Projektionsfläche für spirituelle Sehnsüchte

Der Dalai Lama in Freiburg

Freiburg i.Ü., 14.4.13 (Kipa) Aus ganz Europa und über dessen Grenzen hinaus strömten die Menschen dieses Wochenende nach Freiburg. Mehrere Tausend Menschen hatten sich ein Ticket für die Unterweisungen und Vorträge des Dalai Lama in der Schweiz gesichert. Einmal mehr betonte das geistliche Oberhaupt Tibets die Bedeutung von Toleranz und Liebe für den Weltfrieden.

Es erinnert ein bisschen an die Stimmung vor einem Popkonzert im Zürcher Hallenstadion. Vor dem Eingang des Freiburger Messe-Geländes füllen sich die Parklätze mit Fahrzeugen aus aller Herren Länder. Einer Karawane gleich fahren die Reise-Cars vor. Auffallend viele Exil-Tibeter, die meisten in traditioneller Kleidung, sind zu sehen. Im Inneren der riesigen Halle warten Merchandising-Stände mit T-Shirts, Tonträgern und anderen Medien. Für 8.000 Personen ist im grossen Messe-Saal gestuhlt.

Alle wollen sie seine Heiligkeit sehen, «sich ein eigenes Bild machen», wie eine 45-jährige Zürcherin erklärt. Auch ein deutsches Paar, das seit ein paar Jahren im zürcherischen Pfäffikon lebt, hat das Wochenende für den Dalai Lama reserviert. «Es ist doch dasselbe wie bei den Stones. Es macht einen Unterschied, ob du dir das nur im Fernsehen ansiehst oder die Truppe live auf der Bühne erlebst», erklärt der Mann den Mechanismus der Pop-Faszination, auf den mittlerweile auch das geistliche Oberhaupt der Tibeter abstellen kann. Bis zu 700 Franken lassen sich die Leute das Happening kosten, an dem der Dalai Lama für eine breite Öffentlichkeit Unterweisungen erteilt und in Vorträgen über allgemeine ethische und spirituelle Fragen der Menschheit referiert.

In die innere Schönheit investieren

Im riesigen Saal würde der Dalai Lama kaum wahrgenommen, wären da nicht zwei Grossleinwände zu beiden Seiten des Podiums. So aber erhaschen auch die Menschen in den hintersten Sitzreihen einen Blick auf das geistliche Oberhaupt der viertgrössten Weltreligion. Für die morgendliche Unterweisung hat «seine Heiligkeit» auf einem aufwendig verzierten Thron Platz genommen. Zu beiden Seiten sitzen Mönche in Reihen hintereinander.

Die Szene erinnert an eine universitäre Vorlesung. Der Dalai Lama legt die Schriften aus, spricht über den buddhistischen Weg der Erleuchtung, über die Abkehr vom Egoismus, das Potenzial der Meditation für die Geistesschulung. «Das ist ungeheuer anspruchsvoll und geht tief in die Theorie, mit der ich nicht vertraut bin», erklärt ein Mittfünfziger aus Bern auf dem Gang. «Wenn der Dalai Lama über allgemeine Fragen der Menschheit spricht, finde ich eher den Zugang und erhalte interessante Denkanstösse.»

«Säkulare Ethik»

Dieses Interesse wird am Nachmittag bedient. Der Dalai Lama redet über «säkulare Ethik» und nimmt hierfür auf einem gemütlichen weissen Ledersessel auf dem Podium Platz. «Wenn wir zu sehr in unserer Sicht der Dinge verhaftet bleiben, können wir die Dinge nicht mehr unvoreingenommen beurteilen, grenzen uns ab, verlieren das Bewusstsein, dass wir alle Teil ein und derselben Gesellschaft sind», mahnt das geistliche Oberhaupt Tibets und empfiehlt: «Bemüht euch um eine ganzheitliche Sicht, investiert in eure innere Schönheit, nicht nur in die äussere».

Immer wieder lässt der Dalai Lama Anekdoten und Geschichten einfliessen. Damit hat er die Lacher auf seiner Seite und unterstreicht damit, was er als das Wichtigste im Leben erachtet: «Versucht, glücklich und fröhlich zu sein.»

Zugang zu den eigenen religiösen Wurzeln

Bei Schweizerinnen und Schweizern steht das spirituelle Oberhaupt des Buddhismus nach wie vor hoch im Kurs. Viele sind aus Neugier gekommen, wollen die «Weltberühmtheit einmal live erleben» oder «noch ein letztes Mal», wie manche anfügen. Milena Sinzig und Mathias Rosskopf aus Zürich haben sich eines der raren Tickets für den sonntäglichen Vortrag ergattern können. Er katholisch, sie reformiert, verbindet beide das Interesse an Meditation und fernöstlicher Spiritualität. «Die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus wird mir bestimmt helfen, den Zugang zu meinen eigenen religiösen Wurzeln zu vertiefen», meint die 39-Jährige.

Andere Schweizerinnen und Schweizer wiederum haben bereits eine engere Beziehung zum Buddhismus. Beispielsweise jene Frau aus Martigny, die immer wieder nach Dharamsala fährt, oder auch jene Bernerin in buddhistischer Nonnenkleidung, die am Eingang den Menschen Safranwasser in die Hände träufelt. «Einen Schluck trinken und den Scheitel benetzen», erklärt sie. «Das reinigt von negativen Energien». Vor Jahren fand die Schweizerin auf einer Indienreise zum Buddhismus. Mittlerweile lebt sie in einem tibetischen Nonnenkloster in Italien.

Hohes Ansehen in der Schweiz

Offenbar dient der Buddhismus als Projektionsfläche für verschiedene spirituelle Sehnsüchte, bei denen sich Schweizerinnen und Schweizer je länger, je weniger auf ihre eigenen religiösen Wurzeln und Traditionen abstützen. Weltoffen, multikulturell und exotisch trifft die viertgrösste Weltreligion einen Nerv der Zeit. Ihr philosophischer Ansatz, der ohne Gott auskommt, erscheint gerade in der zunehmend säkularer werdenden Schweiz attraktiv und emanzipiert.

Im Dalai Lama, dem spirituellen Oberhaupt, erhält der Buddhismus zudem ein sympathisches Gesicht. Seine Botschaft der Toleranz und des Friedens wirkt angesichts der Flüchtlingsbiografie und der Situation in Tibet glaubwürdig. Eine Viertelmillion Schweizer Franken Gewinn bescherte der Event den Organisatoren, nicht zuletzt dank dem Einsatz von 300 freiwilligen Helfern. Der Erlös fliesst in die Stiftungen des Dalai Lama, die sich unter anderem für Ethik, Frieden und Wohlfahrt in der Welt engagieren.

(kipa/acm/gs)

14. April 2013 | 17:43
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