Schwester Ariane Stocklin und Pfarrer Karl Wolf.
50 Halleluja

Ariane Stocklin und Karl Wolf: Raus aus der Prostitution – hin zum Leben

Zwischen Ostern und Pfingsten erzählen 50 Menschen, was ihnen ein Halleluja wert ist. Heute: Schwester Ariane Stocklin und Pfarrer Karl Wolf.

«Auf der Langstrasse. Mitten in Zürich. Im Rotlichtquartier.
Da sang uns eine Frau aus dem Milieu immer wieder ein Lied.
Die Strasse dicht bevölkert vom Ausgangsvolk.
Doch sie sang, als ob nur sie und wir da wären.
Und sie vertraute uns in ihrem Lied ihre Verzweiflung an.
Der Titel: «Buscando Una Señal». «Auf der Suche nach einem Zeichen».

Auf der Suche nach einem Zeichen war sie.
Auf der Suche nach einem Ausweg.
Aus der Prostitution. Hin zum Leben.
Die Armut in ihrer eigenen Familie hat sie dahinein getrieben:
An die Langstrasse.
Ihre eigene Geschichte.
Ihr Ehemann erkrankte an einem schweren Krebsleiden.
Sie hatten kein Geld für die teure Therapie.
Dann war da auch noch eine Tochter.
Das Geld reichte nicht mehr.
Sie sahen nur noch einen Ausweg: die Prostitution.
Niemand wollte es: Weder die Frau noch ihr Mann.
Es war ein Akt der Verzweiflung.
Sie landete hier in Zürich.
Wenig Einnahmen.
Es war ein Irrweg.
Ein Abgrund ohne Ende.
Traumatisierung und Depression als Folge.
In die dunkle Nacht der Langstrasse schrie sie ihre abgrundtiefe Verzweiflung heraus.
In ihrem Lied: «Meine Seele fühlt so viel Schmerz. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, wurde ich von der Angst überflutet… Als der Wind mich wegfegte und alles wegnahm. Ich fühlte mich so leer und ungeliebt.»
Vor einem knappen Jahr wagte sie, sich uns anzuvertrauen: «Ich will weg von dieser Strasse. Ich will ein anderes Leben leben. Bitte, helft mir.»
Wir nahmen sie bei uns in der Wohnung auf.
Zusammen mit ihr fanden wir eine gute Arbeit.
Sie begann wieder zu leben.
Schritt für Schritt.
Mit Auf und Abs.
Wie sie in ihrem Lied auch heute noch singt: «Ich lernte im Sturm zu schlafen. Deine Liebe lehrte mich zu ruhen.»
Sie begann sich zu festigen.
Sich zu entfalten.
Ein halbes Jahr später kam ihre Familie nach.
Aus einem armen Land.
Ihr Mann ist inzwischen genesen.
Auch er hat eine Arbeit gefunden.
Heute leben sie mit ihrer Tochter in einer eigenen Wohnung.
Die Familie fand wieder zusammen.
Hie und da singt sie uns immer noch das Lied: «Ich hörte eine Stimme. Sie rief meinen Namen. Sie stellte wieder meine Ruhe her. Sie sagte mir: ‘Alles wird gut.’ Fülle mich mit DIR. DU gibst mir Frieden. DU gibst mir Freiheit.»
Ihre Suche nach einem Zeichen wurde beantwortet.
Mitten in Zürich. Auf der Langstrasse. Im Rotlichtquartier.
Ein Lebens-Zeichen.
Das gab ER ihr. Menschen an ihre Seite, die sie begleiten auf ihrem Weg: Durch den Tod in ein neues Leben. Ostern.»

Schwester Ariane Stocklin ist Gründerin des Vereins «incontro» und Präsidentin des Vorstandes. Karl Wolf ist Pfarradministrator in Küsnacht ZH und Psychoanalytiker. Für ihr Engagement für die Menschen auf der Gasse im Langstrassen-Quartier in Zürich wurden sie 2021 mit dem «Female Innovation Award» ausgezeichnet. (jas)

Schwester Ariane Stocklin und Pfarrer Karl Wolf. | © zVg
8. Mai 2022 | 05:52
Lesezeit: ca. 2 Min.
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