durschreiten das Spalier.
Synodale der Luzerner Landeskirche durschreiten das Spalier.

Sie gehören zu den Gegnern der Zwangsmassnahmen. In Ihrem Redebeitrag sagten Sie, dass Sie Bischof Felix Gmür vertrauen. Worauf gründet sich Ihr Vertrauen?

Corradini: Abgesehen davon, dass ich Bischof Felix seit Jahren kenne und sehr gut mit ihm zusammenarbeite, stellt die Pilotstudie unserem Bistum ein gutes Zeugnis aus, etwa was die Archivarbeit und die bereits vor 20 Jahren eingeführten Präventionsmassnahmen betrifft. Letzteres hat kürzlich auch eine externe Fachperson für Prävention bei einem Sensibilisierungskurs unterstrichen. Ausserdem bietet unser Bischof für weitere Optimierungen die Hand. Das hat Bischof Felix Anfang letzter Woche in einer Medienmitteilung nochmals unterstrichen…

…Sie beziehen sich auf die Mitteilung des Bistums Basel, dass gemeldete Missbrauchsfälle künftig von einer Anwaltskanzlei untersucht werden…

Corradini: Genau.

Damit ist eine der fünf Forderungen der Synode bereits erfüllt. Gleiches gilt für die Forderung nach Ende der Aktenvernichtung. An der Meldestelle wird gearbeitet und für die Öffnung der Archive setzt sich Bischof Felix Gmür ein. Ist der «Paukenschlag» der Synode also nur ein Sturm im Wasserglas?

Corradini: Ja. Ich hoffe, dass sich die Aufregung bald wieder legt.

«Kirche funktioniert in unserem dualen System nur partnerschaftlich oder gar nicht.»

Das Misstrauen sitzt bei vielen Gläubigen tief. Können Sie verstehen, woher dieses Misstrauen kommt?

Corradini: Einzelne Voten an der Synode und vor allem bei Begleitveranstaltungen haben mir gezeigt, dass es nicht wirklich um Prävention und Gerechtigkeit für Opfer geht, sondern vor allem um Reformanliegen, die von vielen schon lange gewünscht werden. Hier liegt ein wichtiger Grund für die Enttäuschung vieler Gläubiger. Wenn dann noch einige Interventionen den Eindruck erwecken, der Bischof hätte noch nichts gegen Missbräuche unternommen, was nachweislich falsch ist, wird weiteres Misstrauen geschürt.

Verstehe ich Sie richtig, der Beschluss der Synode verstärkt Ihrer Meinung nach das Misstrauen gegen den Bischof?

Corradini: Ja, das tut er. Und er pervertiert das System. Kirche funktioniert in unserem dualen System nur partnerschaftlich oder gar nicht. Dem Bischof mit dem Entzug von Mitteln zu drohen, sollte er bestimmte Forderungen nicht erfüllen, macht den Bischof zum Befehlsempfänger einer Synode. So geht katholische Kirche nicht, schon gar nicht, wenn sie synodal sein will.

Landschaft im Entlebuch
Landschaft im Entlebuch

Was wäre Ihrer Meinung nach ein besserer Ansatz als anzudrohen, Gelder zu streichen?

Corradini: Den Dialog zu suchen. Die Fraktion Entlebuch hat in ihrer Motion vorgeschlagen, die Forderungen aufzunehmen und im Gespräch mit dem Bischof nach Umsetzungsmöglichkeiten zu suchen. Dazu gibt es geeignete Gesprächsforen der zehn Bistumskantone zusammen mit der Bistumsleitung. Das wäre der bessere Weg.

Die nun angenommene Motion wurde von Kirchgemeinden eingebracht, die mit dem Einhalten von Geldern die Kirchenaustrittswelle nach Veröffentlichung der Pilotstudie brechen konnten. Haben Sie im Pastoralraum Oberes Entlebuch auch eine Austrittswelle erlebt?

Corradini: Das ist unterschiedlich. In mehreren Kirchgemeinden haben wir viele Kirchenaustritte zur Kenntnis nehmen müssen. In anderen gab es kaum Austritte. Für mich ist es wichtig zu ergänzen, dass wir bisher kaum Austritte von engagierten Kirchenmitgliedern und Kirchgängern und Kirchgängerinnen entgegennehmen mussten.

Wie reagieren Sie in den Kirchgemeinden, in denen es viele Austritte gab?

Corradini: Wir fühlen uns machtlos. Die wenigsten Austretenden nennen einen Grund und die meisten verweigern ein Gespräch. Da können wir nicht viel machen, ausser unser Bedauern auszudrücken. Wir schreiben den Austretenden, dass wir im Bereich Missbrauchsprävention seit Jahren nach klaren Standards arbeiten, falls dies der Grund für den Austritt sein sollte. Zudem legen wir den Flyer «Kirchensteuern sei Dank» bei, der über das breite Engagement der Kirchen informiert.

*Urs Corradini (54) ist Diakon und Pastoralraumleiter im Oberen Entlebuch. Er war «Wort zum Sonntag»-Sprecher und Armeeseelsorger. 2008 erschien seine Dissertation «Pastorale Dienste im Bistum Basel: Entwicklung und theologische Konzeption nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil».

Text wurde am 13.11. um 22:44 geändert. In der ursprünglichen Version war nur von vier Forderung die Rede. Es sind aber fünf. Die fünfte Forderung wurde ergänzt.


Urs Corradini, Diakon Schüpfheim | © Bistum Basel
13. November 2023 | 17:00
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