Anders als im Original sind im neuen Film gleich zwei Mädchen vom Teufel besessen.
Schweiz

Neuer Exorzisten-Film ist eine Rundumkritik am Vatikan

Ab Donnerstag ist die Fortsetzung des Horrorklassikers «Der Exorzist» im Kino zu sehen. Dieser knüpft an die Geschehnisse des ersten Teils an, der vor 50 Jahren die Welt und den Vatikan erschütterte. Der neue Film fordert Reformen in der katholischen Kirche und ist damit erschreckend aktuell. 

Sarah Stutte

Als der Film «Der Exorzist» von Regisseur William Friedkin im Dezember 1973 in die US-amerikanischen Kinos kam, war buchstäblich die Hölle los. Überall vor den Eingängen bildeten sich lange Schlangen mit bis zu Tausenden frierenden Menschen, die stundenlang in der Kälte ausharrten, um ein Ticket zu ergattern.

Der Film "Der Exorzist" sorgte für Ohnmachtsanfälle und einen tödlichen Herzinfarkt im Kino.
Der Film "Der Exorzist" sorgte für Ohnmachtsanfälle und einen tödlichen Herzinfarkt im Kino.

In New York kam es zu Prügeleien und Kassenstürmungen wegen ausverkauften Vorstellungen. Gleichenorts wurden Angestellte eines Lichtspielhauses mit Messern bedroht und verletzt, weil sie eine Vorführung wegen der Tumulte vor dem Kino absagen mussten. Fast überall rückte die Polizei aus, um die aufgebrachten Massen unter Kontrolle zu bringen.

Doch auch während der Filmvorführungen nahm die Hysterie kein Ende. Dutzende Besucherinnen und Besucher fielen in Ohnmacht, andere übergaben sich direkt im Saal, viele verliessen fluchtartig die Kinos. Belegt sind zudem ein tödlicher Herzinfarkt und eine Fehlgeburt, die der Film ausgelöst haben soll.

Kein wahrlich neuer Grusel

In Denver im US-Bundesstaat Colorado riss sich ein junger Mann mitten in der Vorstellung die Kleider vom Leib und rannte schreiend in die nächste Kirche: Er glaubte, genau wie das junge Mädchen Regan im Film, vom Teufel besessen zu sein. Er blieb nicht der Einzige. Weltweit nahmen die Exorzismus-Meldungen in den Diözesen durch den Film zu. Nicht nur der Vatikan, sondern vor allem die Ortskirchen hatten alle Hände voll zu tun, den Anfragen Herr zu werden.

Im Film von 1973 wird die zwölfjährige Regan von einem Arzt untersucht.
Im Film von 1973 wird die zwölfjährige Regan von einem Arzt untersucht.

Reaktionen dieses Ausmasses wird die neue, mittlerweile fünfte Fortsetzung der ursprünglichen Geschichte – «Der Exorzist – Bekenntnis» von Regisseur David Gordon Green – die nun exakt 50 Jahre nach dem damals zweifachen Oscarpreisträger erscheint, vermutlich nicht hervorrufen. Mittlerweile ist man sich im Kino vom Horrorgenre anderes gewohnt und so viel Neues an Gruselelementen vermag der Film seinem Vorgänger nicht hinzuzufügen.

Natürlich sind die Effekte professioneller gemacht, grösstenteils werden aber gegebene Elemente aus dem ersten Film lediglich variiert – beispielsweise die berühmte Szene, in der sich Regans Kopf um 180 Grad dreht oder diejenige, in der ein Kruzifix in eine spezifische Körperstelle gerammt wird.

Eine heile Welt gibt es nicht

Neu sind dafür andere Versatzstücke inhaltlicher Art. Die auffälligste Änderung ist, dass diesmal keine weisse Mittelstandsfamilie in den Fokus gerückt wird, sondern eine afro-amerikanische. Im alten Film zeigt sich im Vorspann das Dämonische in Gestalt einer Figur, die bei Ausgrabungen im Irak gefunden wurde. Der neue Film beginnt in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, als diese 2010 von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde.

Verstörung während der Messe: Erst sind die Mädchen tagelang verschwunden, dann tauchen sie völlig verändert wieder auf.
Verstörung während der Messe: Erst sind die Mädchen tagelang verschwunden, dann tauchen sie völlig verändert wieder auf.

Die Tragik dieses Ereignisses, das die Familie für immer verändern wird, macht die Figuren nahbarer, als es noch 1973 der Fall war. Dort wurde das Bröckeln der Fassade nur angedeutet. Durch einen Vater, der den Geburtstag der Tochter vergisst oder einen Priester, der durch den Tod seiner Mutter an seinem Glauben zweifelt. In der neuen Fortsetzung wird dagegen von Anfang an ein Trauma etabliert und damit unmissverständlich klar gemacht: Eine heile Welt ist hier inexistent.  

Darüber hinaus gibt es diesmal gleich zwei besessene Mädchen und nicht nur eines. Die Besessenheit der Mädchen passiert auch nicht einfach so, sondern wird mit einem tagelangen Verschwinden der Teenager im Wald begründet. Diese sind plötzlich wieder da, zeigen jedoch ein verändertes Verhalten.

Kirchliche Diversität im Film

Waren im Original die Jesuiten-Priester von Anfang an in das Geschehen involviert und somit der Katholizismus stark vordergründig, werden nun Voodoo-Rituale mehr ins Zentrum gerückt. Die Diversität zeigt sich also auch in der breit aufgefächerten Vielfalt von Religiosität und verschiedenen Segnungs- sowie Exorzismus-Praktiken.

