Papst Franziskus und Victor Manuel Fernandez, Erzbischof von La Plata (Argentinien) 2019.
Theologie konkret

Vom Paukenschlag zur Rückwärtsrolle: So haben Kritiker den «Segen für alle» ausgehebelt

Es schien, als wagte die katholische Kirche eine Anpassung des Lehramts. Aber zweieinhalb Wochen nach Veröffentlichung von «Fiducia supplicans» beugt sich der Vatikan dem Druck konservativer Theologen und rudert zurück. kath.ch hat sich die Argumente der Kritiker angeschaut. Und zeigt, wie sie sich durchgesetzt haben.

Annalena Müller

Am 18. Dezember veröffentlicht das Dikasterium für die Glaubenslehre «Fiducia supplicans». Die Erklärung erlaubt Priestern erstmals, Paare, die in «irregulären» Beziehungen leben, unter bestimmten Bedingungen zu segnen. «Fiducia supplicans» scheint eine Entwicklung des Lehramts anzukündigen: weg von Sünde, hin zu Inklusion.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller gehört zu den einflussreichsten Kritikern von «Fiducia supplicans».
Kardinal Gerhard Ludwig Müller gehört zu den einflussreichsten Kritikern von «Fiducia supplicans».

Der Aufschrei ist gross. Besonders afrikanische Bischofskonferenzen üben Druck aus, indem sie erklären, «Fiducia supplicans» nicht anzuwenden. Konservative Theologen, darunter der frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, führen die Erklärung theologisch ad absurdum.

Nach nur zweieinhalb Wochen rudert Rom zurück. kath.ch hat sich die Argumente der Gegner des «Segens für Alle» angeschaut. Und zeigt, wie sie sich durchgesetzt haben.

Theologie des Widerstands

Im Zentrum der Aufregung steht die in «Fiducia supplicans» angelegte Möglichkeit, Menschen in «irregulären Beziehungen» zu segnen. Unter «irregulären Beziehungen» versteht die Kirche Paare, die unverheiratet zusammenleben, nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. Kurz: Paare, die eine intime Beziehung führen, in der Sexualität ausserhalb der sakramentalen Ehe gelebt wird.

Für viele Traditionalisten ist Inklusion und Segnung von LGBTQ+-Menschen Teufelswerk.
Für viele Traditionalisten ist Inklusion und Segnung von LGBTQ+-Menschen Teufelswerk.

Der Widerstand gegen «Fiducia supplicans» speist sich aus der durch Sünde geprägten Sexualmoral. Die katholische Kirche erlaubt gelebte Sexualität nur innerhalb der unauflöslichen sakramentalen Ehe zwischen Mann und Frau. Daraus ergibt sich: Jede intime Beziehung, die ausserhalb der Ehe geführt wird, ist sündig. Als besonders sündig gelten gleichgeschlechtliche Beziehungen, da Sexualität hier nicht im Rahmen einer sakramentalen Ehe gelebt und sie auch nicht der Fortpflanzung dienen kann.

Die Kritiker von «Fiducia supplicans» argumentieren ausgehend von dieser Sexualmoral auf drei Ebenen. Theologisch sei eine Segnung der Personen ohne eine Segnung ihrer sündigen Verbindung unmöglich. Pastoral sei ein solcher Segen unverantwortlich, da der Priester damit das in Sünde lebende Paar bestärke, anstelle ihm beim Ausgang aus der Sünde zu helfen. Lehramtlich sei der Segen einer sündigen Vereinigung ein Traditionsbruch. Da im katholischen Verständnis in der ungebrochenen Tradition der Hinweis auf die göttliche Wahrheit liegt, kann ein Bruch mit der Tradition im Extremfall in die Häresie führen.

Unmöglichkeit der Segnung und Irreführung

Davide Pagliarani, Generaloberer der traditionalistischen Priesterbruderschaft Pius X., gehört zu den Kritikern der ersten Stunde. In einer Medienmitteilung erklärt er, eine «sündhafte Verbindung» könne nicht gesegnet werden, ohne eine Bestärkung dieser «sündhaften Situation». Der emeritierte Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, legt die Theologie hinter diesem Gedanken in einem ausführlichen Schreiben dar.

Davide Pagliarani, Generaloberer der Piusbrüder
Davide Pagliarani, Generaloberer der Piusbrüder

Zwar könnten sich Segnungen nach katholischem Verständnis an Menschen richten, die in Sünde lebten. Aber nicht an «Dinge, Orte oder Umstände, die dem Geist des Evangeliums widersprechen» (Rituale Romanum). Entsprechend könne «eine Frau, die eine Abtreibung hatte, gesegnet werden, nicht aber eine Abtreibungsklinik.» Anders gesagt, die Kirche könne Sünder segnen, nicht aber die Institutionalisierung ihrer Sünde.

Tomasz Peta, Erzbischof von Astana, war einer der ersten öffentlichen Kritiker.
Tomasz Peta, Erzbischof von Astana, war einer der ersten öffentlichen Kritiker.

Pastoral unverantwortlich sei eine solche Segnung ausserdem. Denn sie verleite die Gläubigen dazu, anzunehmen, ihre «sündhafte Beziehung» sei gottgefällig statt gotteslästerlich. Aber Gott könne «seine Gnade nicht auf eine Beziehung senden, die Ihm direkt entgegengesetzt ist und die nicht auf einen Weg zu Ihm gerichtet werden kann», schreibt Kardinal Müller.

