Rudolf Michael Vogel
Schweiz

Synode 72, Überfall mit russischen Handschellen: Pfarrer Ruedi Vogel hat viel erlebt

«Ich dachte, jetzt ist alles aus», sagte der Luzerner Pfarrer Ruedi Vogel über den Aschermittwoch 1998. Polnische Verbrecher überfielen ihn im Pfarrhaus und fesselten ihn mit russischen Handschellen. Noch Jahre später litt er an den Folgen des Überfalls. Geholfen hat ihm sein Humor. Im Alter von 86 Jahren ist der beliebte Seelsorger gestorben.

Annalena Müller

Vor knapp 50 Jahren, am 24. November 1974, zerriss «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein persönlich Hans Küngs Buch «Christ sein». Augstein machte sich nicht nur über Küngs Thesen, sondern auch über Küngs Person lustig: «Mit der römischen Kurie rangeln, das bringt Unannehmlichkeiten mit sich, ist aber auch amüsant und nicht mehr sonderlich gefahrvoll», giftete der Hamburger Journalist. «Küng erkennt das selbst: Man bekommt aus Rom ‘statt Hilfe Rückenschüsse – nur früher waren sie tödlich’. Warte nur, du wirst auch noch seliggesprochen.» 

Ruedi Vogel kontert Rudolf Augstein mit einem Zweizeiler

Augsteins vergiftetes Lob endete mit dem Schlusssatz: «The Küng (so er seinen Verstand nur zur höheren Ehre der Kirche gebrauchen will) can do no wrong.» Bei Hans-Küng-Fans wie Ruedi Vogel kam Augsteins Verriss überhaupt nicht gut an. Er konterte mit einem Leserbrief: «Die theologische Argumentation Augsteins kann mich nicht überzeugen. Dafür imponieren mir seine Englischkenntnisse immer mehr.»

Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.
Ein seltenes Bild aus der Konzilszeit: Joseph Ratzinger (ganz links) und Hans Küng (rechts). Ivo Fürer war beim Konzil als Berater dabei.

Diese zwei Zeilen bringen auf den Punkt, wie Ruedi Vogel tickte. Sein Horizont endete nicht am Vierwaldstättersee, sondern er dachte gross. Rudolf Augstein würde wohl sagen: «think big». Ruedi Vogel war katholisch im besten Sinne – mit der Tradition verwurzelt, aber bereit für Neues. Und er wusste, dass Ironie und Humor besser entwaffnen als jedes Argument.

Er engagierte sich für die Synode 72

Ruedi Vogel zählt zu den Priestern, die die Schweiz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mitgeprägt haben. Sein Herz schlug für die Synode 72. Wie der frisch erschienene Sammelband zur Synode 72 zeigt, machten sich die Synodalen schon vor über 50 Jahren fürs Frauenpriestertum stark und die Möglichkeit, dass auch Nicht-Priester das Sakrament der Krankensalbung spenden können. Getan hat sich seither wenig. Doch trotz aller Enttäuschungen blieb Ruedi Vogel unverzagt. Humor hilft.

Diakon Urs Corradini
Diakon Urs Corradini

Zuletzt hat Diakon Urs Corradini eng mit Ruedi Vogel zusammengearbeitet. Beim Requiem am 10. Februar erinnerte Urs Corradini daran, dass der Verstorbene bei der Synode 72 die Sektion «Glaube und Glaubensverkündung» der Synode 72 geleitet habe. «Ruedi Vogel gehörte nicht zu den Verbitterten», sagte Urs Corradini. Auch wenn sich viele Erwartungen der Synode nicht erfüllt haben: Ruedi Vogel sei mit sich und der Kirche im Reinen gewesen und habe sich vor allem als Seelsorger verstanden.

Überfall am Aschermittwoch

Wie die Churer Dogmatikerin Eva-Maria Faber im Sammelband zur Synode 72 nachzeichnet, beschäftigte sich die Sektion «Glaube und Glaubensverkündung» mit dem «Aggiornamento», der «Verheutigung». Den Mitgliedern der Synode sei es darum gegangen, den Glauben in einen Dialog mit den Wissenschaften zu bringen. Eine Antwort darauf sollte eine bessere und zeitgemässere Kommunikation sein. Dazu gehörten auch gute, zeitgemässe Predigten.

Der Maihof in Luzern.
Der Maihof in Luzern.

