Papst Franziskus küsst in Kasachstan das Enkolpion von Metropolit Antonij Sevrjuk.
Schweiz

Stefan Kube: Äusserungen des Papstes spiegeln rassistische Stereotypen wider

Bei einer Podiumsdiskussion der Reformierten zu Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird klar: Es wird einsam um Putin und Kyrill. Ein heikler Aspekt bleibt unerwähnt: Papst Franziskus’ jüngste Aussagen über die Tschetschenen und Burjaten. Die seien viel grausamer als die Russen.

Carlo Mertens und Raphael Rauch

Die Haltung der orthodoxen Kirchen zu Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sind divers. Das wird am Dienstagabend in Bern deutlich, wo die Reformierten zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel «Der Krieg in der Ukraine und die Rolle der Kirchen» einladen.

Seit 2012 Leiter des Instituts G2W in Zürich an der Bederstrasse 76: Stefan Kube.
Seit 2012 Leiter des Instituts G2W in Zürich an der Bederstrasse 76: Stefan Kube.

Die Gäste im Polit-Forum waren die orthodoxe Theologin und Politikwissenschaftlerin Natallia Vasilevich, der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Ćilerdžić und der katholische Theologe Stefan Kube, Chefredaktor von «Religion und Gesellschaft in Ost und West».

Grosse Differenzen nicht deutlich

Der reformierte Pfarrer Serge Fornerod moderierte als Leiter der Aussenbeziehungen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) den Abend. Grosse Differenzen werden an diesem Abend nicht deutlich: Die ökumenische Zusammenarbeit ist durch die aggressive Symbiose zwischen dem russischen Präsidenten und dem Moskauer Patriarchen für alle noch komplizierter geworden.

«Russland wird zu einem Bollwerk traditioneller Lebensführung gegen die Propaganda eines unchristlichen Westens erklärt.»

Stefan Kube, Chefredaktor «Religion und Gesellschaft in Ost und West»

Dabei wies Bischof Andrej auf die politische Wandlung des Moskauer Patriarchen Kyrill hin, der in den 1990-Jahren als Aussenamtsleiter der russisch-orthodoxen Kirche gemässigter aufgetreten sei.

Ein Herz und eine Seele:  Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland.
Ein Herz und eine Seele: Wladimir Putin bei einem Treffen mit Patriarch Kirill von Moskau. und ganz Russland.

«Russland wird zu einem Bollwerk traditioneller Lebensführung gegen die Propaganda eines unchristlichen Westens erklärt», sagte Stefan Kube. In dieser Logik ist es laut Kyrill auch theologisch vertretbar, die Werte der Orthodoxie gegen eine angeblich aggressive westliche Propaganda militärisch zu verteidigen – auch ausserhalb der Grenzen der Russischen Föderation.

Diese Theologie führe zu starken politischen Spannungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus, und jenem von Moskau, ergänzte Natallia Vasilevich.

Wie kann der Heilige Stuhl vermitteln?

Die grosse Frage des Abends lautete, wie der Heilige Stuhl und der Weltkirchenrat zwischen den Kriegsparteien vermitteln können. Hier beurteilten Kube und Bischof Andrej die bisherige Diplomatie des Vatikans unterschiedlich. Das berüchtigte Video-Telefonat zwischen Patriarch Kyrill und Papst Franziskus – im Beisein des damaligen Metropoliten Hilarion und des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch – sei kommunikativ problematisch gewesen.

Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.
Video-Konferenz in Rom im März 2022: Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion.

Der Vatikan habe sich dabei von Moskau über den Tisch ziehen lassen, fand Kube. Denn kurz nach dem Video-Telefonat sprach Moskau von einem «hohen Mass an Einigkeit und Verständnis». Der Vatikan liess diese Aussagen zunächst unkommentiert stehen.

«Der Papst hat erst in einem Interview Anfang Mai selbst über den Inhalt des Video-Gespräches gesprochen und kritisiert, dass sich der Patriarch nicht zu Putins Messdiener machen dürfe», kritisiert Kube.

Bischof Andrej verteidigt Papst Franziskus

Bischof Andrej hingegen verteidigte Papst Franziskus. Ein Wechsel von einer eher neutralen zu einer pro-ukrainischen Haltung innerhalb eines halben Jahres sei bei einer so komplexen politischen Situation wie einem Krieg vertretbar. Er erhoffe sich vom Papst eine aktivere Vermittlerrolle. Alle orthodoxen Kirchen sollten sich sofort auf die Seite der Opfer stellen und keine theologische Munition für die Fortsetzung des Krieges liefern, so Bischof Andrej.

Mar Awa III. (l.), Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens, und Papst Franziskus am 19. November 2022 im Vatikan.
Mar Awa III. (l.), Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens, und Papst Franziskus am 19. November 2022 im Vatikan.

Papst Franziskus kritisiert Tschetschenen und Burjaten

«Wenn ich von der Ukraine spreche, spreche ich von einem Volk, das gemartert wird. Wenn es ein gemartertes Volk gibt, dann gibt es auch jemanden, der es martert. Wenn ich über die Ukraine spreche, dann spreche ich über die Grausamkeit, denn ich habe viele Informationen über die Grausamkeit der Truppen, die hierherkommen. Im Allgemeinen sind die Grausamsten vielleicht diejenigen, die zu Russland gehören, aber nicht der russischen Tradition angehören, wie die Tschetschenen, die Burjaten und so weiter. Sicherlich ist der russische Staat derjenige, der einmarschiert. Das ist ganz klar. Manchmal versuche ich, nicht zu spezifizieren, um nicht zu beleidigen, sondern ganz allgemein zu verurteilen, obwohl man genau weiss, wen ich verurteile. Es ist nicht notwendig, dass ich einen Namen und Nachnamen nenne.»

Darauf angesprochen, sagt Stefan Kube zu kath.ch: «Diese Äusserungen des Papstes spiegeln rassistische Stereotypen wider.» Der Chefredaktor von «Religion und Gesellschaft in Ost und West» findet es «höchst problematisch, dass Franziskus Putin als Aggressor nicht beim Namen nennt, aber stattdessen die Tschetschenen und die Burjaten als Sündenbock herhalten müssen».

Mit dieser Rhetorik spiele Franziskus Putin und Kyrill in die Hände, ist Stefan Kube überzeugt. Denn die Tschetschenen seien mehrheitlich muslimisch und die Burjaten mehrheitlich buddhistisch. «So findet ein Othering statt: Die Fremden, nicht-christlichen Gruppen gelten als besonders gefährlich und aggressiv. Das lenkt von der Verantwortung der russischen Staatsführung und der Kirchenleitung der Russischen Orthodoxen Kirche ab», sagt Stefan Kube. Für ihn steht fest: «Papst Franziskus hat mal wieder ein Eigentor geschossen.»


Papst Franziskus küsst in Kasachstan das Enkolpion von Metropolit Antonij Sevrjuk. | © KNA
1. Dezember 2022 | 18:02
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