Die Schepenese-Mumie in der Stiftsbibliothek St. Gallen.
Schweiz

Priesterin protestiert in St. Gallen: Die Mumie soll zurück nach Ägypten

Sie heisst Schepenese und ist die Tochter eines ägyptischen Priesters. Der Regisseur Milo Rau findet es unmöglich, dass die Mumie in der St. Galler Stiftsbibliothek zur Schau gestellt wird. Eine Schauspielerin spielt in St. Gallen eine ägyptische Priesterin, die sich für die spirituelle Würde der Mumie stark macht.

Wolfgang Holz

«Schon als Zehnjähriger habe ich mich schon gefragt: Was macht diese Mumie denn eigentlich hier?», erinnert sich Rolf Bossart, Theologe aus St. Gallen. Nach dem Besuch des Barocksaals habe sich dann die Faszination über den Anblick der Mumie in seinem Kopf verfestigt.

«So wie mir damals geht es auch immer wieder vielen Besucherinnen und Besuchern, die ich schon durch den Barocksaal des Klosters geführt habe», berichtet Bossart.

«Diese Art der Präsentation einer Mumie ist auch in Ägypten nicht richtig.»

Rolf Bossart, Theologe

Doch was ist daran eigentlich moralisch und ethisch verwerflich, dass eine ägyptische Mumie in St. Gallen ausgestellt wird? In ägyptischen Museen wird das ja auch gemacht – um über die Art und Wesen des ägyptischen Totenkults anschaulich zu informieren.

Rolf Bossart (50) ist Theologe an der Pädagogischen Hochschule in St. Gallen.
Rolf Bossart (50) ist Theologe an der Pädagogischen Hochschule in St. Gallen.

«Diese Art der Präsentation einer Mumie ist auch in Ägypten nicht richtig», ist der St. Galler Theologe, der ebenfalls dem Komitee um Theaterregisseur Milo Rau angehört, überzeugt. Dieses Komitee fordert die Rückführung der Mumie aus St. Gallen. Dafür will Milo Rau die 30’000 Franken einsetzen, die er nun als Preisträger des St. Galler Kulturpreises 2023 erhält.

Schepenese lebte vor 2600 Jahren

Schepenese, so der Name der ägyptischen Mumie, war die Tochter eines ägyptischen Priesters. Sie lebte vor 2600 Jahren. Sie starb mit gut 30 Jahren. Heute befindet sich ihr einbalsamierter Körper ausgewickelt in einem gläsernen Sarg in einer Ecke des Barocksaals der weltberühmten St. Galler Stiftsbibliothek, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Milo Rau und das Komitee stören sich an der «fragwürdigen Zurschaustellung», die einer «Kulturmetropole wie St. Gallen unwürdig» sei. Es scheine ethisch nicht zu stören, dass eine Frau aus dem Grab geraubt und gegen Geld nackt ausgestellt werde – neben einer Bibel, so der St. Galler.

«Eine Mumie hat dieselbe Würde wie alle anderen Toten.»

Rolf Bossart, Theologe

Für den Theologen Rolf Bossart ist die Frage zentral, wie man mit Toten umgehen dürfe. «Eine Mumie hat dieselbe Würde wie alle anderen Toten», sagt er. Deshalb sei es fragwürdig, einfach die Hülle einer Mumie zu entfernen.

Der Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen
Der Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen

«Denn es zeugt schon von Ignoranz, wenn man eine junge Frau, die vor 2400 Jahren in mehrere Särge und ein Leinentuch gehüllt im Glauben an eine verborgene Reise ins Jenseits, nun einfach in St. Gallen den Schaulustigen preisgibt.»

Mitbestimmungsrecht der Toten

Tote haben laut Bossart ein Mitbestimmungsrecht über die Art ihrer Bestattung. Jeder tote Körper verfüge auch über eine eigene Art der Heiligkeit, was einen ganz besonders sorgfältigen Umgang mit Toten verlange. Das gelte für die ägyptische Mumie genauso wie für alle anderen Menschen auf dieser Welt.

«Dürfen wir also eine Tote einfach so ausstellen», fragt er sich. Es sei deshalb legitim, über diese Frage eine öffentliche Debatte zu führen. «Mit welchem Ende und mit welchem Ergebnis, das werden wir dann ja sehen», so Bossart. Der Katholische Konfessionsteil als Besitzer trage eine Mitverantwortung.

Milo Rau, Regisseur und Theaterintendant, will mit seinem Preisgeld vom St. Galler Kulturpreis die Rückführung der Mumie ermöglichen.
Milo Rau, Regisseur und Theaterintendant, will mit seinem Preisgeld vom St. Galler Kulturpreis die Rückführung der Mumie ermöglichen.

Laut Bossart geht es aber nicht nur um die Frage der Würde, sondern auch um eine unrechtmässige kulturelle Aneignung. «Mit grosser Wahrscheinlichkeit wurde Schepenese unrechtmässig aus dem Grab entfernt, aber selbst wenn es mit Wissen und Autorisierung der damaligen Behörden geschah, bleibt doch der Verkauf einer Leiche auf dem Kunstmarkt immer verwerflich», sagt der 50-Jährige, der Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen ist.

