Piero della Francesca zeigt den auferstandenen Christus mit einem Waschbrettbauch.
Schweiz

Österlicher Jesus mit Waschbrettbauch: Zeigt dieses Bild den «Kern der Christologie»?

Jesus war ein Mann – und ist auch als Mann auferstanden, sagt der Kunsthistoriker Markus Hofer. Trotzdem sind sehr männliche Jesus-Darstellungen selten. Ein Dominikaner hat im 16. Jahrhundert empört einer Jesus-Figur den Penis abgeschlagen.

Jacqueline Straub

Frohe Ostern! Piero della Francesca zeigt 1458 den auferstandenen Christus mit einem Waschbrettbauch. Warum ist dieses Bild so ungewöhnlich?

Markus Hofer*: Jesus wird hier als wahrer Mensch und wahrer Gott dargestellt. Das Auferstehungsbild ist wohl die männlichste Christus-Darstellung, die es gibt: Der Auferstandene wird enorm körperhaft dargestellt – sogar mit einem Waschbrettbauch. Er steht da mit nacktem Oberkörper und souveräner Geste, mit einem Fuss auf dem Sarkophag. Das ist sehr ungewöhnlich. Bereits 50 Jahre später malen Raffael und Matthias Grünewald Jesus in einem weissen Gewand hoch in den Himmel schwebend. Dort wird er durch und durch vergöttlicht und körperlos dargestellt.

«Der Waschbrettbauch steht für den wahren Menschen.»

Der auferstandene Christus mit oder ohne Waschbrettbauch: Macht das theologisch einen Unterschied?

Hofer: Piero della Francesca zeigt mit seinem Bild Christus als wahren Gott und wahren Menschen. Der Waschbrettbauch steht für den wahren Menschen. Gleichzeitig strahlt seine Haltung auch aus, dass er wahrer Gott ist. Diese Abbildung zeigt den theologischen Kern der Christologie: Jesus Christus ist nicht nur Mensch, sondern auch Gott.

Piero della Francesca zeigt den auferstandenen Christus mit einem Waschbrettbauch.
Piero della Francesca zeigt den auferstandenen Christus mit einem Waschbrettbauch.

Im 19. Jahrhundert wäre ein Jesus mit einem Waschbrettbauch unvorstellbar gewesen.

Hofer: Das 19. Jahrhundert zeigt Christus vor allem verklärt, kitschig und unkörperlich. Das ist ein klarer Verrat am Dogma. Denn Jesus Christus wird nur noch göttlich gezeigt, das Menschlich-Fleischliche wird vollkommen ausgeblendet.

Jesus-Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.
Jesus-Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.

War der Waschbrettbauch ein Schönheitsideal, das in der Kunst grossen Anklang gefunden hat?

Hofer: Im frühen Christentum waren viele Kirchenväter der Meinung, dass Christus hässlich war. Denn sie nahmen die Worte über den Gottesknecht ernst, der geschunden und hässlich ist. Das ist heute unvorstellbar. Die Vorstellung, dass Jesus als Gottessohn ein schöner Mann war, kam erst später.

Auferstanden und nackt: Christus von Michelangelo. Das verhüllte Original (links) und eine nackte Nachbildung im Lindenau-Museum Altenburg.
Auferstanden und nackt: Christus von Michelangelo. Das verhüllte Original (links) und eine nackte Nachbildung im Lindenau-Museum Altenburg.

Gibt es auch Darstellungen, wo Jesus ganz nackt zu sehen ist?

Hofer: Michelangelo hat 1520 einen nackten Auferstandenen erschaffen. Dieser hält in einer Siegergeste das Kreuz in der Hand. Das ist eine idealisierte Darstellung des männlichen Körpers. Michelangelo war schwul und hat in seiner Kunst seine persönliche Vision von schöner Männlichkeit umgesetzt. Der nackte Jesus steht in der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom und zog viele Menschen an – Männer wie Frauen. Für einen frommen Dominikanermönch war die Verehrung dieser Nacktheit aber nicht zu ertragen. Er schlug Christus den Penis ab. Seither trägt die Figur ein Tuch aus Messing um die Lende.

«Die Frührenaissance zeigt Jesus körperhaft und männlich, aber auch zum Himmel hinschwebend.»

Wie wurde der auferstandene Christus sonst in der Kunstgeschichte dargestellt?

