Der St. Galler Spitalseelsorger Sepp Koller.
Schweiz

Spitalseelsorger: «Viele sind enttäuscht, auch traurig oder wütend»

In den St. Galler Spitälern sollen über die nächsten vier Jahre rund 440 Stellen gestrichen werden. Letzte Woche demonstrierten frustrierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Kantonsspital gegen den massiven Abbau. Dort ist Sepp Koller Spitalseelsorger und meint: «Der Stellenabbau beschäftigt die Menschen und verunsichert sie auch.»

Sarah Stutte

Die St. Galler Spitäler sehen sich gezwungen, massiv Stellen abzubauen. Allein im Kantonsspital sollen verteilt über die Jahre 2023 und 2024 insgesamt rund 260 von aktuell 3’900 Vollzeitstellen gestrichen werden. Welche Bereiche sind dabei betroffen?

Sepp Koller*: Praktisch in allen Bereichen des Kantonsspitals werden Stellen abgebaut werden. Auch das Pflegepersonal wird davon betroffen sein. Wenn immer möglich soll dies über strukturelle Anpassungen, Reduzierungen von Pensen sowie über die natürliche Fluktuation erfolgen. Es wird aber auch Kündigungen geben. Teils wurden solche bereits ausgesprochen.

Was bedeutet das für das verbleibende Personal? Weniger Angestellte, aber nicht weniger Arbeit?

Koller: Vermutlich ist es so, dass die Arbeit gleich bleibt bei weniger Personal. Das kann zu einer grösseren Belastung führen.

«Im Moment führen wir tatsächlich mehr Gespräche mit Angestellten.»

Sprechen Sie deswegen gerade auch vermehrt mit den Angestellten?

Koller: Von unserem Auftrag her sind wir zuständig für Patientinnen und Patienten, für deren Angehörige und für das Personal. Im Moment führen wir aber tatsächlich mehr Gespräche mit einzelnen Angestellten, die mit ihren Problemen zu uns kommen.

Spirituelle Angebote der Spitalseelsorge.
Spirituelle Angebote der Spitalseelsorge.

Das gab es schon einmal während der Corona-Zeit, als sich viele Angestellte an uns wendeten und ist nun wieder der Fall infolge des geplanten Stellenabbaus. Dieser verunsichert natürlich, einigen der Angestellten wurde selbst gekündigt. Auch darüber sprechen wir mit dem Personal.

Was kommt in diesen Gesprächen zutage?

Koller: Viele sind enttäuscht, auch traurig oder wütend. Sie verstehen nicht, dass in der jetzigen Situation keine andere Möglichkeit besteht als Personal abzubauen. Hinter jeder Kündigung steht auch ein Schicksal, ein Mensch mit einer Familie und mit Angehörigen, jede und jeder in einer ganz individuellen Lage. Das beschäftigt diese Menschen und verunsichert sie auch.

«Vielfach schätzen sie, dass sie über ihre Gefühle reden können.»

Wie unterstützen Sie die Angestellten?

Koller: Das Wichtigste ist unser offenes Ohr. Wir zeigen Empathie, können aber keine Stellung beziehen, etwas erklären oder rechtfertigen. Wir nehmen Anteil an der Situation und schauen, wie es um die eigenen Ressourcen steht. Damit diese Menschen mit ihrer schwierigen Lage umgehen können. Vielfach schätzen sie, dass sie über ihre Gefühle und Gedanken reden können und gehört werden.

Ängste sind sicher auch bei den Patientinnen und Patienten zu spüren – wie ist da Ihre Erfahrung bisher?

Koller: Von Patientinnen und Patienten habe ich bisher noch nicht so viel gehört. Einige wurden sicher schon über die Medien informiert. Doch auch dort gibt es Menschen, die nicht ganz verstehen können, warum diese Einsparungen gemacht werden. Andere machen sich Gedanken über das gesamte Gesundheitssystem, das sich momentan in einer schwierigen Lage befindet.

Die Gedanken und Gefühle teilen - die Spitalseelsorgerinnen und -Seelsorger hören zu.
Die Gedanken und Gefühle teilen - die Spitalseelsorgerinnen und -Seelsorger hören zu.

Können auch Spitalseelsorgerinnen und -Seelsorger von einem Stellenabbau betroffen sein?

Koller: In der Regel ist das möglich, aber momentan haben wir hier noch keine Hinweise darauf. Wahrscheinlicher ist, dass vielleicht noch Aufgaben für die Spitalseelsorge dazukommen.

Was wären das für zusätzliche Aufgaben?

Koller: Eventuell, dass sich die Arbeitsbereiche auf die umliegenden Häuser ausweiten und man dort Synergien zusammenlegt. Das ist aber alles noch nicht spruchreif.

«Unser Grundauftrag wäre in dem Sinne nicht mehr machbar.»

Wenn dies aber der Fall wäre, was hätte das für Folgen für die innere Fürsorge von Personal sowie Patientinnen und Patienten? 

Koller: Unser Auftrag ist es, dass wir auch Pikettdienste übernehmen, nachts und am Wochenende – diese leisten wir als Gesamtteam. Wenn es einen Abbau unserer Kapazitäten oder einen grossen Ausbau der Aufgaben geben würde, wäre unser Grundauftrag in dem Sinne nicht mehr machbar.

Auf der Palliativstation
Auf der Palliativstation

Die Spitalseelsorge versucht alle Personen gleichermassen zu unterstützen. Wir sind deshalb froh, dass die Spitäler die Seelsorge ermöglichen, damit wir Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige und die Angestellten ganzheitlich begleiten können. Nebst allen anderen interdisziplinären Diensten, die auch wichtig sind.

«Auch die Politik sollte Ideen einbringen, wie dieses System finanzierbar ist.»

Was wünschen Sie sich persönlich, wie es in der jetzigen Situation weitergeht?

Koller: Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft anders geht. Dass wir unser Gesundheitssystem auf eine gute Basis stellen, ohne dass dabei Personalabbau betrieben werden muss. Dass auch die Politik und andere Involvierte Ideen einbringen, wie dieses System finanzierbar ist. So, dass alle Anspruch auf eine gute Gesundheitsversorgung haben.

*Sepp Koller (54) ist katholischer Spitalseelsorger am Kantonsspital St. Gallen. Zuvor war er rund 20 Jahre Diakon in Gossau SG.


Der St. Galler Spitalseelsorger Sepp Koller. | © zVg
30. Oktober 2023 | 17:05
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!