Simone Curau-Aepli, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes
Schweiz

Simone Curau-Aepli: «Finde es nicht verwerflich, dass 86-jährige Frau ihrem Leben ein Ende setzen wollte»

Ein Genfer Arzt und Exit-Vertreter hat einem sterbewilligen Paar tödliche Medikamente übergeben. Der Mann war sterbenskrank, seine 86-jährige gesunde Frau wollte mit ihm sterben. Das Bundesgericht hat den Arzt freigesprochen. Die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF), Simone Curau-Aepli, zeigt Verständnis: «Wir leiten aus dem ‘Geschenk des Lebens’ keine ‘Pflicht zum Leben’ ab.»

Regula Pfeifer

Eine gesunde alte Frau wollte mit ihrem kranken Mann sterben – und der Arzt besorgte das Medikament: Hat der Arzt richtig gehandelt?

Simone Curau-Aepli*: Ich glaube, es gibt nicht per se richtig und falsch. Der Arzt war bestimmt in einem Dilemma und musste schwerwiegende Gründe dafür und dagegen sorgfältig abwägen. Aus Sicht der betroffenen Frau hat er richtig gehandelt. Er hat ihren absoluten Sterbewunsch anerkannt und die Gründe für die Verabreichung des tödlichen Mittels höher bewertet als die klare Regel von Exit, die besagt, dass das tödliche Mittel nur unter bestimmten Bedingungen und der Prüfung von Sorgfaltskriterien verabreicht werden darf. Eine davon ist, dass ein schweres, krankheitsbedingtes Leiden vorliegt.

Mittel zur Sterbehilfe l © pixabay.com CC0
Mittel zur Sterbehilfe l © pixabay.com CC0

Die Frau war aber gesund …

Curau-Aepli: Ja, die verstorbene Frau war gesund und urteilsfähig. Sie hatte ihren Sterbewunsch bereits zwei Jahre zuvor bei einem Notar mit einer Verfügung hinterlegt.

«Der Arzt hat der Frau ihren Sterbewunsch erfüllt.»

Weshalb hat der Arzt dann ihren Sterbewunsch erfüllt?

Curau-Aepli: Er hat der Frau ihren Sterbewunsch erfüllt, weil sie laut eigener Aussage ihrem Leben mit anderen Mitteln ein Ende gesetzt hätte, beispielsweise durch Strang oder Erschiessen. Für den Mediziner war das ein wesentlicher Grund, da er diese anderen Methoden der Selbsttötung sowohl für die Betroffene wie für die Angehörigen als schlimmer erachtete.

Schweizerisches Bundesgericht in Lausanne
Schweizerisches Bundesgericht in Lausanne

«Die Gesetzeslage lässt viele Fragen offen.»

Ist es richtig, dass das Bundesgericht diese Handlung absegnet?

Curau-Aepli: Ich denke, dass es bei einem Gerichtsurteil, das auch als Präjudiz bezeichnet werden kann, nicht per se ein Richtig und Falsch gibt. Es zeigt vor allem, dass die Gesetzeslage in Bezug auf die Sterbehilfe noch viele, vor allem ethische und moralische Fragen offenlässt. So musste sich der Arzt nicht etwa wegen Tötung, sondern wegen Verstoss gegen das Betäubungsmittelschutzgesetz vor Gericht verantworten. Der Arzt wurde zu keinem Zeitpunkt strafgesetzlich verfolgt.

«Beihilfe zum Suizid bei gesunden Menschen ist erlaubt, sofern keine selbstsüchtigen Motive im Spiel sind.»

Weshalb wurde er nicht strafrechtlich verfolgt?

Curau-Aepli: Das Strafgesetz sieht dann eine Bestrafung vor, wenn jemand eine andere Person aus selbstsüchtigen Gründen zum Suizid drängt. Dies war hier nicht der Fall. Laut schweizerischem Recht ist Beihilfe zum Suizid bei gesunden, auch jungen Menschen, erlaubt, sofern keine selbstsüchtigen Motive im Spiel sind. Für das Bundesgericht sind die Sorgfaltskriterien der Nationalen Ethikkommission nicht bindend, sondern eine Empfehlung. Gesetzlich liegt also kein Verstoss vor.

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Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?

