Bruder Paul Zahner im Kloster Näfels GL.
Schweiz

Paul Zahner: «Das Teilen ist der Beginn einer Beziehung»

Wenige Tage vor dem Terrorangriff der Hamas kehrte der Franziskaner Paul Zahner mit einer Reisegruppe aus Israel und dem Westjordanland zurück. Ein Gespräch über den Schrecken und Projekte, die Zukunft bringen.

Sabine Zgraggen

Sie sind jetzt eben von einer 10-tägigen Israelreise zurückgekehrt, eine Woche später ist Krieg. Was ist Ihnen als Erstes durch den Kopf gegangen?

Paul Zahner*: Einfach nur schrecklich dieser Terrorangriff! Wir selbst sind noch während eines tiefen Friedens im Land gewesen. Wir haben zwar von den Konflikten gewusst, aber selbst nur ein friedliches Zusammensein erfahren. Die Präsenz von bewaffneten Soldatinnen und Soldaten dort bin ich schon gewohnt. Aber diese vermitteln einem doch, dass das Land Israel sicher ist – oder sein sollte.

«Das Land wirkte soweit friedlich.»

Bereits seit Monaten heisst es, die Sicherheitslage in Israel ist angespannt, haben Sie vor Ort etwas davon mitbekommen? Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen?

Zahner: Mir fiel nichts Besonderes auf. Das Land wirkte soweit friedlich. Die angespannte Lage betraf uns als Pilgerinnen und Pilger nicht. Sie war besonders im jüdischen Umfeld angespannt, wir sahen im Vorbeifahren eine kleine Demo von Israelis. Nicht aber in der Öffentlichkeit, die wir erlebten.

Der Blick vom Garten Gethsemane auf die Heilige Stadt.
Der Blick vom Garten Gethsemane auf die Heilige Stadt.

Gibt es eine Begebenheit auf Ihrer Reise, über die Sie etwas sagen möchten?

Zahner: Wir hatten als örtlichen Reisebegleiter einen liebenswürdigen christlichen Palästinenser, der in Bethlehem lebt. Er spricht Deutsch, weil er einige Zeit in Deutschland lebte. Er hat uns die palästinensischen Gefühle sehr gut vermittelt.

Die Trennmauer ist für sie eine schwere Belastung und es dauert immer einige Zeit, bis sie durchschritten werden kann. Einige Strassen dürfen von Palästinensern nicht befahren werden und führen zu langen Staus auf anderen Strassen.

Und die Gefühle der anderen Seite?

Zahner: Gewisse Bautätigkeiten von jüdischer Seite her widersprechen klar dem internationalen Recht. Mir selbst war immer klar, dass die jüdische Bevölkerung vor allem durch Gewaltausübung und Terror von radikalen islamistischen Kreisen bedroht ist und dass die Mauer damit ein Zeichen der berechtigten jüdischen Angst ist.

«Unsägliche Spirale der Gewalt.»

Wie beurteilen Sie diesen seit Jahrzehnten bestehenden Konflikt?

Zahner: Der Konflikt ist eine unsägliche Spirale der Gewalt, die sich gegenseitig dauernd neu verstärkt. Jüdische Kreise fürchten extreme Muslime, die sie einschüchtern und bedrohen. Muslimische Kreise erfahren harte Einschränkungen von der regierenden israelitischen Seite her. Auch ist die kulturelle Lebensart von Palästinenserinnen und Palästinensern sowie von Jüdinnen und Juden sehr unterschiedlich. Sie führt oft zu Konflikten, statt sich ergänzen und bereichern zu können.

Der Speisesaal der Franziskaner im Kloster Näfels.
Der Speisesaal der Franziskaner im Kloster Näfels.

Welche Aufgaben haben die Franziskaner im Heiligen Land? Wer ist jetzt vor Ort und wie ist die Lage?

Zahner: Christliche Gläubige stehen mitten in einer polarisierten Situation. Sie sind weniger betroffen, leiden aber hart unter den Folgen. Jüdischer Fundamentalismus gegen Christen hat zum Beispiel zugenommen.

Die Franziskaner sind eine feste Gruppe, die die katholische Kirche im Heiligen Land trägt. Neben der Betreuung der Wallfahrtsorte, der Seelsorge in Gruppen und Pfarreien in verschiedenen Sprachen, tragen sie auch soziale Projekte intensiv mit.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zahner: Eindrücklich sind die Schulen, die von den Franziskanern getragen werden. Persönlich besuchte ich auf der Reise das «Terra Santa College» in Bethlehem. Ein junger palästinensischer Franziskaner leitet die im palästinensischen Teil liegende Schule.

Paul Zahner besuchte auf seiner Reise das «Terra Santa College» in Bethlehem.
Paul Zahner besuchte auf seiner Reise das «Terra Santa College» in Bethlehem.

Er führte mich, englischsprechend, durch das Gebäude und in einige Schulklassen hinein. Eine Klasse war gerade am Malen von Bildern für das Franziskusfest am 4. Oktober. In der Schule sind 60 Prozent christliche Kinder – Mädchen und Knaben – und 40 Prozent muslimische. Leider hat das College keine jüdischen Kinder.

