"Love is love."
Analyse

Segen für Alle: Wenn nicht so, dann halt anders

Die Lehre über Homosexualität ist in der katholischen Kirche deutlich. Doch Papst Franziskus ist ein kluger Schachzug gelungen. Der Schritt, homosexuelle Paare zu segnen, erfolgt im Vorgriff auf eine mögliche Weiterentwicklung der Sexualmoral. Das Vorgehen ist eigentlich typisch katholisch.

Hendro Munsterman*

Gleichgeschlechtliche Paare werden seit vielen Jahren gesegnet, unter anderem von römisch-katholischen Priestern, Diakonen und Seelsorgern. Dies geschieht diskret und unter dem Radar der Kirche, auch in den Niederlanden.

Einige Bischöfe sagten sogar: «Bitte fragen Sie mich nicht um Erlaubnis, denn dann muss ich sie ablehnen.» Mehrere Bischöfe tadelten sogar ihre Pfarrer, als solche Segnungen an ihre bischöflichen Ohren gelangten. «Das gehört nun der Vergangenheit an», schreibt Jos Moons, niederländischer Theologe und Jesuit auf X (ehemals Twitter).

Enttäuschung und Freude

Es herrscht Freude und Enttäuschung über die neue Politik des Vatikans, dass homosexuelle Paare gesegnet werden können. Enttäuschung gibt es sogar auf beiden Seiten. Einerseits gibt es Katholiken und Katholikinnen, die glauben, dass damit sündige homosexuelle Handlungen implizit gutgeheissen werden. Das sind nicht nur konservative Katholiken und Katholikinnen im Westen. 

Während afrikanische Bischöfe noch nicht öffentlich auf das Dokument reagiert haben, haben afrikanische Priester und Gläubige nicht gezögert, ihr Unverständnis zum Ausdruck zu bringen. «Durch einen Segen stärkt man Menschen in einer Situation, aus der sie berufen sind, sie zu verlassen», sagt ein katholischer Gläubiger aus der Elfenbeinküste in «La Croix Africa».

Hendro Munsterman
Hendro Munsterman

Aber auch Progressive sind enttäuscht. Sie bedauern, dass diese Segnung nur am Rande des kirchlichen Lebens stattfinden darf: Nicht am selben Tag wie der Abschluss einer eingetragenen Partnerschaft, nicht im Hochzeitsanzug oder Brautkleid, nicht in einer offiziellen Liturgie, sondern eher spontan – zum Beispiel während eine Pilgerfahrt. 

Papst Franziskus nutzt eine besondere Strategie, um beide Flanken zusammen mit der breiten Mitte bestmöglich im Boot zu behalten. Die katholische Sexuallehre ist hermetisch: Sex ist nur innerhalb einer sakramental geschlossenen Ehe zwischen Mann und Frau erlaubt. Darüber hinaus darf die Befruchtung nicht auf unnatürliche Weise verhindert werden und die Ejakulation darf nur in der Vagina erfolgen. 

Kein Widerspruch

In den letzten fünf Jahrzehnten wurde die katholische Lehre zu einem solchen Lackmustest für die Katholizität, dass Franziskus sie nicht ändern kann. Also schlägt er einen anderen Weg ein: Dann ändern wir die Lehre über Segnungen. Im Jahr 2021 schrieb das Vatikanische Dikasterium für die Glaubenslehre, dass «Sünde nicht gesegnet werden kann». Jetzt ist es plötzlich möglich. Das ist kein Widerspruch, sondern heisst eher ganz katholisch: «Weiterentwicklung».

Die katholische Kirche sieht «Segen» deshalb ab jetzt anders und umfassender: Es geht nicht mehr darum, ihn zu billigen, sondern um den Versuch, Menschen dabei zu helfen, in der Situation, in der sie sich befinden, zu wachsen.

Hand in Hand in der Kirche.
Hand in Hand in der Kirche.

Das ist unangenehm für Katholikinnen und Katholiken, die es gewohnt sind, klare Antworten zu erhalten, was im Ehebett (oder anderswo) erlaubt ist und was nicht. 

Auffallend ist auch, dass der Papst diese Segnungen ganz explizit mit der Volksfrömmigkeit verknüpft. An Wallfahrtsorten und Pfarreien wird allerhand gesegnet: Von umweltschädlichen Autos bis zur jährlichen Jagdsaison. 

Barmherziger Blick

Wenn gängige Andachtspraktiken – auch solche im Zusammenhang mit der Marien- und Heiligenverehrung – nicht immer strengen theologischen Standards entsprechen, drückt die Kirche gern ein Auge zu. Zum Wohl (oder Vergnügen) ihrer Gläubigen. Franziskus weitet diesen barmherzigen Blick nun auch auf die Liebesbeziehungen der Menschen aus. 

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Dass homosexuelle Beziehungen nun gesegnet werden, erfolgt im Vorgriff auf eine mögliche Weiterentwicklung der Sexualmoral. Eine Seite der Kirche fürchtet sich davor. Die andere sehnt sich danach. Dazwischen versucht Franziskus, einen gangbaren Weg zu ebnen.

* Hendro Munsterman ist Theologe und Journalist. Er arbeitet als Vatikan-Korrespondent für die niederländische Tageszeitung «Nederlands Dagblad», wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist. (jas)


«Love is love.» | © Raphael Rauch
20. Dezember 2023 | 16:27
Lesezeit: ca. 2 Min.
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