Detlef Pollack, Religionsforscher an der Universität in Münster, in einer Aufnahme von 2013.
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Religionssoziologe Pollack: «Religionen können Konflikte anheizen»

Detlef Pollack kritisiert Papst Franziskus. «Religionen können Konflikte anheizen, sind aber auch in der Lage, zwischen verfeindeten oder sogar Kriegsparteien zu vermitteln». Jede Religionsgemeinschaft müsse sich kritisch fragen, inwieweit sie selbst zur Verschärfung von Konflikten beiträgt.

Religionssoziologe Detlef Pollack sieht eine hohe Verantwortung der Religionen im Krieg und kritisiert die Haltung von Papst Franziskus. «Religionen können Konflikte anheizen, sind aber auch in der Lage, zwischen verfeindeten oder sogar Kriegsparteien zu vermitteln», sagte er dem Kölner katholischen Internetportal domradio.de. Daher müsse sich jede Religionsgemeinschaft kritisch fragen, «inwieweit man selbst eine konfliktverschärfende Tendenz in sich trägt und inwieweit die eigene Religion als Ressource für die Verschärfung von Konflikten wirken kann».

Nahost und Ukraine: keine rein politischen Konflikte

Man könne nicht sagen, dass die Konflikte in Nahost oder der Überfall Russlands auf die Ukraine rein politische Konflikte seien und die Religion gewissermassen nur benutzt werde, fügte Pollack hinzu: «Religion kann Motive liefern, um den Konflikt anzuheizen.» Insbesondere Kyrill I., der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, «stellt Formeln bereit, um diesen Krieg zu legitimieren. Insofern trägt er zur Verschärfung der Lage bei.»

Papst Franziskus hat die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt bei einem Gebet in Rom.
Papst Franziskus hat die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt bei einem Gebet in Rom.

Auch im Nahen Osten seien Politik und Religion nicht ohne weiteres auseinanderzuhalten: «Religion ist nicht das Unschuldige und Politik gewissermassen schuldig, weil Religion nur benutzt werde.» Umfragen zeigten, so Pollack weiter, dass Gewalt immer wieder religiös legitimiert werde und auch hier eine «eigenständige Quelle der Gewaltverschärfung» sein könne: «Es gibt sehr viele Menschen, die sagen, dass religiöse Lehren über den rechtlichen Bestimmungen eines demokratischen Staates stehen. Oder sie sagen, dass nur ihre Religion die wahre ist.»

Papsts neutrale Haltung «wohlfeil»

Auf die Frage nach der Friedensethik von Papst Franziskus, der versuche, sich neutral zu verhalten, dafür aber von vielen Seiten Kritik bekomme, dass er sich nicht deutlich genug positioniere, sagte Pollack: «In meinen Augen ist es wohlfeil, zu Frieden, Verständigung und Waffenstillstand aufzurufen, ohne die Frage zuzulassen, wer die Verantwortung für Kriegshandlungen oder für die Verschärfung von Konflikten trägt.» Daher könne sich eine religiöse Gemeinschaft oder einer ihrer Vertreter nicht aus der Bewertung eines Konflikts herausstehlen. (kna)


Detlef Pollack, Religionsforscher an der Universität in Münster, in einer Aufnahme von 2013. | © Brigitte Heeke/KNA
20. Oktober 2023 | 15:00
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