Paul Martone, Pfarrer von Raron und Sprecher des Bistums Sitten
Kommentar

Paul Martone: «Wo bleiben die Rechte des Kindes?»

Paul Martone reagiert in seinem Gastkommentar auf die Kritik des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF) am Papst. Dieser hatte die Abtreibung mit Auftragsmord verglichen. Die Hilfe für Frauen in Not dürfe keine Hilfe zum Töten sein, sagt der Pfarrer von Raron.

Paul Martone*

Der SKF kritisiert Papst Franziskus für seinen «schockierenden» Vergleich einer Abtreibung mit einem Auftragsmord. Nun ist es ja das Recht des SKF den Papst zu kritisieren, was der Frauenbund auch schon öfters getan hat. Man wird ihm deswegen seine Kirchlichkeit nicht absprechen.

Kardinal Walter Kaspar hat dazu einmal geschrieben, dass sich «die Kirchlichkeit des Glaubens nicht primär in der Gehorsamshaltung gegenüber dem kirchlichen Amt ausdrückt. Kirchlichkeit äussert sich nicht in erster Linie im Nicken und Schlucken, sondern im gegenseitigen Aufeinanderhören und Aufeinandereingehen. Jeder soll den anderen im Glauben tragen, anregen und wenn es sein muss auch kritisieren». Man kann sich sicher auch fragen, ob die Aussage von Papst Franziskus geschickt war.

Rechte des Kindes

Ich muss dem Papst aber Recht geben, dass er die Frage stellt, ob es legitim und richtig sei, «ein Menschenleben zu vernichten, um ein Problem zu lösen?» Wird dabei nicht «der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben?»

Als Mann kann ich sicher nur bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, wie sich eine Frau fühlen muss, wenn sie ein ungewolltes Kind erwartet. Ich bin mir auch bewusst, dass sich wohl keine Frau leichtfertig für einen Abbruch ihrer Schwangerschaft entscheidet, und – ja – ich respektiere diesen Entscheid, ohne ihn gutheissen zu können. Aber auch hier gilt: «Wer bin ich, dass ich diesen Menschen verurteilen könnte?»

Mensch von Anfang an

Hat nicht auch das ungeborene Kind Rechte? Bei allen theoretischen Diskussionen über die Abtreibung darf nicht vergessen werden, dass es sich um einen Menschen handelt, der im Bauch der Frau heranwächst – und zwar von Anfang an. Er wird nicht erst im Laufe der ersten paar Schwangerschaftswochen zu einem Menschen.

Wenn eine Frau sich also für eine Abtreibung entscheidet, weil sie im unpassendsten Augenblick schwanger geworden ist und dies ihre berufliche Karriere ins Stocken bringt, so stellt sie ihre Karriere über das Leben des ungeborenen Menschen. Hat das ungeborene Kind nicht auch das Recht auf eine menschliche «Karriere»?

Bestrafung des unschuldigsten Wesens

Wenn eine Frau vergewaltigt und dadurch schwanger wird, so ist das ganz klar nicht nur eine Katastrophe, sondern ein Verbrechen. Der Wunsch, dieses Kind nicht zu bekommen, ist verständlich. Aber bestraft man mit einer Abtreibung nicht das Wesen, das an der ganzen Geschichte am unschuldigsten ist? So unschuldig wie die Mutter selbst.

Wenn bei einer vorgeburtlichen Untersuchung festgestellt wird, dass das Kind krank oder missgebildet zur Welt kommen wird, ist es dennoch ein Mensch, der auch als Kranker wertvoll und lebenswürdig ist. Ein solches Kind trotzdem anzunehmen und zu lieben, ist nicht einfach. Aber es ist möglich, wie viele Frauen in der Vergangenheit bewiesen haben.

Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, seien «Leidtragende, keine Verbrecherinnen», sagt der SKF zurecht. Es sind Frauen, die unsere Hilfe brauchen.

Aber bei all diesen Argumenten, die für eine Abtreibung sprechen, bleibt das Zitat wegweisend: «Etwas Besseres als den Tod findest du überall» Und somit gilt auch: «Etwas Besseres als den Tod findest du überall», denn am Ende der Abtreibung steht der Tod eines Menschen.

Leben ist ein Geschenk Gottes

Das staatliche Gesetz der Schweiz erlaubt bis zur 12. Schwangerschaftswoche eine Abtreibung. Doch nicht alles, was vom Staat erlaubt wird, ist auch aus ethischer Sicht richtig und erlaubt. Es gibt grundsätzliche ethische Regeln, über die auch die staatliche Gesellschaft nicht verfügen darf, will sie nicht zu einer «Unrechtgesellschaft» werden.

Mutter und Kind haben grundsätzlich das gleiche Recht auf Leben. Daher ist ein verantwortungsbewusstes Abwägen der Rechtsgüter zwischen Frau und ungeborenem Kind unbedingt notwendig. Je schwächer ein Mensch ist und je weniger er sich selber verteidigen kann, um so mehr sollte er Anrecht auf Schutz haben. Der wehrlose Mensch im Mutterschoss darf niemals als Angreifer und schon gar nicht als ungerechter Angreifer angesehen werden.

Keine Hilfe zum Töten

Und nach wie vor behält das Gebot Gottes «Du sollst nicht töten!» seine Gültigkeit. Dieses Gebot fordert uns heraus. Es fordert von uns, mit unseren Mitmenschen sorgsam umzugehen, gerade mit den kleinsten und schwächsten von ihnen und ihnen tatkräftig, hilfreich und liebend zur Seite zu stehen. «Dies ist eine Grundforderung christlicher Nächstenliebe», schreibt der SKF, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frauen in Not zu helfen.

Diese Hilfe darf aber keine Hilfe zum Töten, sondern muss eine Unterstützung zum Leben sein! Jedes menschliche Leben sei ein Geschenk Gottes, sagte Papst Franziskus, der es als «widersprüchlich» bezeichnete, Schwangerschaftsabbrüche mit dem Schutz anderer Rechte zu begründen. Er unterstrich vielmehr, dass uns in «jedem kranken Kind, in jedem schwachen alten Menschen, in jedem verzweifelten Migranten, in jedem zerbrechlichen und bedrohten Leben Christus sucht».

Einsatz des Papstes für das Leben

Vielleicht sollte auch der SKF die Worte von Papst Franziskus im grossen Zusammenhang lesen. Dann würde es ihm vielleicht gelingen sich nicht nur gegen einzelne Aussagen des Papstes zu stellen, sondern seinen gesamten Einsatz für das Leben, das bestehende und auch das werdende, zu wertschätzen und vermehrt in seine Kommentare einfliessen zu lassen. So würde der Frauenbund mithelfen, dass er für Frauen noch mehr zu einer «kirchlichen und spirituellen Heimat» würde, zu einer «befreienden und glaubwürdigen Kirche».

*Paul Martone ist Pfarrer von Raron und Sprecher des deutschsprachigen Teils des Bistums Sitten


Paul Martone, Pfarrer von Raron und Sprecher des Bistums Sitten | © zVg Bistum Sitten
8. Juli 2022 | 14:49
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