Der Exorzismus wurde im Originalfilm von zwei Jesuitenpriestern durchgeführt.
Der Exorzismus wurde im Originalfilm von zwei Jesuitenpriestern durchgeführt.

Am spannendsten ist dabei die Zusammensetzung der frischen Exorzisten-Gruppe: Eine ehemalige Novizin, die ihr Zölibatsversprechen brach, spricht die Psalmen, ein Freikirchler und eine Voodoo-Priesterin sowie ein Atheist unterstützen sie mit Gebeten. Der katholische Priester zieht sich kurz vor knapp aus dem Ritual zurück, da der Vatikan den Exorzismus nicht erlaubte.

In "Der Exorzist - Bekenntnis" besteht das Exorzismus-Grüppchen unter anderem aus einer ehemaligen Novizin, einer Voodoo-Priesterin und einem Freikirchler.
In "Der Exorzist - Bekenntnis" besteht das Exorzismus-Grüppchen unter anderem aus einer ehemaligen Novizin, einer Voodoo-Priesterin und einem Freikirchler.

Damit spiegelt der Film ein wenig zynisch, dass die katholische Kirche an Relevanz verloren hat. Nicht nur, wenn es um das Thema Exorzismus geht. Die aktuelle Diskussion weltweit nicht nur in Bezug auf die Missbrauchsfälle in der Kirche, sondern auch um den Umgang damit und der Vertuschung in den eigenen Reihen, bringt der Rückzug des Priesters auf den Punkt. «Wollen Sie die Kinder einfach so im Stich lassen?», wird er daraufhin von der gläubigen Ex-Novizin gefragt. Dieser steigt wortlos in sein Auto.

Frauenfrage ist auch Thema

Ein anderer Dialog im Film bringt ein weiteres Problem in der katholischen Kirche auf den Punkt: Die fehlende Anerkennung der Frauen. Es gibt ein Wiedersehen mit der Mutter aus dem Original – gespielt von Ellen Burstyn. Diese wird als Exorzismus-Expertin in die Handlung eingeführt. Auf die Frage, warum sie damals dem Exorzismus ihrer eigenen Tochter nicht beiwohnen durfte, meint diese lapidar: «Ich passte wohl nicht in ihr Patriarchat».

Spielte schon im alten Film die Mutter: Ellen Burstyn.
Spielte schon im alten Film die Mutter: Ellen Burstyn.

Von solch glasklarer Kritik an der katholischen Kirche war man 1973 noch meilenweit entfernt. Hier stand mehr der Unterhaltungswert durch die handgemachten Horroreffekte und eine nicht ganz ernstgemeinte Auseinandersetzung mit dem Thema Exorzismus im Vordergrund. Der Originalfilm wurde durch den 1971 erschienenen Roman von William Peter Blatty inspiriert. Das Buch stand 55 Wochen lang auf der Bestseller-Liste der «New York Times» und wurde in fast 20 Sprachen übersetzt.

Auf die Geschichte kam Blatty durch einen Zeitungsartikel: 1949 berichtete die «Washington Post» von der angeblich erfolgreichen Teufelsaustreibung, die ein katholischer Priester an einem 14-jährigen Jungen namens Roland Doe vorgenommen hatte. Der Schriftsteller war damals Student der englischen Literatur und besuchte eine Jesuitenschule. Dort schrieb er an einer Studie über Teufelsbesessenheit, weshalb er im Zuge seiner Recherchen über die Meldung stolperte.

Kampf mit den eigenen Dämonen

Die katholische Kirche trug also selbst zum Exorzismus-Wahn bei, wenn man so will. Deshalb konnte sie damals auch nicht lauthals gegen die künstlerische Umsetzung der Thematik protestierten. Zumindest das Buch fand in kirchlichen Kreisen durchaus Zuspruch. In der Jesuiten-Zeitschrift «Civiltà cattolica» wurde der Roman anerkennend besprochen, zudem gehört er zur empfohlenen Lektüre von katholischen Highschools.

«Der Exorzist» als Film sorgte im Vatikan hingegen für zwiespältige Gefühle. Da nützte es auch nichts, dass immerhin vier reale Priester hier mitwirkten – teils als Schauspieler, teils als religiöse Berater. Einerseits goutierten manche Kirchenvertreter die durch den Film dargestellte Bestärkung des Gottesglaubens und freuten sich über die immense Reichweite. Andererseits beschwerten sich nicht wenige Priester über die im Film gezeigte Macht des Teufels.

Der Vater eines der Mädchen mit der Mutter des damaligen Opfers.
Der Vater eines der Mädchen mit der Mutter des damaligen Opfers.

Wie in Bezug auf den neuen Exorzisten-Film die Reaktionen aus der katholischen Kirche diesmal ausfallen, lässt sich nur schwer einschätzen. Erfreut wird sich diese sicher nicht zeigen ob so viel offensichtlicher Kritik an ihrer Institution. Fest steht, die Heilsbringerin, die vor 50 Jahren die armen Seelen vom Teufel befreite, ist die Kirche nicht mehr. Heute krankt sie an ihren eigenen Dämonen.

Der Film «Der Exorzist – Bekenntnis» läuft ab 5. Oktober in den Kinos.

Anders als im Original sind im neuen Film gleich zwei Mädchen vom Teufel besessen. | © Universal Pictures Switzerland
4. Oktober 2023 | 17:10
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