Curau-Aepli: Die Diskussion darüber, wie weit die Selbstbestimmung von Menschen in Bezug auf den Tod gehen darf, muss wieder neu geführt werden. Heute gilt als ethischer Grundsatz, dass lebenserhaltende und lebensverlängernde Massnahmen ergriffen werden müssen. Die Debatte rund um Sterbehilfe bezog sich bisher vor allem auf kranke Menschen. Dass nun eine gesunde Frau auf diese Weise aus dem Leben schied, stellt die Weichen für einen Diskurs neu.

«Es darf niemals zu einem gesellschaftlichen Druck für assistierten Suizid kommen.»

Wie beurteil der SKF die Sterbehilfe für gesunde Menschen?

Curau-Aepli: Grundsätzlich ist der SKF der Meinung: Das Leben hat für uns einen Wert an sich, doch ergibt sich daraus kein Zwang, leben zu müssen. Wir respektieren daher den Gewissensentscheid jedes Menschen und seine eigene Bewertung des Leids. Weiter betonen wir, dass wir alle aufgrund unserer unveräusserlichen Menschenwürde immer ein Recht auf Leben haben und es daher niemals zu gesellschaftlichem Druck für einen assistierten Suizid kommen darf.

Eine ältere Frau allein in der Stube
Eine ältere Frau allein in der Stube

Wir sehen es als gesellschaftliche Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen ihr Leben, das durch körperliche, geistige oder seelische Not nicht mehr als lebenswert erfahren wird, zu begleiten, zu lindern und zu helfen. Das gilt auch für Angehörige. Die Entscheidung, ob ein Leben lebenswert ist, liegt aber schlussendlich allein bei der betroffenen Person.

Was brauchen Menschen, damit Sterbehilfe nicht zum Ausweg wird?

Curau-Aepli: Wir vom SKF finden es wichtig, dass sterbewillige Menschen – ob krank oder nicht – über Alternativen zum assistierten Suizid wie beispielsweise Sterbefasten oder Palliative Care informiert werden. Wenn ich mir vorstelle, dass die besagte Frau 86 Jahre lang gelebt und gerne gelebt hat, finde ich es nicht verwerflich, dass sie ihrem langen Leben bewusst ein Ende setzen und gemeinsam mit ihrem todkranken Mann aus dem Leben scheiden wollte.

«Beziehungsarbeit ist eine Kernkompetenz von Kirchen.»

Was können die Kirchen und ihre Mitglieder dazu beitragen?

Curau-Aepli: Beziehungsarbeit ist eine Kernkompetenz von Kirchen. Wenn ich sehe, was in unseren rund 570 Frauengemeinschaften an Beziehungsarbeit für Familien, alleinstehende, betagte oder kranke Menschen geleistet wird, bin ich immer wieder berührt und auch stolz. Sich zu einer Gemeinschaft zugehörig fühlen, ist eine religiöse Erfahrung, die in unserer jüdisch-christlichen Tradition einen hohen Stellenwert hat.

Festgemeinschaft im Pfarreizentrum in Zug
Festgemeinschaft im Pfarreizentrum in Zug

Viele Menschen fühlen sich heute einsam und leiden am Verlust von Beziehungen und sinnstiftenden Tätigkeiten. Hier müssen wir als Gesellschaft aktiv werden, auf diese Menschen zugehen und sie dazu einladen, Teil der Gemeinschaft zu sein. Es braucht oft Fantasie und Hartnäckigkeit, aber vor allem die Freude, sich bewusst Menschen zuzuwenden, die nicht von sich aus den Schritt wagen.

«Aus dem ‹Geschenk des Lebens› keine ‹Pflicht zum Leben ab›.»

In der kirchlichen Lehre gilt das Leben als Geschenk Gottes. Suizid und Sterbehilfe sind nicht zulässig. Wie sehen Sie das?

Curau-Aepli: Wie bereits oben ausgeführt, leiten wir aus dem «Geschenk des Lebens» keine «Pflicht zum Leben» ab. Suizid und Sterbehilfe sind ja nur zwei von vielen Wegen, dem eigenen Leben (bewusst) Schaden oder ein definitives Ende zu setzen. Ich denke dabei an Menschen mit Suchterkrankungen oder ungesundem Lebenswandel oder auch Menschen, die in der Freizeit grosse Risiken eingehen.

*Simone Curau-Aepli ist Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds SKF.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Simone Curau-Aepli, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes | © Regula Pfeifer
22. März 2024 | 12:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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