Hofer: In der Romanik trägt Jesus immer ein wallendes Kleid. In der Gotik wird er leidend am Kreuz dargestellt, teilweise blutüberströmt. Gerade die Spätgotik hatte das Ziel, den Auferstandenen in seiner gequälten Körperlichkeit darzustellen. Der Leidende sollte Mitgefühl bei den Betrachtenden auslösen und sie ins Geschehen hineinnehmen. Die Frührenaissance zeigt Jesus körperhaft und männlich, aber auch zum Himmel hinschwebend. In der Hochrenaissance wird Jesus körperlos, gar verklärt gemalt.

Christus von Guillermo Pérez Villalta in Tarifa, Spanien.
Christus von Guillermo Pérez Villalta in Tarifa, Spanien.

Jesus war Sohn eines Zimmermanns. Sollen wir uns Jesus künftig muskulöser vorstellen?

Hofer: Ich finde schon. In Antwerpen findet sich eine barocke Darstellung von einem sehr körperlichen Jesus. Peter Paul Rubens malte die Kreuzaufrichtung, dabei trägt Jesus nur ein knappes Lendentuch, sonst ist er nackt. Er ist sehr muskulär. Um das Kreuz aufzurichten, bedarf es kräftige Männer. Rubens bringt in seine Darstellung eine neue Körperhaftigkeit hinein und auch er zeigt, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist: Sein Blick geht ohne gebrochene Leidensgesten zuversichtlich zum Himmel und gleichzeitig hat kaum ein Künstler den fleischgewordenen Gottessohn wirklich derart Fleisch werden lassen.

Die Kreuzaufrichtung von Peter Paul Rubens.
Die Kreuzaufrichtung von Peter Paul Rubens.

Sie sind kein Fan des 19. Jahrhunderts. Warum nicht?

Hofer: Das 19. Jahrhundert gilt als das Zeitalter der Prüderie, hier feiern Kitsch und verklärte Heiligenbilder ihren Höhepunkt. Die Kirche konnte mit den vielen Entwicklungen in der Naturwissenschaft, der Medizin und auch der Aufklärung nicht umgehen. Sie ist pauschal in die Abwehr gegangen und verurteilte alles Moderne. Das war tragisch für die Kunst, denn die Bilder wurden steril, kraftlos, blutleer.

«Je strenger die Sexualmoral der Gesellschaft war, umso nackter wurden die Darstellungen von Heiligen.»

Warum hat die Kirche ein Problem mit Nacktheit?

Hofer: Wenn wir das 19. Jahrhundert ausklammern, zeigt sich, dass die Kirche wenig Problem mit Nacktheit hatte. Es gibt sogar paradoxe Entwicklungen: Je strenger die Sexualmoral der Gesellschaft war, umso nackter wurden die Darstellungen von Heiligen. Im Mittelalter gibt es kaum nackte Heiligendarstellungen. Denn dort war Nacktheit alltäglich. Es gab keine Unterhosen, Eltern und Kinder schliefen in einem Zimmer und selbst im Gästehaus mussten sich manchmal fremde Frauen und Männer ein Bett teilen. Es gab kein Bedürfnis, Nacktheit darzustellen, weil sie omnipräsent war.

Wann kam dann die Wende?

Hofer: Im 16. Jahrhundert. Die offizielle Moral wurde rigide. Man trug hochverschlossene Kleidung und sogar Nachthemden wurden gesetzlich vorgeschrieben. Martin Luther trug mit seiner Aussage, dass die Ehe «ein weltlich Ding» sei, dazu bei, dass die Sexualmoral zur staatlichen Strafverfolgung überging. In der Zeit der Reformation und Gegenreformation tauchen in der Kunst dafür massenhaft Nackte auf.

Markus Hofer ist Theologe und Kunsthistoriker.
Markus Hofer ist Theologe und Kunsthistoriker.

In Ihrem Buch «Das Heilige und das Nackte» verweisen Sie auch auf den Schweizer Reformator Huldrych Zwingli. Hatte er ein Problem mit Nacktheit?

Hofer: Zwingli war ein streng moralischer Mensch und hat sich massiv über Nacktheit aufgeregt. So fragte sich Zwingli, ob ein Pfarrer noch anständig die Messe feiern könne, ohne ständig an Sex zu denken. Denn leichtbekleidete Heilige gab es ja in fast jeder Kirche.

* Der Österreicher Markus Hofer (65) ist Theologe und Kunsthistoriker. Er arbeitet für die Fachstelle Glaubensästhetik «Erlebnis Kirchenraum» der Diözese Feldkirch. Sein Buch «Das Heilige und das Nackte» ist im «Tyrolia»-Verlag erschienen.


Piero della Francesca zeigt den auferstandenen Christus mit einem Waschbrettbauch. | © Markus Hofer
17. April 2022 | 12:00
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