Im Widerspruch zur Tradition

Tomasz Peta gehört zu den ersten Bischöfen, die öffentlich Position gegen «Fiducia supplicans» beziehen. Der Erzbischof des kasachischen Astana sieht in der Erklärung einen Bruch der «göttlichen Offenbarung und der ununterbrochenen zweitausendjährigen Lehre und Praxis der katholischen Kirche». Ähnlich argumentiert der Schweizer Weihbischof Marian Eleganti: «Päpste sind wie die Bischöfe Hüter der Lehre der Kirche und ihrer ungebrochenen Tradition.» Sie brächten «nichts Eigenes, sondern legen den beständigen Glauben der Kirche aus auf der Linie der Tradition, ohne mit ihr zu brechen.»

"Dei verbum" ist eine der vier Konstitutionen des Zweiten Vatikanischen Konzils.
"Dei verbum" ist eine der vier Konstitutionen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Auch Kardinal Müller beleuchtet die Traditions-Frage. Zwar können Papst und Bischöfe pastorale Akzente setzen und «die Wahrheit der Offenbarung kreativ mit den neuen Herausforderungen jeder Zeit in Verbindung bringen». Gleichzeitig müssten sie aber die Grundsätze der christlichen Anthropologie respektieren. Pastorale Neuerungen auch eines Papstes «können nicht über das hinausgehen, was ihnen von den Aposteln als Gotteswort ein für alle Mal offenbart wurde (Dei verbum 8).»

Zurück auf Los

Genau dies aber geschehe durch «Fiducia supplicans». Laut Kardinal Müller gebe es «keine biblischen Texte oder Texte von Kirchenvätern oder Kirchenlehrern oder früheren Dokumenten des Lehramtes, die die Schlussfolgerungen von FS stützen.»

«Tatsächlich würde es nach den Kriterien dieser pastoralen Segnungen bis zur Absurdität reichen, beispielsweise eine Abtreibungsklinik oder eine Mafia-Gruppe segnen zu können.»

Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Laut Kardinal Müller lässt sich diese Problematik nicht durch die Schaffung eines neuen pastoralen Segens lösen, wie «Fiducia supplicans» ihn einführt. Sowohl der Traditionsbruch als auch der Umstand, dass eine «sündige» Institution nicht gesegnet werden könne und dass die Segensuchenden irregeführt würden, blieben bestehen.

Vatikanische Rolle rückwärts

Die Argumente der konservativen Theologen zeigen Wirkung. Am 4. Januar veröffentlicht das Dikasterium für die Glaubenslehre eine Pressemitteilung. Darin verteidigt Kardinal Fernández zwar «Fiducia supplicans» und unterstreicht das päpstliche Primat in Glaubensfragen. De facto aber beugt sich das Dikasterium dem Druck der Traditionalisten.

Wird der "Segen für alle" jetzt ein Exorzismus?
Wird der "Segen für alle" jetzt ein Exorzismus?

«Fiducia supplicans» sei kein Traditionsbruch, schreibt Kardinal Fernández. Denn es würden keine irregulären Verbindungen, sondern «Paare in irregulären Situationen» en passant gesegnet werden. Das eigentlich Neue an «Fiducia supplicans» sei der pastorale Segen, der niemanden ausschliesse, aber dennoch im Einklang mit Tradition und Kirchenrecht stehe, so der Präfekt.

Auf die theologischen Argumente der Kritiker geht Kardinal Fernández nicht ein. Entsprechend dürften sich diese in ihrer Wahrnehmung bestärkt fühlen, dass «Fiducia supplicans» theologisch auf Sand gebaut ist. Gleiches gilt für den vorformulierten Segen für ein «irreguläres Paar».

Segen wird zum Exorzismus

Der von Kardinal Fernández vorgeschlagene Segen ist ein pastorales Beugen vor der Theologie seiner Kritiker. Entsprechend klingt er mehr nach Exorzismus als nach Liebe. Der Segen ist eine Bitte um Heilung. Das Kreuzzeichen, «über einen jeden von ihnen» geschlagen, verstärkt das Bild des Sünders, den es barmherzig zu lieben, dessen Sünde es aber abzulehen gilt.

«<Herr, schau auf diese deine Kinder, gib ihnen Gesundheit, Arbeit, Frieden und gegenseitige Hilfe. Befreie sie von allem, was deinem Evangelium widerspricht, und gib ihnen, dass sie nach deinem Willen leben. Amen>. Und er schliesst mit dem Kreuzzeichen über einen jeden von ihnen.»

Kardinal Víctor Manuel Fernández

Trotz des Pochens auf die päpstliche Autorität in Glaubensfragen, die Pressemitteilung des Dikasteriums ist eine Rolle rückwärts. Wenn auch künftig das meiste beim Alten bleiben wird, dann auch, weil das Dikasterium für die Glaubenslehre keine Antworten auf die Theologie der Traditionalisten gegeben hat.

In einer früheren Version hiess es, dass gelebte Sexualität in der Ehe ausschliesslich der Fortpflanzung dienen muss. Das ist war inkorrekt. Artikel geändert am 07.01.2023 um 19h32.

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Papst Franziskus und Victor Manuel Fernandez, Erzbischof von La Plata (Argentinien) 2019. | © KNA
7. Januar 2024 | 06:30
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