Was ist der Mehrwert einer solchen Schule?

Zahner: Sie lernen sich als Kinder verschiedener Religionen und Kulturen zu achten. Es ist eine christliche, franziskanische Schule, zu der muslimische Eltern gerne Ja sagen und ihre Kinder schicken. Die muslimischen Kinder werden dort als muslimisch geachtet. Eine solche Schule versucht die Achtung voreinander zu vermitteln, darin liegt Zukunft.

«Die finanzielle Unterstützung des Heiligen Landes ist bleibend wichtig.»

Was können Christinnen und Christen in diesen Tagen tun, ausser zu beten?

Zahner: Beten ist wichtig und wesentlich. Patriarch Pierbattista Pizzaballa, Franziskaner in Jerusalem und am 30. September 2023 in Rom als Kardinal eingesetzt, hat den 17. Oktober als Gebetstag um Frieden im Heiligen Land ausgerufen. Ein Tag zum persönlichen und gemeinschaftlichen Beten und Fasten.

Bruder Benedikt Borer in der Klosterkirche Näfels.
Bruder Benedikt Borer in der Klosterkirche Näfels.

Was noch?

Zahner: Die finanzielle Unterstützung des Heiligen Landes ist bleibend wichtig. Es braucht diese wertvollen Schulen mit Menschen verschiedener Religionen. Es braucht unsere schweizerische Unterstützung für das «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem, das im palästinensischen Gebiet liegt und muslimische und christliche Kinder betreut, gerade auch in der jetzt sehr schwierigen Zeit.

Waren Sie dort?

Zahner: Ja. Wir hatten eine Führung durch eine junge Frau aus einer Familie in Bethlehem, die uns die grosse Wichtigkeit dieses Spitals sehr deutlich aufgezeigt hat. Wir können als Schweizerinnen und Schweizer stolz sein, dass wir dieses Spital am Geburtsort Jesu tatkräftig unterstützen und so alle Kinder als Grundlage einer Gesellschaft mittragen.

Die Reisegruppe um Paul Zahner vor dem "Caritas Baby Hospital" in Betlehem.
Die Reisegruppe um Paul Zahner vor dem "Caritas Baby Hospital" in Betlehem.

Ihr Ordensgründer, der Hl. Franziskus, der von 1182 bis 1226 lebte, ist seit Jahrhunderten ein grosses Vorbild für einen friedlichen Dialog mit dem Islam. Was müssten wir neu von ihm lernen?

Zahner: Zuhören. Begreifen, wo die tieferen Probleme liegen. Beide Seiten anhören. Nicht alles besser wissen, sondern hören, wo die Not der Menschen wirklich ist, denen wir begegnen. Eine Religion verstehen wir dann, wenn wir die Nöte und Freude dieser Menschen verstehen. Das sollte beidseitig lange vor solch schrecklichen Terrorangriffen passieren.

«Die Welt ist nicht heil. Das wird bis zum Ende der Zeiten so bleiben.»

Wo erleben Sie sonst einen gelungenen christlich – muslimischen Dialog?

Zahner: In der Vorbereitung eines Festes der Religionen für 2024 im Glarnerland, erinnere ich mich bestens an den Tee, der uns als Vorbereitungsgruppe in einer muslimischen Gemeinde vor dem Abschied serviert wurde. Das war eine berührende Achtung gegenüber uns Gästen aus anderen Religionen. Auch Franziskus würde mit fremden Menschen etwas teilen. Das Teilen ist der Beginn einer Beziehung.

Der Ordensgründer wacht über das Kloster: Figur des Heiligen Franziskus.
Der Ordensgründer wacht über das Kloster: Figur des Heiligen Franziskus.

Das klingt, als hätte es damals zur Zeit von Franziskus keine Probleme gegeben?

Zahner: Wir dürfen nicht vergessen, dass auf den Heiligen Franziskus auch ein Kopfgeld ausgesetzt war und er verfolgt wurde. Dennoch ging er zum Sultan und suchte das gegenseitige bessere Verstehen. Auch die Bibel zeigt uns auf: Die Welt ist nicht heil. Das wird bis zum Ende der Zeiten so bleiben.

*Bruder Paul Zahner OFM (57) lebt im Kloster Näfels GL. Er ist dort Guardian, das heisst Leiter der Gemeinschaft von Brüdern. Zudem ist er einer von weltweit 50 sogenannten «Kommissaren für das Heilige Land» und vertritt die Schweiz und Liechtenstein. Die Franziskaner leben seit rund 800 Jahren vor Ort und helfen ( www.custodia.org ). Auch das Karfreitagsopfer aller Pfarreien wird jährlich weltweit für die Arbeit der Franziskaner im Heiligen Land und deren Friedensarbeit aufgenommen.


Bruder Paul Zahner im Kloster Näfels GL. | © Sabine Zgraggen
14. Oktober 2023 | 15:00
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