1998 wurde Ruedi Vogel über Kirchenkreise hinaus bekannt. Ausgerechnet am Aschermittwoch 1998, als Ruedi Vogel vom Monstercorso zurückkehrte, dem traditionellen Abschluss der Luzerner Fastnacht, überfielen ihn zwei polnische Verbrecher. Sie bedrohten ihn mit einer Pistole, legten Handschellen an und zwangen ihn, den Tresor zu öffnen. 

Der «Blick» berichtete über Ruedi Vogel

«Wie ein Fisch auf dem Trockenen robbte ich zum Schrank und öffnete ihn», sagte Ruedi Vogel später dem «Blick». «Dann stiessen sie mir ein Handtuch in den Mund und verschnürten mich mit breiten Klebebändern. Schliesslich schleppten sie mich in den Keller. Ich dachte, jetzt ist alles aus.»

Aus dem "Blick" vom 11. Mai 1998.
Aus dem "Blick" vom 11. Mai 1998.

Erst am nächsten Morgen, etwa zehn Stunden später, fand ihn eine Mitarbeiterin. «Rudolf Vogel muss für zehn Tage ins Spital: wegen Unterkühlung und Blutergüssen an seinen Händen und Füssen», berichtete der «Blick». Die Banditen flohen mit mehreren tausend Franken Bargeld in den Jura, wo sie später gefasst wurden. 

Haushälterin: «Das war eine schlimme Sache»

Ruedi Vogel trug bleibende gesundheitliche Schäden davon, wie seine Haushälterin, Marie-Theres Schöpfer (80), gegenüber kath.ch berichtet. Sie erinnert sich noch an viele Details – etwa die «russischen Handschellen», die dem Pfarrer Schmerzen zufügten. Doch trotz der traumatischen Erfahrung führte Vogel auch an seiner neuen Wirkungsstätte ein offenes Pfarrhaus. 

Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.
Synode 72 in Bern: Es wird über Frauenordination, Laienpredigt und Empfängnisverhütung diskutiert.

Marie-Theres Schöpfer erzählt kath.ch, dass sie noch viele Jahre lang «den Ruedi» gewarnt habe, wenn sie in den Keller oder den Estrich gegangen ist. Damit ihn das Knarren der Holztreppen nicht erschreckte: «Das war eine schlimme Sache. Aber er war eine starke Persönlichkeit.»

Erst Solothurn, dann Luzern

Ruedi Vogel wurde 1936 in Basel geboren. Nach der Matura studierte er Philosophie und Theologie in Freiburg im Breisgau, Rom und Luzern, wo er später auch seelsorgerisch tätig war. 1961 folgen Priesterweihe und Vikariatszeit in Gerliswil LU. 1967 kam er nach Solothurn – zunächst als Kaplan, 1969 wurde er Pfarrer. 

«Hier pflegte er ein gastfreundliches Pfarrhaus in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanum», sagte Diakon Urs Corradini während des Requiems für Ruedi Vogel am 10. Februar. Anfang 1986 übernahm Vogel die Pfarrei Josef-Maihof in Luzern. Zwischen 1998 und seiner Pensionierung im Jahr 2013 wirkte Vogel als Seelsorger in der Pfarrei Escholzmatt LU.

«Er war einfach ein super Mensch»

Urs Corradini, der Pastoralraumleiter in Escholzmatt, beschreibt Ruedi Vogel als humorvollen Menschen, der bis ins hohe Alter sehr aktiv und belesen war. Auch nach seiner Pensionierung war er als Seelsorger engagiert. In den letzten Jahren gestaltete Diakon Urs Corradini die Gottesdienste, Ruedi Vogel stand den Eucharistiefeiern vor.  Das Duo war ein eingespieltes Team – bis 2022 Ruedi Vogels Kräfte nachliessen und er ins Pflegeheim zog. Auch hierhin hat ihn Marie-Theres Schöpfer begleitet.

Am 4. Februar ist Ruedi Vogel im Alter von 86 Jahren gestorben. Die letzten 48 Stunden seines Lebens war sie an seiner Seite. Am Telefon sagt Marie-Theres Schöpfer sichtlich bewegt: «Ich vermisse den Ruedi. Aber ich bin so dankbar für seine Seelsorge und für seine Offenheit. Er war einfach ein super Mensch.»


Rudolf Michael Vogel | © zVg
14. Februar 2023 | 15:57
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!