«Tradition kolonialer Besitznahme»

Der Transfer der Mumie sei in der Tradition kolonialer Besitznahme erfolgt. «Das Kloster hat diesbezüglich eine Leiche im Keller», ist Rolf Bossart überzeugt. Die Forderung nach einer Rückführung der Mumie sei deshalb legitim. «Man könnte aber auch durchaus über einen möglichen Tausch der Mumie mit einem anderen Kunstgegenstand reden», so der Theologe. Milo Rau brauchte am Mittwochabend im Kunsthaus Zürich den Tausch mit einer St. Galler Bibel ins Spiel.

Aber kann das Zurschaustellen dieser ägyptischen Mumie von Schepenese beim europäischen Publikum in St. Gallen nicht auch dazu beitragen, dass sich Menschen gerade intensiver mit dem Totenkult fremder Kulturen auseinandersetzen? Sich mit ihrer eigenen Sterbekultur, ja mit ihrem Tod beschäftigen?

«Memento Mori» gegeben

«Ja, dieser Aspekt des Memento mori ist durchaus gegeben», räumt Rolf Bossart ein. Und trotzdem bleiben seiner Meinung nach Fragen bestehen, ob diese Form der Ausstellung einer Mumie nicht bedeute, einer anderen Kultur Gewalt angetan zu haben. Schliesslich sei die Mumie als Attraktion auch ein finanzieller Faktor fürs Kloster.

Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen.
Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen.

«Wir haben keine feste Agenda, wie es jetzt konkret weitergehen soll. Aber man muss über die Forderungen unseres Komitees auf jeden Fall eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Mumie führen», sagt Rolf Bossart. Denn es habe auch in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden und Bedenken über die Rechtmässigkeit des Aufenthalts der Mumie im Kloster gegeben.

Und was hat es auf sich mit der Priesterin, die bei der Verleihung des Grossen St. Galler Kulturpreises in Aktion getreten ist? «Dabei handelt es sich um eine Schauspielerin, die eine Priesterin spielt, um in einer symbolischen Kulturhandlung auf die Mumie aufmerksam zu machen.»

Die Karre für die Schepenese-Mumie Richtung Ägypten stand schon bereit – daneben eine Priesterin.
Die Karre für die Schepenese-Mumie Richtung Ägypten stand schon bereit – daneben eine Priesterin.

Stiftsbibliothek: Hinweise auf Fehler in der Erklärung

Die Stiftsbibliothek St. Gallen reagierte auf die «St. Galler Erklärung für Schepenese» teils mit Hinweisen zu Ungenauigkeiten im Text. Teils ist zu spüren, dass das UNESCO-Kulturerbe sich im Stolz verletzt fühlt.

«Die Stiftsbibliothek ist die Ikone schlechthin unter den historischen Bibliotheken unserer Welt.»

St. Galler Stiftsbibliothek, Stellungnahme

Es wird etwa bemerkt, dass die Schepenese-Mumie wohl die bekannteste Mumie sei, die in einer Bibliothek aufbewahrt wird. In rund einem Dutzend weiterer Bibliotheken fänden sich ebenfalls ägyptische Mumien. «Die Stiftsbibliothek ist die Ikone schlechthin unter den historischen Bibliotheken unserer Welt. Ein einzigartig schöner Ort mit der besterhaltenen Sammlung, die sich noch am Ursprungsort befindet und bis ins 1. Jahrtausend zurückreicht».

Schepenese als quasi Gedenkort für Luxor-Terroropfer

Ausserdem verweist die Stiftsbibliothek St. Gallen in ihrem Statement auf das Attentat in Luxor am 17. November 1997 hin, das sich vor genau 25 Jahren ereignet habe. Damals riss ein islamistisches Terrorkommando im Hatschepsuttempel in Theben-West 62 Menschen in den Tod, darunter 36 Schweizerinnen und Schweizer und auch vier St. Gallerinnen und St. Galler.

«Die Schepenese-Mumie stammt vermutlich aus der Hathorkapelle, die sich auf der Südseite des Hatschepsuttempels befindet. Die Mumie und ihre Särge erinnern an das schlimme Ereignis, das damals am Ort stattfand. Wir gedenken an diesem Tag der Opfer und teilen den Schmerz mit allen, die damals Angehörige oder Freunde verloren haben», heisst es weiter in der Erklärung der St. Galler Stiftsbibliothek. Was die Aufbahrung der Mumie anbelangt, sei Schepenese nicht «nackt», sondern nur bis zu den Schultern ausgewickelt – also nicht bis zur Brust.

Infos zum Statement der Stiftsbibliothek: www.stiftsbezirk.ch/schepenese-Informationen


Die Schepenese-Mumie in der Stiftsbibliothek St. Gallen. | © St. Galler Stiftsbibliothek
17. November 2022 | 15:56
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