Eine moderne Maria: ein Frauengesicht als Graffiti.
Kommentar

Religionspädagogin: «Ich feiere heute den Tag der wunderbaren Körper»

Die deutsche Religionspädagogin und Heilpädagogin Maria Hagenschneider kann nichts anfangen mit früher üblichen Reinheitsvorschriften gegenüber Frauen, die geboren hatten. «Für mich ist Maria Menschenfrau mit einem Körper, der Lust und Liebe spüren und verschenken konnte», schreibt sie aus Anlass von Maria Empfängnis am 8. Dezember. Ein Gastbeitrag*.

Rein rechentechnisch wurde ich an Weihnachten gezeugt. Wie schön, mir vorzustellen, dass meine Eltern sich gegenseitig ein Geschenk machten, Liebe, Lust, Nähe. Dass ich dabei entstand, wussten sie später, als für meine Mutter die untrüglichen Zeichen der Schwangerschaft spürbar waren.

Und ab dann galt meine Mutter als unrein mit diesem Geschenk in sich selbst, dem Leben, mit mir. Und seit dieser Zeugung war auch ich unrein, mit Erbsünde empfangen, unbedingt schnell zu taufen nach der Geburt.

Als ich geboren wurde, war die ganze Grossfamilie mit der Kartoffelernte beschäftigt. Da die Scheune durch eine Strasse vom Haupthaus getrennt lag, durfte meine Mutter, als sie wieder aufstehen konnte, denen, die die Kartoffel sortierten, keinen Kaffee und keine geschmierten Brote bringen.

Sie wurde ausgeschimpft, sie sei noch nicht ausgesegnet. Wenn sie davon erzählte – und auch heute noch in meinen Erinnerungen – ist ihre tiefe Verletzung wieder da.

Beschämende Aussegnungen

Die Aussegnung erfolgte dann bei meiner Taufe. Während alle zum Taufbecken im Chor der Kirche gingen, musste sie unten warten, bis sie ausgesegnet war. Sie hat jede diese Aus-Segnungen als beschämend erlebt, da zeitgleich unser Vater nicht als unrein galt.

Diese masslose Schuld an den Frauen – durch Reinheitsvorschriften – ist mir durch das Erzählen vieler Frauen schon als Kind «unter die Haut» gegangen.

Wenn hinzukam, dass damals alte Frauen erzählten, dass sie ihren Männern «zu Willen sein mussten» und dann als «Sünderinnen» galten, wenn sie geboren hatten, war ich zornig und war – trotz meiner Frömmigkeit – aufmüpfig.

Von den Aussegnungen ist nur hier und da der Muttersegen übriggeblieben. Die Annahme, dass sexuelle Aktivitäten unrein machen, ist jedoch in der Kirche weiter bewahrt worden.

Affront für Frauen

Das heutige Marienfest ist ein Affront für alle die Frauen der Generation meiner Mutter und Grossmutter und davor.Viele wurden zu Dulderinnen des Beischlafs und Gebärmaschinen und starben nicht selten im Kindbett. Anderen wurde die Lust am Beischlaf als Sünde ausgelegt. Und schließlich erlebten sie durch die Aussegnungen eine massive Verurteilung und die Macht der männlichen Herren in der Kirche.

In den Beichtstühlen ging es weiter…

Wenn die sogenannte Erbsünde mit der Zeugung und unreinen Geburt zu tun hat und Maria als «ohne Erbsünde Empfangene» und später auch immerzu «Jungfrau seiende Frau und Mutter» keiner dieser Frauen auch nur ansatzhaft Schwester sein kann, dann hat die Kirche aus ihr eine Göttin gemacht, wie sie sie sich vorstellt. Während die Göttinnen in anderen Kulturen, die weiblichen Archetypen allesamt ihre Sexualität integriert haben, wurde Maria ihrer Sexualität beraubt und das heutige Fest wirft die Frage auf, wie es wohl bei ihren Eltern war.

Maria als verschlossene Frau

Maria mutierte zu einer «verschlossenen Frau».

Es gibt in den Evangelien nur wenig über Maria nachzulesen. Von ihren Eltern ist gar nichts bekannt und ihre Zeugung und Geburt sind rein dem christologischen Bild entsprungen, das sich über die Jahrhunderte etabliert hat.

Jesus als den Christus zu bekennen, dafür brauche ich keine geschlechtslose Maria. Mit mir glauben viele Menschen die Aussage des heutigen Festes nicht.

Ich feiere dennoch heute Maria als Schwester und adventliche Frau. Für mich ist Maria Menschenfrau mit einem Körper, der Lust und Liebe spüren und verschenken konnte. Ich feiere heute den Tag der wunderbaren Körper, die es in dieser Welt gibt.

Und ich bin dankbar für jede Erfahrung von Lust und Liebe, dieser Gottesgeschenke.

Ave Eva! Ave Maria!

*Der Gastbeitrag ist zuerst in den Sozialen Medien erschienen. Zweitpublikation hier mit Einverständnis der Autorin.

Religionspädagogin heiratet Priester

Maria Hagenschneider studierte Religionspädagogik und arbeitete in der Gemeinde und Schule von  Hamm. Dann heiratete sie Klaus Hagenschneider, einen Priester. Dieser liess sich nicht laisieren, weshalb beide nicht für die Kirche arbeiten konnten. Der inzwischen verstorbene Ehemann wurde Psychologe, arbeitete im Strafvollzug. Maria Hagenschneider war Heilpädagogin in der Frühförderung. (rp)


Eine moderne Maria: ein Frauengesicht als Graffiti. | © Camille Blanche
8. Dezember 2022 | 18:04
Lesezeit: ca. 3 Min.
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